Jerusalem. Israel könnte Dutzende Geiseln aus den Händen der Hamas befreien. Doch eine Einigung mit den Terroristen birgt große Risiken.
Seit Wochen sind die Verhandlungen rund um einen Geiselaustausch und eine Waffenpause zwischen Israel und der Hamas im Gange. Nun scheint es endlich zu klappen – wenigstens für einen Teil der rund 240 Geiseln in der Gewalt der Hamas.
Verhandlungsführer in den zähen Gesprächen waren die Kataris. Sie sprachen jeweils abwechselnd mit Israel und mit Vertretern der Hamas, stimmten sich aber auch laufend mit den USA und mit Ägypten ab.
Hamas nutzt Druck auf israelischer Seite aus
Dieser Ablauf könnte auch ein Grund sein, warum es so lange gedauert hat, bis der Durchbruch gelang: Die Kataris kommunizierten mit jenem Teil der Hamas, der in Doha angesiedelt ist. Am Ende muss der Deal aber von den Hamas-Spitzen in Gaza, also von Yahya Sinwar und Mohammed Deif eingehalten werden, und die sendeten in den vergangenen Wochen widersprüchliche Signale aus. Die Hamas in Gaza weiß, wie groß der Druck in Israel für einen Geisel-Deal ist – und sie spielte damit.
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Widerstände gegen die Vereinbarung gibt es aber auch in Israels Regierung. Die Rechtsaußenkräfte in der Koalition sind strikt gegen jede Freilassung palästinensischer Gefangener. Zwar soll es sich bei diesen nur um Kinder und Frauen handeln, Gefangene mit Hamas-Nähe sollen nicht auf der Liste stehen, heißt es. Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir von der rechtsnationalen Partei Otzma Jehudit bezeichnete den Deal dennoch als „Desaster“.
Geiseln sollen nach und nach aus Gaza nach Israel gebracht werden
Wie weit die Vereinbarung geht, ist bis zum Schluss nicht klar. Das hängt nämlich auch davon ab, wann eine der beiden Konfliktparteien den Deal bricht. Mit jedem weiteren Tag soll eine gewisse Anzahl von Geiseln aus Gaza nach Israel überstellt werden. Im Gegenzug sollen jeweils drei Mal so viele palästinensische Gefangene freigelassen werden. Sowohl bei den Geiseln als auch bei den Gefangenen soll es sich um Frauen und Kinder handeln.
Lesen Sie den Kommentar: Worum es der Hamas beim Geisel-Deal wirklich geht, ist offensichtlich
Zu Beginn war von 53 befreiten Geiseln und 159 entlassenen Gefangenen die Rede, es könnten aber auch mehr sein – oder weniger: Niemand weiß, wie viele der Geiseln sich tatsächlich in Gefangenschaft befinden, und ob sich die kleineren Terrorgruppen, die ebenfalls Geiseln festhalten, einem Deal mit Israel verpflichtet fühlen. Möglich ist auch, dass die Waffenruhe gebrochen wird, bevor alle Geiseln überstellt sind. Sollte alles gut gehen, könnten in einer zweiten Tranche weitere rund 50 Geiseln freigelassen werden – wieder im Austausch gegen 150 palästinensische Gefangene. Nicht zuletzt umfasst der Deal den Zugang weiterer humanitärer Hilfslieferungen über den ägyptischen Grenzübergang Rafah.
Waffenruhe aus Sicht der Hamas ein Erfolg
Aus Sicht der Hamas ist die Freilassung der Häftlinge aus israelischen Gefängnissen aber wohl nicht der wichtigste Punkt des Deals. Viel bedeutender ist die mehrtägige Waffenpause. Sie könnte von den Hamas-Kämpfern genutzt werden, um nach mehr als sechs Wochen die Tunnel zu verlassen und sich neu zu organisieren. Auf dieses Weise könnten sich die Hamas-Kämpfer für die nächsten Etappe der israelischen Bodenoffensive wappnen. Um dabei ungestört vorgehen zu können, verlangt die Hamas ein Aussetzen der israelischen Luftraumüberwachung via Drohnen. Am Boden sind die israelischen Truppen aber auch während der Waffenpause präsent. Die Armee kündigte an, auch weiterhin jedem Anschein einer Bedrohung für die Truppen mit Feuer zu begegnen.
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In Israel gibt es einige Kritik an der Vereinbarung. Viele fühlen sich an den Gefangenenaustausch rund um die israelische Geisel Gilad Shalit erinnert. Der junge Soldat war 2006 in den Gazastreifen verschleppt worden. Ganze fünf Jahre dauerte es, bis ein Durchbruch in den Verhandlungen um eine Freilassung Shalits gelang: Im Jahr 2011 wurde er gegen mehr als tausend palästinensische Gefangene eingetauscht. Heute weiß man, dass sich unter den damals Freigelassenen auch Terroristen befanden, die nun an der Planung und Ausführung der Massaker vom 7. Oktober beteiligt waren. Der prominenteste Freigelassene von 2011 ist der Hamas-Führer in Gaza, Yahya Sinwar.
Israel droht Vorteil zu verlieren
Israelischen Militärstrategen macht aber auch die Waffenpause Sorge, die laut Vereinbarung vier bis fünf Tage dauern soll – oder sogar länger, falls die Hamas bereit ist, noch weitere Geiseln freizulassen. Laut Angaben der israelischen Streitkräfte war es den Bodentruppen und der Luftwaffe in den vergangenen Wochen gelungen, die Hamas im Gazastreifen wortwörtlich in die Ecke zu drängen. Diesen Vorsprung droht man nun aufzugeben, in dem man der Hamas Zeit gibt, sich neu zu sortieren. Dazu kommt die Befürchtung, dass in den Tagen der Waffenpause zahlreiche Vertreter internationaler Medien Bilder aus dem Gazastreifen verbreiten könnten. Der Anblick der Verwüstung im Norden des Streifens, so befürchten manche in Israel, könnte die Stimmung in der Welt kippen lassen. Manche Staaten könnten beginnen, den Druck auf Israel zu erhöhen.
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Der Großteil der Angehörigen drängte auf eine Vereinbarung mit der Hamas. Kritik kommt aber auch von manchen Familien der Geiseln. Sie befürchten, dass diesem Deal sehr lange kein zweiter nachfolgen könnte. Die Angehörigen werfen der Regierung vor, dass ihr erste Ziel die Vernichtung der Hamas ist, und dass die Freilassung der Geiseln als zweitrangig erachtet wird. Ob sich diese Angst als wahr herausstellt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
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