Berlin. Immer wieder kommt es in Berlin-Neukölln zu gewalttätigen Protesten – auch aktuell. Warum ausgerechnet dort? Ein Besuch vor Ort.
Keine 24 Stunden ist es her, dass auf Neuköllns Straßen Ausnahmezustand herrschte. Vor allem auf der Sonnenallee, einer der wichtigsten Straßen in dem Berliner Bezirk, eskalierte am Mittwoch die Lage bei einer pro-palästinensischen Versammlung (Link zur „Berliner Morgenpost“). Brennende Mülltonnen erhellten die Straßen, Steine und Feuerwerkskörper flogen auf Einsatzkräfte: Die Bilder von der verbotenen pro-palästinensischen Demonstration erinnern an die Szenen von Silvester 2022/23. Die Vorfälle in der Nacht erklären die erhöhte Polizeipräsenz an diesem verregneten Donnerstag. An der Sonnenallee Ecke Reuterstraße haben sich zwei große Polizeiwagen positioniert.
Dennoch: In Neukölln ist wieder der Alltag eingekehrt. Irgendwie. Aber gleichzeitig auch nicht. Der Berliner Ortsteil ist zum Synonym für gescheiterte Integration, Parallelgesellschaften und importierte Konflikte geworden. Krawalle auf den Straßen, Randale an Silvester: Immer wieder gerät der Bezirk in die Schlagzeilen. So auch im Sommer, als das Neuköllner Sommerbad nach Gewaltfällen für einige Tage seine Tore schloss – neben Neukölln waren auch andere Bäder in Berlin von solchen Vorfällen betroffen.
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Berlin-Neukölln: Was laut Bezirksbürgermeister bei der Integration falsch gemacht wurde
Meldungen wie diese sind für den südlich gelegenen Bezirk jedoch nicht neu, sondern reihen sich ein in eine längere Historie der Probleme, vor allem bei der Integration. Einem sogenannten Friedensrichter aus Neukölln, der in erster Linie zwischen Arabischstämmigen bei Streitigkeiten vermittelte, wurde vorgeworfen, an der deutschen Justiz vorbeizuarbeiten und somit Parallelgesellschaften zu fördern. Auch die Al-Nur-Moschee im Bezirk wurde öffentlich scharf für ihre Nähe zum Salafismus kritisiert.
Der ehemalige Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschwowsky (SPD), sorgte für großen Aufschrei, als er die Integrationskonflikte in seinem Bezirk ansprach. Mit der Aussage, „Multikulti“ sei gescheitert, eckte er an. Den Begriff Multikulti will der heutige Bezirksbürgermeister und Parteikollege Martin Hikel nicht mehr verwenden. Er würde eher von Miteinander sprechen, gibt jedoch vor dem Hintergrund der eskalierenden Demonstrationen und der antisemitischen Hetze bei Versammlungen zu, in der Integrationspolitik blauäugig gewesen zu sein.
„Wir haben die falschen Organisationen hofiert und Israel-bezogenen Antisemitismus ignoriert“, erklärt Hikel. Den Zentralrat der Muslime kritisiert er beispielsweise dafür, erst zögerlich auf die Anschläge in Israel reagiert und letztlich den Terror der Hamas nicht entschieden verurteilt zu haben – der Zentralrat der Muslime ist häufig ein Ansprechpartner der Politik.
Neuköllner Bezirksbürgermeister: „Hass auf Israel in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden“
Hikel betont ausdrücklich, dass nicht der muslimische Glaube das Problem sei. Zeitgleich weist er darauf hin, dass „der Hass auf Israel in weiten Teilen in der Bevölkerung Neuköllns vorhanden ist“. Manche Grundschulkinder benutzten zwar das Wort Nakba – der Begriff steht für „Katastrophe“ und bezieht sich auf die Vertreibung der Palästinenser im Zuge der Geburt des Staates Israels –, wüssten aber nicht einmal, wie dieses geschrieben werde.
Ähnlich äußerte sich jüngst Neuköllns Integrationsbeauftragte, Güner Balci. Dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ sagte sie, dass weite Teile der arabischsprechenden Bevölkerung Sympathien für die Terroristen von Hamas und Hisbollah hätten. Das wisse sie aus zahlreichen Gesprächen. Sowohl Hikel als auch Balci forderten daher ein Verbot des palästinensischen Netzwerks Samidoun.
Warum Neukölln ein Hotspot für pro-palästinensische Demonstrationen ist
In Neukölln stammen viele Menschen aus den Nachbarländern Israels und besitzen deren Staatsbürgerschaft, teils auch neben der deutschen. Laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg leben in Neukölln vor allem viele Menschen mit libanesischem und syrischem Migrationshintergrund – knapp 9.000 beziehungsweise 5.200 im Jahr 2023. Ein Spaziergang über die Sonnenallee mit seinen libanesischen und syrischen Restaurants und Köstlichkeiten unterstreicht diese Zahlen. Im Vergleich: In Berlin-Mitte leben rund 6.700 Libanesinnen und Libanesen sowie etwa 7.000 Syrerinnen und Syrer.
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Die Sonnenallee und der Hermannplatz seien zu Versammlungsorten für die arabischstämmige Gemeinschaft in Berlin geworden, schätzt Bezirksbürgermeister Hikel. Ihm sei zugetragen worden, dass unter den Demonstrierenden nicht nur Personen aus seinem Bezirk, sondern auch aus anderen wie Mitte für den Protest angereist waren.
Hikel verlangt ein konsequentes Vorgehen der Polizei gegen die gewaltsamen Auseinandersetzungen. „Das ist eine schwere Aufgabe für die Einsatzkräfte“, gesteht er. Mittelfristig müssten darüber hinaus Demokratieprojekte gestärkt und genau überprüft werden, welche Ausrichtung und welche Standards diese hätten. „Es muss einen gemeinsamen Konsens über das Existenzrecht Israels geben.“
Berlin-Neukölln: Demonstrant geht von Toten bei den Protesten aus
Während Hikel jedoch mehr Demokratiebildung fordert, wird auf den Straßen Neuköllns bemängelt, dass demokratische Grundrechte nicht für jeden gelten würden. „Ich bringe selbst Kindern die Grundsätze der Demokratie bei, kann sie selbst allerdings nicht leben“, kritisiert Adham Omar, Grundschullehrer aus Neukölln.
Vergangenes Wochenende wollte der 30-Jährige für die Menschen in Gaza auf die Straße gehen, allerdings wurden die Demonstrationen verboten. Er sieht es kritisch, wegen seines Protestes als Antisemit abgestempelt zu werden. Bei den Versammlungen habe er niemanden gesehen, die oder der die Angriffe der Hamas bejubelt hätten.
Die Gewalt und antisemitische Parolen auf den jüngsten Versammlungen lehnt der gebürtige Ägypter streng ab, doch eine Demonstration präventiv zu verbieten, führe nur zu noch mehr Eskalation. In seinen Augen sei es nur eine Frage der Zeit, bis jemand bei den Protesten stirbt.
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