Hilchenbach.. 61.000 Menschen kommen zu Kultur Pur. Der Festivalleiter zieht seine Bilanz: In Extremo und Wincent Weiss rocken, doch es gab auch Schwächen.


Das Fazit? „Intensiv. Müde. Glücklich“, sagt Jens von Heyden am Montagabend. Der Festivalleiter von Kultur Pur zieht seine Bilanz.

Das waren die Höhepunkte

Das Konzert der Philharmonie mit der Schlagzeugerin Vivi Vassileva, das es so nicht gegeben hätte, wenn der eigentlich engagierte Martin Grubinger sich nicht krank gemeldet hätte. „Die wird bestimmt noch einmal ganz groß rauskommen“, sagt von Heyden über die junge Solistin. „Nerven gekostet“ habe es, dieses Programm kurzfristig auf die Beine zu stellen. Die Mühe habe sich gelohnt: „Es war toll.“

Das Konzert von In Extremo war ein Magnet: Sehr viele Hände gingen hoch, als nach Gästen von außerhalb gefragt wurde. Und auch sehr viele, als sich die melden sollten, die vor zehn Jahren beim ersten Konzert auf dem Giller auch schon dabei waren. „Wir haben ein riesiges Fan-Publikum erreicht.“ Dasselbe gilt für Wincent Weiss. Die ersten jugendlichen Besucherinnen haben schon die Nacht davor bei 5 Grad draußen verbracht: „Die haben sich Nummern auf die Hand geschrieben, wer zuerst da war.“ Und als Erste rein durfte.

Das war der Rekord

Neun von 14 Bezahl-Veranstaltungen waren ausverkauft. Das gab es noch nie. Und mit den 61.000 Besuchern insgesamt, 3000 mehr als im Vorjahr, trägt sich das Festival im oberen Bereich der Statistik ein. Erst zwei Mal kamen noch mehr.



Das waren die Risiken

„Wir wollen natürlich breit aufgestellt sein und auch anderes zeigen, was man hier vielleicht noch nicht gesehen hat.“ Das Risiko, damit das Publikum nicht zu erreichen, gehen die Macher ein: „Das gehört zu Kultur Pur dazu“, sagt Jens von Heyden. Seun Kuti und seine Afrobeat-Band zum Beispiel. „Viele Leute konnten mit dem Begriff Afrobeat nichts anfangen. Aber es muss unsere Aufgabe sein, solche Experimente zu wagen.“ Oder das Bruchwerk-Theater, vielleicht am ganz frühen und zudem heißesten Nachmittag des Festivals vielleicht auch etwas unglücklich platziert. Das Kalkül, mit der Eintrittskarte einem jüngeren Publikum auf jeden Fall die kostenlose Fahrt auf den Giller zu ermöglichen, ging hier nicht auf. Schlimm fürs Bruchwerk findet von Heyden das nicht: „Die fangen doch gerade erst an.“



Das waren die Regionalen Acts

„Wir wollen eine Plattform für Kulturschaffende aus der Region bieten.“ Für das neue Siegener Bruchwerk-Theater. Aber auch für Bands wie Rayquasa, die – von Kultur Pur so genannten – „Kids-Rocker aus Wittgenstein“, die die Außenbühne am Samstagabend buchstäblich geentert haben. „Die hatten hier schon mal als Piratenband gespielt“, erzählt von Heyden und grinst. Vor zwei Jahren war das, als sie auf einmal auf der Wiese die Instrumente auspackten und losspielten. Das und, wie von Heyden eingesteht, „ihr gutes Marketing“ verhalfen ihnen zum Vertrag.

So inklusiv war das Festival

„Es freut mich, dass die Leute sich trauen, mit dem Rollstuhl hier hoch zu kommen“, sagt Jens von Heyden – die Assistenzangebote dürften ihren Anteil daran haben, dass Menschen mit Handicap allmählich wie selbstverständlich zum Bild des Festivals dazu gehören. „Wir erreichen eine gewisse Normalität, und das wollen wir auch.“ Der Auftritt der Includers, auch ein regionaler Act, der Band von Musikern und Sängern mit und ohne Behinderung, gehört programmatisch dazu.



Das sind die Verbesserungswünsche

„Es gibt immer etwas zu verbessern“, sagt Jens von Heyden erst einmal ganz allgemein. Festival-Pressesprecher Andreas Schmidt wird spontan konkret: „Mehr Fahrradständer.“ 120 Abstellmöglichkeiten hatte Kultur Pur erstmals angeboten. „Wir hätten 300 bis 400 gebraucht“, sagt Jens von Heyden. Das Festival wird offenbar schneller grün als geplant… „Manche wollten such aber auch nicht trennen.“ Das kleinwagenteure E-Bike musste mit auf die Picknickdecke.

Das waren die Besucher

Begegnungen: Das fiel auf, wie sich am Freitagabend, die zwei so unterschiedlich besetzten Warteschlangen vor dem großen und kleinen Zelt teilten. Rechts die Mädchen zu Wincent Weiss, links die Grauköpfe zu den


. Oder am Samstag: Rechts die Kerle zu In Extremo, links die Soften zu Stefanie Heinzmann – Abweichungen vom Klischee natürlich ganz und gar nicht ausgeschlossen. Hinterher kamen sowieso alle wieder zusammen. „Das freut uns“ sagt Jens von Heyden, „Kultur schafft Begegnung.“ Nicht nur beim Publikum. Auch die Teams der Mittelalter-Rocker und der Sängerin aus der Schweiz haben bis tief in die Nacht miteinander gefachsimpelt. Und dazu das eine und das andere Bier getrunken.

So geht es nächstes Jahr weiter

Das Jubiläum: Kultur Pur kommt im nächsten Jahr mit der 30. Ausgabe. „Es hat natürlich schon Meetings gegeben und die eine oder andere Anfrage bei Künstlern“, sagt Jens von Heyden. Nicht ausgeschlossen, dass es zum Jubiläum wieder mehr Programm geben wird, wie bei den vorherigen Jubiläen auch. „Es wird etwas Besonderes geben“, deutet der Festivalleiter an. Aber ein Geburtstagsgeschenk ist ja auch irgendwie keins, wenn es nicht auch ein bisschen überrascht. „Kultur Pur steht mitten im Leben“, sagt Jens von Heyden und deutet auf die beiden Zelte neben dem großen Zelt: „Zwei Kinder hat es auch.“



Das ist das Kultur-Pur-Gen

Perspektiven: Um die Zukunft ist ihm nicht bange: Im Team ist die zweite und dritte Generation aktiv, im Publikum haben schon die Kinder von einst, die Anfang der 1990er mit ihren Eltern auf den Giller kamen, wieder eigenen Nachwuchs. „Das Kultur-Pur-Gen wird vererbt.“ Veränderungen, auch durch digitale Medien in Präsentation und Kommunikation, auf der Bühne mit neuen Darstellungsmöglichkeiten und in einem Dauer-Online-Publikum, natürlich inbegriffen, weiß Jens von Heyden „Aber das ist gar nicht so schlecht.“

Kultur pur 2019 im Rückblick