Netphen. Waldgenossen erwirtschaften mit Wind Geld, das sie für den Aufbau eines neuen Waldes brauchen. Die Bürgergenossenschaft stellt den ersten Antrag.

Zumindest ein kleiner Meilenstein ist die Bekanntmachung, die vor ein paar Tagen von der Kreisverwaltung veröffentlicht wurde: Um den Bauantrag für die vier Windräder in der Gemarkung Obernau östlich der Talsperre weiter zu bearbeiten, ist keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich. Es ist der erste Vorbescheid, den die im vorigen Herbst gegründete Bürgerenergiegenossenschaft Siegen-Wittgenstein eG beantragt. Walter Schäfer, Vorsitzender der Genossenschaft, ist vorsichtig: „Erst wenn die Genehmigung da ist, beginnt ein neues Spiel. Bis dahin ist alles Spekulation.“

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Das ist die Idee

Waldbesitzer haben durch Dürre und Borkenkäferbefall in den letzten Jahren viel Wald verloren. Auf den „Kalamitätsflächen“ – so heißen die baumlosen Steppen – werden Windräder errichtet. Die Pachteinnahme ersetzt den Einnahmeausfall und ermöglicht es, eine Wiederaufforstung zu finanzieren. Wie immer, wenn es um Wald geht, erstreckt sich die Betrachtung auf einen langen Zeitraum. Etwa 25 bis 30 Jahre tut so ein Windrad seinen Dienst. „Wir gehen davon aus, dass nach 20 Jahren überlegt werden muss“, sagt Walter Schäfer. Ob die Anlage „repowert“ wird, also durch ein dann moderneres Gerät ersetzt wird. Oder ob sie abgebaut wird und dem „Wald 2.0“ Platz macht.

Bürgerenergiegenossenschaft Siegen-Wittgenstein
Walter Schäfer ist Vorstand der Bürgerenergiegenossenschaft Siegen-Wittgenstein. © WP | Steffen Schwab

„Erst wenn die Genehmigung da ist, beginnt ein neues Spiel. Bis dahin ist alles Spekulation.“

Walter Schäfer, Bürgerenergiegenossenschaft Siegen-Wittgenstein

Und so funktioniert das

Die Genossenschaft um die Vorstände Walter Schäfer, Ralf Stricker und Gernot Schäfer spricht die Waldgenossenschaften an. Etwa 40 Prozent, schätzt der Vorsitzende, bekommen keine Genossenschaftswindräder: weil sie schon an privatwirtschaftliche Projektierer verpachtet haben, weil ihre Flächen ungeeignet sind – oder weil sie einfach nicht wollen. Die anderen 60 Prozent aber sind mögliche Partner für einen Pachtvertrag. „Wir werden in diesem Jahr noch einige Verträge abschließen“, kündigt Walter Schäfer an.

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Dass die Privaten ein paar Jahre schneller waren und beweglicher sind als Energiegenossenschaften, räumt der Netphener ein. Fünf- bis sechsstellige Beträge sollen da fließen, „das ist für jede Waldgenossenschaft eine beträchtliche Summe.“ Die Bürgerenergiegenossenschaft kann da nicht mithalten, sagt Walter Schäfer. „Wir rechnen bewusst sehr konservativ.“

Voran geht eine kostenlose Ersteinschätzung durch die Fachleute von BBWind. Die „Bäuerlichen Windparks“ sind ein Unternehmen des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands, das auch mit einem Büro im Kreuztaler Haus der Landwirtschaft vertreten ist. Wenn diese erste Hürde genommen ist, übernimmt BBwind die weitere Projektentwicklung, holt die erforderlichen Gutachten ein, schaut auf Wirtschaftlichkeit und Finanzierung, verhandelt im Genehmigungsverfahren mit der Behörde und begleitet die Bauphase. Auch den späteren Betrieb und die Vermarktung des erzeugten Stroms kann BBwind übernehmen.

Wer bezahlt das?

