Siegen-Wittgenstein. AfD-Bundestagskandidat aus Siegen-Wittgenstein rechnet mit Kritikern ab und wird auf sicheren Listenplatz gewählt. Seine Argumente im Faktencheck.
Christian Zaum hat es geschafft. Der Gymnasiallehrer aus Bad Laasphe hat mit einer stark polarisierenden Rede auf dem NRW-Parteitag der AfD in Marl seine Klientel überzeugt. Und dabei hat Zaum vor allem die rechtskonservative Basis der Partei ansprechen wollen, wie er offen sagt. Der Schlüssel dazu dürfte seine siebenminütige Bewerbungsrede gewesen sein, in der der Mann aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein ganz plakativ auch die stärksten Reizthemen ganz gezielt einsetzte. Wir haben einen Teil seiner Aussagen überprüft.
Die 500 Delegierten wählten den Mann, der sich selbst als „rechten Lehrer“ bezeichnet, auf den fast sicheren Listenplatz zehn einer insgesamt 40 Namen umfassenden NRW-Landesliste für die Bundestagswahl. Zaum, der über sehr gute Kontakte zu den beiden Rechtsaußen der AfD, Björn Höcke und Matthias Helferich, verfügt, feiert diesen Erfolg auch, weil er sich damit gegen den Landesverband der Alternative für Deutschland durchgesetzt hat. Deswegen rechnet er gleich zu Beginn der Bewerbungsrede mit seinen Gegnern ab.
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„Es ist nicht selbstverständlich, dass ich hier stehe. Ich sollte eigentlich gar nicht hier stehen. Man wollte mich gerne mehrfach wegcanceln. 2016/2017 war es die linke Lokalpresse, die mich mit einem Shitstorm wegspülen wollte. 2019 und 2022 wollte mir der Arbeitgeber den Stecker ziehen. Und 2024 kam dann der sich selbst als gemäßigt bezeichnende Landesvorstand und hat die Daumenschrauben angezogen, meine Mitgliedsrechte entzogen und mir ein PAV (Parteiausschlussverfahren/Die Red.) aufgebrummt. Das Landesschiedsgericht hat dann erklärt, wie es wirklich ist. Alles kalter Kaffee.“
Kein klassischer AfD-Wahlkreis
Danach ging Zaum in die Offensive: „Ich komme aus dem berühmt-berüchtigten Kreisverband Siegen-Wittgenstein. Einer Gegend, die an sich gut ist für die AfD.“ Das stimmt nur bedingt: Bei der Bundestagswahl 2021 holte die AfD hier 9,0 bzw. 9,1 Prozent mit leichten Verlusten. 2022 bei der Landtagswahl mit dem Spitzenkandidaten Zaum gab es gerade einmal 7,3 Prozent, wieder mit leichten Verlusten. Erst bei der Europawahl 2024 konnte die AfD ihr Wahlergebnis auf 15,6 Prozent (+5,2) steigern. Bislang siegt in Siegen-Wittgenstein regelmäßig noch die konservative Konkurrenz der CDU.
Auch die Gründe, warum der ländliche Landkreis ein AfD-Kreis sein sollte, ziehen nicht unbedingt: „Da wohnen nämlich die Hardcore-Griller und die grillen nicht vegetarisch. Die Leute gehen bei uns arbeiten, und zwar nicht in der Flüchtlingsindustrie, sondern die machen Schicht in der Metall- und Elektroindustrie und die Leute fahren Verbrenner. Sie wohnen in ihren eigenen Häusern und leben in normalen Familien, machen Sport im Verein. Eine schöne Gegend!“ Über die Zahlen zu vegetarisch oder vegan lebenden Menschen gibt es für die Region keine Zahlen. Fakt ist aber, dass die Zahl der Restaurants, die diese Ernährungsweisen auch berücksichtigen, größer wird. Das zeigen Stichproben der Redaktion. Dass die Menschen Verbrenner fahren, ist kein Wunder. Fakt aber ist, dass die Zulassungszahlen für Elektroautos oder Hybridfahrzeuge kontinuierlich angestiegen sind. Im ersten Halbjahr 2023 waren es sogar mehr E-Autos als Dieselfahrzeuge. Was Zaum unter Flüchtlingsindustrie versteht, erläutert er nicht.
