Hagen. Zusammen sind Verbände wie Caritas, Diakonie und AWO die größten Arbeitgeber in Hagen. Kürzungen im sozialen Bereich treffen Mitarbeiter hart.

Nimmt man die Sozial- und Wohlfahrtsverbände in Hagen zusammen, so bilden sie mit großem Abstand den größten Arbeitgeber der Stadt. Tausende sind es, denen sie Beschäftigung bieten, Tausende kommen hinzu, die sich ehrenamtlich engagieren. Mit dieser geballten Stärke sorgen die Verbände in einer Stadt mit schwieriger Sozialstruktur dafür, dass das Zusammenleben unterschiedlichster Menschen funktionieren kann. Die Sparpläne der Landesregierung werfen da ebenso Fragen auf wie die Insolvenz in Eigenregie des DRK-Kreisverbandes Hagen. Über die Finanznot der Verbände sprach unserer Redaktion mit Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AWO, Caritas, Paritätischem, DRK, Diakonie).

Wie blicken Sie auf die Beschlusslage in Düsseldorf, wo die Landesregierung ja erst 80 Millionen Euro, jetzt noch 40 Millionen im sozialen Bereich einsparen möchte?

Birgit Buchholz (AWO-Geschäftsführerin): In den letzten eineinhalb Jahren sind so viele Dinge im sozialen Bereich und in der Wohlfahrtspflege passiert, dass man sagen muss: Letztlich ist das der Tropfen auf den heißen Stein. Es gibt Kürzungen in allen öffentlichen Haushalten. Hagen selbst befindet sich in der Haushaltssicherung. Und: Bei all den Diskussionen wird zunächst nur auf Bereiche geschaut, in denen gekürzt werden soll. Dazu kommen aber auch die, die schon jetzt nicht auskömmlich finanziert sind - zum Beispiel die Kinderbetreuung. Dann noch die Inflation, die nicht ausgeglichen wird. Dazu Lohnsteigerungen, die die Mitarbeiter ja verdient haben.

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Rolf Niewöhner, Vorstand Caritas Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Rolf Niewöhner (Caritas-Vorstand): 80 oder 40 Millionen Euro sind erst einmal jeweils nur eine Zahl, die im Raum steht. Die Träger der freien Wohlfahrtspflege sind beim Erbringen von Dienstleitungen und der Daseinsvorsorge für die Menschen unterschiedlich aufgestellt. Wir als Caritas haben als komplexer Träger viele Säulen der Dienstleistungserbringung zur Daseinsvorsoge. Und hinter jeder Leistungserbringung steht eine andere Form der Finanzierung. Nehmen wir z. B. die Alten- und Gesundheitshilfe: Da sind die Krankenkassen mit im Boot. Bei der Eingliederungshilfe sprechen wir mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Münster und der Stadt Hagen. Bei den freiwilligen sozialen Beratungsangeboten kommt neben der Stadt das Land NRW mit ins Spiel, das hier vor allem sparen will. In vielen Bereichen müssen wir vorfinanzieren, bevor wir tatsächlich Gelder erhalten. Das macht es sehr komplex und führt zu einem hohen bürokratischen Aufwand, in dem wir mit jedem Kostenträger in die Verhandlungen gehen müssen Eins möchte ich an dieser Stelle besonders betonen: Wir wollen für die Menschen in Hagen da sein, die unsere Unterstützung für ihr Leben brauchen. Dabei geht es uns um Zuverlässigkeit und Qualität die bei den Menschen auch ankommt.

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Birgit Buchholz, Geschäftsführerin AWO Unterbezirk Hagen-Märkischer Kreis. © WP | Michael Kleinrensing

Buchholz: Sorgen machen wir uns um freiwillige Leistungen, wobei darüber streiten kann, wie „freiwillig“ die sind. Denken wir an Begegnungsstätten, die einen wichtigen Beitrag leisten, dass Menschen im Alter nicht vereinsamen. Da gibt es ganz niederschwellige Angebote, das klassische Kaffeetrinken, das Basteln, aber eben auch Beratung. Die Stadt bestreitet gar nicht die Wichtigkeit dieser Arbeit, aber die Finanzierung steht trotzdem auf der Kippe. Ähnliches ist es bei der Sucht- oder der Schuldnerberatung. Ich weiß nicht, ob es diese Angebote in zwei Jahren in Hagen noch gibt.

Matthias Heuer (Ev. Familienbildung): Und gerade an diesem Beispiel wird deutlich: Eigentlich kann man es nicht einmal Verantworten, solch ein Angebot zu reduzieren. Denn die Nachfrage wird ja immer größer. Diakonie, AWO und Stadt sind auf diesem Gebiet tätig. Und wenn man das Personal verdoppeln würde, hätten immer noch alle genug zu tun.

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Aber ist es nicht so, dass die Wohlfahrtsverbände schon seit Jahren jammern...?

Buchholz: Ja, ja - und am Ende kriegen sie doch alles irgendwie wieder hin. Aber jetzt wird die Luft immer dünner, weil eben auf allen Ebenen gleichzeitig massive Kürzungen anstehen. Letztlich ist es ja die Aufgabe der freien Wohlfahrtspflege, orientiert an unseren Werten, Leistungen im öffentlichen Auftrag anzubieten. Dabei stehen wir mittlerweile in Konkurrenz zu privaten Trägern - wir aber sind nicht gewinnorientiert unterwegs, sondern wenn etwas übrig bleibt, dann reinvestieren wir diese Gelder.

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Luisa Kinzel arbeitet für die Evangelische Familienbildung Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Was bedeutet dieser Rahmen denn für Hagen?

Buchholz: Ganz konkret - es wird schon sehr kurzfristig einige Angebote, die die Wohlfahrtverbände in der Stadt vorhalten, nicht mehr geben. Dabei sprechen wir ja letztlich nicht nur für uns. Wir sind ja auch Anwälte derer, die von einem Problem betroffen sind und denen wir bisher noch helfen können. Sei es der Migrationsdienst, sei es ein Kurs, der nicht mehr angeboten werden kann - immer stehen Menschen dahinter. Und letztlich in vielen Fällen auch ehrenamtliches Engagement, das dann wegbricht.

Wiegen Sparbeschlüsse in einer Stadt, die eine Sozialstruktur wie Hagen hat, besonders schwer?

Birgit Buchholz: Ja, natürlich. Die Hilfe für Wohnungslose, die Schuldnerberatung oder die Flüchtlingshilfe sind so klassisches Felder. Da haben besonders kirchliche Träger in früheren Jahren sogar noch eigenes Geld mitgebracht. Und im Laufe der Jahre sind die Eigenmittel noch gestiegen. Irgendwann geht das aber nicht. Jetzt sind Gelder im Rahmen des Programms „Komm an“ gestrichen worden - das trifft in Hagen zum Beispiel Einrichtungen wie das Soziale Küchenstudio.

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Evangelische Familienbildung Hagen (efb) (Diakonie / Diakonisches Werk). Leiter Pfarrer Matthias Heuer Sozialverbände - Arbeitsgemeinschaft der örtlichen Träger der FreienWohlfahrtspflege in Hagen (AWO, Caritas, Paritäter, DRK, Diakonie). © WP | Michael Kleinrensing

Luisa Kinzel (Evangelische Familienbildung): Um das noch konkreter zu machen. Wir finanzieren über Fördertöpfe, die jetzt wegbrechen, Referenten und Mitarbeiter. Wenn alles so kommt, wie nun geplant, wir es bald keine mehrsprachigen Krabbelgruppen für Mütter, Treffs für Flüchtlinge in den Familienzentren oder Nähkurse für Ukrainerinnen mehr geben. Wir gehen ganz bewusst dahin, wo die Menschen ohnehin sind. Wenn wir das nicht mehr können, zerbricht Vertrauen, das wir mühsam aufgebaut haben.

Matthias Heuer: Die Stadt hat ja schon in 2024 Mittel kürzen müssen. Wir haben dann zum Teil Angebote für Flüchtlinge auf sehr niederschwelligem Niveau übernommen und Gelder dafür vom Land erhalten. Jetzt aber werden Leistungen auf null heruntergefahren.

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Die Kinderbetreuung ist eines der Felder, auf dem sich Wohlfahrtsverbände in Hagen engagieren. Kostendeckend ist dieser Bereich nicht. © WP | Michael Kleinrensing

Was sind Paradebeispiele, die die Integrationskraft belegen?

Niewöhner: Bei uns bei der Caritas gibt es zum Beispiel ein Projekt, das geholfen hat, 14 jugendlichen Roma im Rahmen der Praxisklasse gemeinsam mit der Ernst-Eversbusch-Schule in eine Ausbildung zu bekommen. Das sind junge Menschen, die es ohnehin schwer haben, sich familiär und kulturell durchzusetzen. Die Gesellschaft hatte sie aus dem Blickfeld verloren. Wir haben sie abgeholt in ihren Sozialräumen. Wir kämpfen mit allen Projektpartnern (Bundesagentur, MAGS NRW, Agentur Mark und Stadt Hagen permanent darum, dieses Projekt auf lange Sicht in einer finanziell nachhaltigen Regelstruktur fortsetzen zu können. Wir sind doch gut beraten, dass auch diese jungen Menschen eine Ausbildung abschließen. Bildung und Ausbildung sind die Grundlage dafür, dass wir später bestimmte Probleme gar nicht erst haben. Alle Projektpartner sehen, wie erfolgreich diese integrativen Projekte sind und tun sich trotzdem schwer, diese auf Dauer weiter finanziell zu fördern. Alleine und aus Eigenmitteln lassen sich diese herausragenden Projekte durch die Caritas nicht stemmen. Dahinter steckt die große sozialpolitische Frage, wie wir uns im Land aufstellen wollen.

So bitter das klingt - Momentan offenbar schlechter...

Buchholz: Ein Problem ist ja, dass wir dabei sind, gut funktionierende Strukturen zu zerschlagen. Wenn wir dann irgendwann wieder aktiver werden können, dann kann ich das nicht mal eben wieder aufbauen.

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Eine der ebangelischen Einrichtungen in Hagen: Der Kindergarten „Das Baumhaus“ an der Enneper Straße. © WP | Michael Kleinrensing

Heuer: Am Beispiel von Migration und Integration: Die Leute bleiben ja da. Im Gegenteil: Es kommen neue Menschen hinzu. Und es ist doch jedem von ihnen zu wünschen, dass er des Morgens aufsteht und eine Aufgabe hat.

Wenn man auf die Insolvenz in Eigenregie des DRK Hagen blickt - droht anderen Trägern ein ähnliches Schicksal?

Buchholz: Ich hoffe nicht. Aber wenn man mal im Lande auf und ab schaut, dann ist auch Teil der Wahrheit: Der DRK-Kreisverband Hagen ist kein Einzelfall. Gerade bei kleineren Verbänden ist die Not groß. Wir haben mit Sicherheit alle Jahre, in denen der Wirtschaftsplan nicht aufgeht und in denen die Suche nach Rädchen, an denen man noch drehen kann, beginnt.

Niewöhner: Die Frage nach weiteren Insolvenzen lässt sich seriös nicht beantworten. Im Grunde befinden wir uns als Träger in der permanenten Verwaltung einer Mangelwirtschaft und damit immer in einer finanziellen Konsolidierungsphase, ausgelöst durch den enormen Spardruck. Wir haben deshalb unser internes Controlling verschärft und werden transparent mit unseren Zahlen in Verhandlungen mit der Stadt, dem Land oder dem Bund gehen. Niemand wird am Ende sagen können, man habe nicht gewusst, wie es um einzelne Bereiche oder Träger steht. Dabei haben wir zudem Aufgaben, die wir laut Satzung erfüllen müssen, Aufgaben, die unsere Kernbereiche sind, bei denen ist nicht immer klar ist, wie wir sie finanzieren können. Hier sind wir auf die großzügige Spendenbereitschaft vieler Menschen, Institutionen und Firmen aus Hagen und Umgebung angewiesen – für diese notwendige Unterstützung sind wir sehr dankbar. Zu den finanziellen Sorgen kommt noch ein riesiger bürokratischer Aufwand.

Der wie aussieht?

Niewöhner: Na ja - je mehr Dienstleistungen wir erbringen, umso mehr steigen auch die Unterschiede, was Anträge, Bericht und Finanzierung angeht und so unterschiedlicher gestalten sich auch die Verhandlungen. Wir arbeiten häufig mit Steuergeldern, mit denen wir immer sehr sorgsam umgehen, aber es braucht auch sehr viel Zeit und damit auch letztendlich Geld, um überhaupt dringend notwendige finanzielle Mittel zu erhalten. Das ist an einigen Stellen im wahrsten Sinne verrückt und steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Wir müssen daher sehr genau schauen, ob es sich lohnt, einen Antrag zu stellen oder ob der Aufwand so groß ist, dass wir uns schon in einem Bereich befinden, in dem wir aus der Verlustzone gar nicht herauskommen können.

Buchholz: Bei einigem, was die Landesregierung streichen will, heißt es, dass man das über Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds finanzieren könne. Aber wer da mal einen Antrag gestellt hat, weiß, dass er anschließend für drei Monate in Kur muss.

Kinzel: Eigentlich bin ich ausgebildete Sozialpädagogin. Aber es gibt Tage, da schließe ich mich ein, um den Bürokratieberg abzubauen und hoffe, dass bloß keiner anklopft.