„Wir haben keine öffentlichen Finanziers gefunden, um das Risiko abzusichern.“ Eine wichtige Rolle spielt der Uni-Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und neue Medien von Prof. Dr. Volker Wulf, an dem auch Walter Schäfer arbeitet. Uni und Landwirtschaftsverband wurden schließlich beim Siegerlandfonds der Sparkasse und den Siegener Versorgungsbetrieben fündig. Sie werden nun eine GmbH gründen und mit der Genossenschaft eine Vereinbarung über das bereitzustellende „Risikokapital“ abschließen.

Risiko? Niemand weiß, wie die Genehmigungslage sich entwickelt. Als „volatil“ bezeichnet Walter Schäfer vornehm das derzeitige Durcheinander der Anforderungen von Bund, Land, Bezirksregierung, Kreisverwaltung und nicht zuletzt den Gerichten. „Ein Genehmigungsverfahren zieht sich über Jahre hin.“ In denen kann Politik viel anrichten. „Und wenn dann plötzlich ein Rotmilan gefunden wird …“ Ein sechsstelliger Betrag kann da schon mal auflaufen, bevor am Ende dann doch kein Windrad aufgebaut werden darf. Günter Pulte, der seit über einem Jahrzehnt den zweiten Hilchenbacher Rothaarwind-Park vorbereitet und auch den Start der Genossenschaft begleitet hat, kann ein Lied davon singen.

Einfacher wird es, nach der Genehmigung die acht bis zehn Millionen Euro Investitionskosten je Windrad aufzubringen – denn dann ist ja sicher, dass mit der Anlage Geld verdient werden kann. Die Genossenschaft wird sich Geld von Banken und Investoren besorgen, vor allem aber auch Bürgern anbieten, Anteile zu zeichnen und mitzuverdienen, zuallererst den jeweiligen Waldbesitzern, dann den Einwohnern der Standortgemeinde. „Die Leute sollen sich damit identifizieren können, dass sie einen Teil ihrer eigenen Stromerzeugung beisteuern.“

Was kann man gegen Windräder haben?

Walter Schäfer ist ehrlich. „Ich bin als Naturmensch auch nicht unbedingt dafür.“ Schön sind sie halt nicht, die großen Rotorblätter auf den Bergkuppen. „Aber welche Alternativen haben wir?“ Photovoltaik sei im Siegerland nicht sonderlich ergiebig, und Wasserstoff – „ich wäre froh, wenn wir den hätten.“ Befürchtungen allerdings, wie sie auch in der Netphener Politik geäußert würden, dass die Stadt von Dutzenden Windrädern „umzingelt“ würde, hält Walter Schäfer nicht für realistisch: Schließlich sollen ja nur zwei Prozent der Fläche Deutschlands für die Erzeugung von Windenergie verwendet werden.

Und wie schätzt er die Chancen für den Vertrag mit der Waldgenossenschaft Obernau ein, in der er selbst Mitglied ist? „Ich hoffe auf Einsicht.“ Die ausgewählten Standorte liegen nämlich auch noch in der Wasserschutzzone. Die Stadt selbst hat zu allen 35 aktuell beantragten Standorten ihr Einvernehmen versagt. Neuerdings ist jedoch wieder offen, ob das für die Entscheidung der Kreisverwaltung überhaupt eine Rolle spielt.

Gibt es Visionen?

Dass die Windenergie ausreicht, um nicht nur Privathaushalte, sondern auch die Industrie zu versorgen. „Die müssen ja auch mal irgendwann was Grünes vorlegen.“ Bedarf und Erzeugung sind dann im Einklang, sodass kein Windrad mehr abgeschaltet werden muss, weil man seinen Strom nicht braucht. Industrie und Kommunen sitzen an einem Tisch und bündeln die Aktivitäten.

Vision 2 ist eigentlich keine mehr: An der Uni entstehen Abschlussarbeiten quer durch das ganze Spektrum der Kreislaufwirtschaft, vom Wirtschaftsrecht bis zur pluralen Ökonomie, und die Absolventen arbeiten in den Betrieben der Region an ihren Themen weiter.

Vision 3 ist die, mit der alles angefangen hat: „Dass wirklich der Strom erzeugt wird, der es den Waldbesitzern ermöglicht, ihre Genossenschaft am Leben zu halten.“ Einschließlich der 300 Hektar der Waldgenossenschaft Obernau, an der auch Walter Schäfer einen Anteil hält.

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