Einige korrekte Argumente
Recht hat Zaum, wenn er von der Infrastruktur und den Kommunen spricht: „Die Straßen (sind) bald so schlecht wie in Essen, dafür ist die Straßenkriminalität genauso hoch wie in Essen. Die Finanzen sind ungefähr so kaputt wie in Gelsenkirchen. Die Gemeinden rutschen in die Haushaltssicherung und die Firmen gehen pleite. In Kreuztal-Eichen, im Stahl, werden 600 Stellen gestrichen, plus Stellen in der Zuliefererindustrie bei den Speditionen, bei den Handwerkern. Eine Vollkatastrophe für unsere Gegend. Und da kommt der eine oder andere ins Grübeln, ob denn tatsächlich eine Energiewende ins Nichts so eine gute Idee war oder ob Vielfalt wirklich unsere Stärke ist.“
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Fakt ist: Die Straßen sind marode und die Route57 lässt auf sich warten. Auch die Kriminalität ist 2023 mit 16.222 Fällen auf einem Höchststand. Nur 2018 gab es mehr Fälle (16.922). Tatsächlich ist aber auch die Zahl der rechtsextremen Straftaten bundesweit seit Jahren gestiegen. Von 2023 auf 2024 um 17 Prozent. Gestiegen ist auch die Zahl der Insolvenzen, meldet die IHK. Von 29 im ersten Halbjahr 2023 auf 41 im ersten Halbjahr 2024. Die Krise in der Autoindustrie, für die viele Unternehmen in Siegen-Wittgenstein arbeiten, hat ihren Ursprung aber nicht allein in der Bundespolitik, wie der Fall VW beweist. Und die Energiewende kommt vielen Kommunen gelegen, weil sie künftig durch Windkraftanlagen erhebliche Gewerbesteuern in die Kassen spült. Außerdem liegt der Anteil an erneuerbaren Energien in Deutschland aktuell bei knapp 60 Prozent. Das Thema Vielfalt spiegelt sich in der Wirtschaft auch nicht wider.
Flüchtlingsfeindlichkeit
„Fachkräfte kommen meistens nicht mit dem Schlauchboot und werden keinen Zerspanungsmechaniker. Nein, Vielfalt ist eine brutale Zentrifuge für unsere Gesellschaft, die zerstört, familiäre, nationale Bindungen. Und sie zieht ihre blutige Spur bis in unsere Silvesternächte und auf unsere Weihnachtsmärkte. Und dagegen wehren wir uns mit allem demokratischen Mitteln, liebe Freunde“, ruft Zaum dem Parteitag zu. Zu den Gründen, die Menschen in Schlauchbooten auf das Mittelmeer treibt, sagt er nichts. Auch dass der Attentäter von Magdeburg, ein AfD-Anhänger war, sagt er nicht.
Der Wohlstand Deutschlands habe viel zugedeckt. Inzwischen gelte diese Perspektive für die Jugend nicht mehr, behauptet der AfD-Politiker und freut sich über angeblichen Zuspruch aus der Jugend: „Was wählt die Jugend? Die Jugend wählt blau und als populistischer Lehrer - so seit 27 Jahren - muss ich sagen, das freut mich ungemein. Manche sagen, ich wäre ein rechter Lehrer, die linke Presse, muss ich sagen, hatten ausnahmsweise mal recht. Ja, ich bin Reserveoffizier. Ich bin Burschenschafter. Ich bin überzeugter AfDler. Und die Jugendlichen finden es geil, einen rechten Lehrer zu haben“, spricht Zaum auch seine Burschschaftsvergangenheit in einer als rechtsradikal eingestuften Gruppierung „Rheinfranken“ an.
Für Siegen-Wittgenstein gibt es keine Auflösung nach Altersstrukturen. Fakt ist, dass aber vor allem Männer AfD wählen und die laut Statista stärkste Gruppe die 30- bis 59-Jährigen sind. Bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren sind es 18 Prozent der Männer und nur 9 Prozent der Frauen, die AfD wählen. Andere Studien gehen bei den 14- bis 29-Jährigen davon aus, dass 25 Prozent gar keine Wahlentscheidung getroffen haben, sagt die ARD.
Zu viele Abiturienten
Und dann greift Zaum das Gendern und die Debatte über Geschlechter auf: „Wenn sie junge deutsche mit Migrationshintergrund, junge Türken fragen, was sie von E-Autos halten oder wie viele Geschlechter es gibt, da werden sie ganz erstaunliche Schnittmengen mit dem AfD Parteiprogramm entdecken können.“ Für Zaum ist deshalb klar: „Junge Deutsche, die brauchen eben mehr. Sie brauchen Vorbilder. Sie brauchen Wissen, sie brauchen Identität. Und was bekommen wir in der Schule: Ideologie und gute Noten für nichts. 51 Prozent machen Abitur. Was für ein Quatsch [...].“
Und am Schluss formuliert er seine Gegensatzpaare. „Wir wollen nicht nur ein bisschen weniger Steuern, ein bisschen weniger Abgaben, ein bisschen mehr Achtziger. Wir wollen ein Deutschland schaffen, das diesen Namen auch verdient. Bildung statt Haltung, Identität statt Vielfalt, Remigration statt Sozialstaat. Mehr Deutschland statt Europa.“