Altenhagen. Jade Jasik kommt aus Boston und hat dort ihre Politik-Karriere hinter sich gelassen. Nun pflegt sie Menschen in Hagen. Ein Porträt.

Die Begegnung vor dem Aufzug des Krankenhauses schien zunächst erwartbar zu sein. Eine Krankenpflegerin holt ein kleines Kind aus dem Aufwachraum, um es in sein Zimmer zu rollen. Bis Jade Jasik zu sprechen beginnt und mit deutlich erkennbarem amerikanischen Akzent sagt (Achtung Lautsprache): „Ick bin Jade und seige dir jetzt dein Simmer.“

Die 34-Jährige kommt aus Boston, von der Ostküste der USA, und arbeitet im St. Josefs-Hospital mit einer solchen Freude als Krankenschwester in Hagen, dass ihre Geschichte Öffentlichkeit verdient. Gerade auch, weil ihr Blick auf unsere Lebensweise etwas Aufrüttelndes hat.

Eine aufstrebende Polit-Frau

Ostküste der USA. Für viele hier ist das ein Reiseziel. Den Begriff sieht man an Schaufensterscheiben von Reisebüros, im Fernsehen oder im Netz. Da, wo Jade Jasik herkommt, haben viele eine Sehnsucht hin. Aus unterschiedlichsten Gründen. In dieser Welt hinter dem Atlantik war Jade eine aufstrebende Politik- und Geschichtsstudentin und führte das Büro des an der Ostküste gerade erst wiedergewählten Kongressabgeordneten und Demokraten Stephen Lynch. Eine Karriere im Polit-Apparat der USA war im Bereich des Möglichen.

Josefs-Hospital in Altenhagen statt Kongress in den USA: Dies ist schon länger der Arbeitsplatz von Jade Jasik aus Boston.
Josefs-Hospital in Altenhagen statt Kongress in den USA: Dies ist schon länger der Arbeitsplatz von Jade Jasik aus Boston. © WP | Michael Kleinrensing

Die unbekannte Berufung

Bis die Liebe Jade Jasik nach Deutschland zog. Auf einer Europa-Reise verliebte sie sich und zog für ihren späteren Mann, mit dem sie einen heute achtjährigen Sohn hat, nach Deutschland. Zwar gibt es die Beziehung nicht mehr, geblieben ist Jade Jasik aber nicht nur für ihren Sohn. Sondern auch, weil sie ihr wahres Glück und die ihr unbekannte Berufung hier gefunden hat.

„In Deutschland kommt die Familie zuerst. Es gibt Hilfe, wenn man arbeiten möchte, aber auch Kinderbetreuung braucht. Es gibt OGS und eine Versorgung für alle. Wenn mein Kind krank ist, dann gehe ich zum Arzt und über die normale Krankenversicherung erhält es die medizinisch beste Versorgung. In den USA muss ich schon 40 Dollar bezahlen, damit der Arzt sich den Fall überhaupt ansieht und dann trägt man alle Kosten selbst. Wenn Kinder ein Antibiotikum brauchen, überlegen Eltern wegen der Preise leider länger, ob sie es kaufen oder nicht. Hier ist das ganz klar.“

Jade Jasik

Als die 34-Jährige sich in Deutschland niederlassen wollte, kamen bei der Arbeitsagentur für ihre Qualifikation eigentlich nur Anstellungen im US-Generalkonsulat in Düsseldorf oder in der Botschaft in Frankfurt in Frage. Beides außerhalb des Möglichen, wenn man familiär an die Region rund um Hagen gebunden ist.

US-Kongress
Hier bastelte Jade Jasik an einer Karriere: das Capitol in Washington. Jasik arbeitete zuletzt für den US-Kongressabgeordneten und Demokraten Stephen Lynch. © DPA Images | Jose Luis Magana

Ein Mensch mit Redebedarf

„Ich bin ein Mensch, der Redebedarf hat“, sagt Jade Jasik lachend über sich selbst. „Für mich war das der Schlüssel. Und ich hatte keine Angst, etwas Neues zu machen. Ich wollte auf zwei Beinen stehen und glücklich sein. Und da bot man mir eine Ausbildung zur Krankenpflegerin an.“ Jade Jasik nahm das an und begann in einem völlig fremden Beruf von vorn. Sie rackerte sich durch die Deutsch-Zertifizierungen. Im Gespräch bleibt eigentlich nur ihr amerikanischer Akzent zu hören. Grammatik- und Satzbau wirken muttersprachlich.

Jeden Urlaub in die USA

„Ich gehe hier nicht weg. Ich habe meine Berufung gefunden. Ich helfe jeden Tag Menschen, kann im Team arbeiten und viel sprechen. Ich habe gefunden, was mich glücklich macht. Ich fliege jeden Urlaub zu meiner Familie in die USA: Aber zurück möchte ich nicht“, sagt Jade Jasik.

In Deutschland kommt erst die Familie

Das hat mehrere Gründe. Nicht nur ihr Glück. Auch ihr Sohn sei glücklich. Die Versorgung hier sei „unglaublich“, wie sie sagt. „In Deutschland kommt die Familie zuerst. Es gibt Hilfe, wenn man arbeiten möchte, aber auch Kinderbetreuung braucht. Es gibt OGS und eine Versorgung für alle. