Hagen. Mit dem Anspruch „Zuhören und ausreden lassen“ stellt sich die Stadtredaktion Hagen der Diskussion mit den Menschen in der Stadt.
Wenn mitten in der Karnevalssession im Heidetreff an der Overbergstraße an einem verregneten Donnerstag zu später Stunde noch das Licht brennt, steht gewöhnlich die Narretei und die Vorbereitung der Straßenumzüge im Mittelpunkt einer Versammlung. Doch an diesem Abend geht es in der bunt gemischten Runde aus Bürgern aus dem Hagener Norden weniger um Frohsinn und Jeckentum, sondern die Stadtredaktion Hagen stellt sich der Diskussion über ihr Wirken, den Wandel im Journalismus und möglicher Kritik an der Berichterstattung. Der klare Anspruch: „Zuhören und ausreden lassen.“ Es gilt für die Redakteure, in offener Runde andere Meinungen tatsächlich anzuhören und nicht bloß zu erdulden.
Auch interessant

Denn auch für die Presse gilt: Wer immer wieder öffentlich Position bezieht, Menschen und Sachverhalte hinterfragt und in Kommentaren pointiert Meinung verbreitet, muss sich genauso der Kritik stellen können. Wie blicken die Leser und User inzwischen auf die Berichterstattung in dieser und über diese Stadt? Was sind die Stärken und Schwächen des Redaktionsteams? Werden dort Meinungen unterdrückt, Themen falsch bewertet oder gar in Tabu-Ecken abgedrängt? Und wo würden die an diesem Abend versammelten Bürger sich andere Schwerpunkte wünschen? Gehört die Stadtredaktion zur sogenannten „Lügenpresse“, agieren dort womöglich System-Journalisten oder gar linksversiffte Agenda-Schreiberlinge? Stoff genug für einen zweistündigen intensiven und wirklich spannenden Austausch über Glaubwürdigkeit, Bedeutungsverlust und Rollenverständnis, an dessen Ende beide Seiten deutlich klüger und mit besserem Verständnis füreinander nach Hause gehen.

Erster Blick auf Lokales
„Ich schätze es total, den Lokalteil aufzuschlagen und mir dort die Informationen zu den Dingen vor Ort zu holen“, betont Michael Kersting zum Einstieg in den Gedankenaustausch, „schließlich bekomme ich diese Inhalte ja an keiner anderen Stelle in den überregionalen Medien.“ Allerdings beobachtet er zugleich, dass sich zunehmend eine Kultur der Aufgeregtheiten und Empörungen in der Berichterstattung in den Vordergrund dränge. „Dabei kann ich durchaus nachvollziehen, dass Redaktionen jene Themen intensiv bearbeiten, die mehr Klicks erzeugen und somit hinter der Bezahlschranke (Anm. d. Red.: Bepreisung einzelner Berichte) mehr Aussicht auf Erfolg haben.“ Daraus dürfe jedoch keine Spirale entstehen, die Themen abdrängt, die zwar weniger polarisieren, aber dennoch wichtig und relevant bleiben: „Es tut gut, auch den anderen gesellschaftlichen Kitt immer wieder ordentlich einzustreuen. Ich würde mir wünschen, nicht dem verlockenden, süßlichen Geschmack der Empörung zu erliegen.“
Weitere Themen aus Hagen
- Seit 30 Jahren hinter der Theke im „Domenico“
- Knaller-Februar für Eintracht: Alle Infos
- Bundestagswahl 2025: 25 Fragen an Katrin Helling-Plahr
- Wie „Bochum“? Studio bringt Hagen-Hymne raus
- Umbruch: Personalwechsel bei Volksbank Hohenlimburg
- Anwohner wütend über Kahlschlag auf Hagener Friedhof
- Grippewelle: Influenza hat Hagen stark im Griff
- Trinkwasserbrunnen: Erste Standorte festgelegt
„Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Redaktionen jene Themen intensiv bearbeiten, die mehr Klicks erzeugen und somit hinter der Bezahlschranke mehr Aussicht auf Erfolg haben.“
„Ich fühle mich zwar gut informiert, beobachte aber zugleich einen deutlichen Qualitätsverfall“, diagnostiziert derweil Burkhard Schwemin, der ebenfalls auf die Lokalberichterstattung schwört. Was er früher als gute Information wahrnahm, hat für den Boelerheider heute eher boulevardesken Charakter. „In diese Richtung bewegen sich die lokalen Medien.“ Zugleich wünscht er sich mehr vertiefende Berichterstattung aus den Vereinen, nah an den Menschen und deren Lebenswirklichkeit.

Dem Unbekannten eine Bühne zu geben, darin sieht wiederum Alfons Kruse die vornehmste Aufgabe der Redaktion: „Es gibt in unserer Gesellschaft viele Gruppen, die noch gar nicht so bekannt sind, vor allem im Ehrenamt, die eine Würdigung verdient hätten“, möchte er viel häufiger überrascht werden. Gerade das soziale Engagement in Hagen, ergänzt Edgar Riepe, habe eine so wichtige Bedeutung, dass es regelmäßiger in den Mittelpunkt des Interesses gerückt werden sollte.
Inhalte sind unverzichtbar
Dass die Medienhäuser in Zeiten der digitalen Transformation auf der Suche nach ihrer Rolle sind, kann Tobias Kleine gut nachvollziehen, zumal ihn auch ganz persönlich die Frage triggert, wohin die Reise dort gehen könnte: „Viele Jahre haben wir gehört, Zeitung ist tot, wir brauchen kein Print mehr. Aber irgendwie brauchen wir es ja doch, zumindest die Inhalte. Damit geht eine hohe gesellschaftliche Verantwortung der Redaktion einher“, analysiert der junge Familienvater.
„Viele Jahre haben wir gehört, Zeitung ist tot, wir brauchen kein Print mehr. Aber irgendwie brauchen wir es ja doch, zumindest die Inhalte. “
„Die Baby-Boomer-Generation hat noch dieses tradierte Vertrauen in die Verlässlichkeit der Berichterstattung. Die Meinungsmache auf so vielen Kanälen, die nicht von den klassischen Medien wie der Stadtredaktion kommt, müsste mehr moderiert und eingeordnet werden“, sieht er zugleich die Gefahr einer sich entkoppelnden Gesellschaft, in der eigentlich der Zusammenhalt wieder gestärkt werden müsste. „Als Lokalpatriot meine ich, dass die Impulse für den Kitt, der Hagen ausmacht, mehr gepflegt werden müssten. Denn es ist ja nicht alles schrecklich in dieser Stadt“, meint Kleine und erteilt damit zugleich einen klaren Auftrag an die Stadtredaktion.

„Ja, wir haben viele Probleme, aber es gibt auch vieles, was gut ist.“ Hier sei die Zeitung inzwischen gefordert, auf lokaler Ebene auch die Leute zu erreichen, die zwar keinen Print mehr lesen, aber im Netz unterwegs sind, sieht er hier die Bezahlschranke für guten Journalismus als ein wesentliches Hindernis dafür, dass gerade jüngere Konsumenten nicht mehr erreicht würden.
Nähe zu den Menschen
Nähe zu den Menschen und den Blick in die Stadtteile betrachtet Ruth Steinhoff als wesentliche Aufgabe des Lokaljournalismus und liefert zugleich eine Steilvorlage für einen Vorschlag von Rainer Gredig: „Heimatliches Brauchtum müsste einmal im Monat eine Rolle spielen“, damit diese Heimatverbundenheit öfter in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung rücke. Ein Anspruch, dem die Stadtredaktion sich durchaus verpflichtet fühlt, zumal deren Redakteure selbst reichlich Hagener Wurzeln und Netzwerke mitbringen. Daraus entstehe ein täglicher Mix aus Nachrichten, Hintergründen und menschelnden Geschichten, in denen vor allem die Wahrhaftigkeit, aber auch die kommentierende Einordnung im Mittelpunkt stehe, formuliert Redaktionsleiter Jens Stubbe den eigenen Anspruch seines Teams.
„Heimatliches Brauchtum müsste einmal im Monat eine Rolle spielen.“
„Zunächst einmal ist die Gesellschaft, und somit wir alle, selbst dafür verantwortlich, wie die Konstitution unserer gegenwärtigen Gesellschaft ausfällt“, möchte Michael Kersting den Medien keine zu einseitige Verantwortung zuschreiben, die dies allein gar nicht tragen könne. Zugleich erwartet er, dass die Stadtredaktion sowie die demokratischen Parteien der Mitte sich intensiver im Internet auch in jene Gefilde begeben, in denen Jugendliche sich tummeln, um diese zu erreichen. Aber er schränkt ein: „Auf TikTok grassieren zum Teil unmoderierte Vorgänge von Nicht-Informationen und Unwahrheiten, die man nur schwerlich eingefangen bekommt.“ Hier sei eine Stadtredaktion bereits heute auf verlorenem Posten, was die Reichweite bei Jugendlichen betrifft.

Die große Reichweite im Netz sei dennoch eine Chance, auch für die Lokalzeitung, konstatiert Tobias Kleine. „Allerdings geht damit die Erwartungshaltung einher, dass es auch kostenlos ist“, sieht er hier ein Dilemma für die Verlage, die ja zunächst Erlöse erwirtschaften müssen, um guten Journalismus finanzieren zu können. Zugleich schreibt der Familienvater der Tagespresse einen Bildungsauftrag beispielsweise bei so zentralen Familienthemen wie Kita und OGS zu: „Ein Teil der Eltern versteht ja heute schon gar nicht mehr, wie das System funktioniert.“ Daher seien die Menschen auch empfänglich für simplifizierte Lösungen selbsternannter politischer Heilsbringer, deren Vorschläge zwar gut klingen, aber abseits aller Realitäten sind. „Hier müsste es Teil des Anforderungsprofils für eine Redaktion sein, der Gesellschaft die Zusammenhänge immer wieder vor Augen zu führen.“ Der Auftrag: Ratgebern mit schlichten, unrealistischen Lösungen durch belastbare Fakten und Informationen den Wind aus den Segeln nehmen. Und dies als ein Medium, das zwar nicht, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk, mit staatlicher Finanzierung agiere, sondern aus eigener Kraft letztlich eine gesellschaftliche Aufgabe stemmen müsse, analysiert Kleine eine Krux der Tagespresse.
Klare Erwartungshaltung
„Unsere Kinder müssen ja genauso in die Lage versetzt werden, das gesellschaftliche Leben zu begreifen“, sieht Burkhard Schwemin hier ebenso eine Kernaufgabe der Redaktion, durch Leseangebote die notwendigen Informationen und Hintergründe zu vermitteln. Zwar schaffe die Schule hier die Basis, aber später würden eben Kanäle wie TikTok diese Rolle übernehmen, weil die Jugend die Bezahlschranken meide: „Das ist die Schwierigkeit, weil die Medienhäuser sich ja auch irgendwie finanzieren müssen, um ehrliche Information und vernünftigen, unabhängigen Journalismus betreiben zu können.“
„Unsere Kinder müssen ja genauso in die Lage versetzt werden, das gesellschaftliche Leben zu begreifen.“
Dabei appelliert Michael Werth, Themen häufiger mit einem wohlwollenden Ansatz aufzugreifen und in einer Stadt wie Hagen, die unbestritten zu viele Probleme habe, nicht zu oft den negativen Ansatz zu suchen: „Man kann Themen auch positiv darstellen, damit die Leute, die für die Stadt was tun, in ein besseres Licht gerückt werden“, denkt er beispielsweise an die Aktivitäten der Stadtverwaltung. „Viele reiben sich dort eben auch für unsere Heimatstadt auf.“

Unterstützung kommt von Frank Edeling: „Manchmal mag ich die Zeitung gar nicht mehr lesen, weil immer wieder negative Dinge in den Vordergrund rücken. Dabei hat Hagen so viele schöne Dinge anzubieten“, hat er vor allem die täglichen Wahrheiten aus dem Polizeibericht satt. Widerspruch von Michael Kersting: „Das ist keine Aufgabe von Lokaljournalismus, darum müssen sich originär Stadtmarketing und Tourismus kümmern.“ Dennoch verweist Burkhard Schwemin auf eine politische Verantwortung der Redaktion, Nachrichten über Kriminalität und Verwahrlosungsphänomene in der Stadt nicht allzu hoch zu hängen, um kein wachsendes Negativ-Image zu befördern und somit rechten Kräften Argumente zu liefern.
„Manchmal mag ich die Zeitung gar nicht mehr lesen, weil immer wieder negative Dinge in den Vordergrund rücken. Dabei hat Hagen so viele schöne Dinge anzubieten“
Konsequente Gangart
Widerspruch kommt dabei von Tobias Kleine. Gerade beim Thema OGS erwarte er, dass die Redaktion bei der Recherche über die Missstände in Hagen noch viel tiefer bohre: „Als Bürger in Hagen würde ich sagen, die aktuelle Entwicklung ist eine Vollkatastrophe, das ist Arbeitsverweigerung der Stadtverwaltung. Da würde ich mir weniger Politness wünschen“, setzt der Familienvater wiederum auf eine konsequentere Gangart der Journalisten.

Unter dem Strich ein inspirierender Abend voller Appelle, Fragen, Anregungen und Aufträge. Eine Begegnung, die zugleich zum Mutmacher für das Redaktionsteam wird, weiter durch intensive Recherche und Faktenchecks eine ausgewogene, sorgfältige Berichterstattung anzustreben, die wahrhaftige Ergebnisse liefert und somit das Vertrauen in professionellen Journalismus und die Lokalberichterstattung – sei es auf Papier, im E-Paper oder als Online-Angebot – jeden Tag aufs Neue rechtfertigt. Die Stadtredaktion fühlt sich diesem Anspruch, der zugleich ein Qualitätsversprechen für die tägliche Arbeit darstellt, auch künftig verpflichtet.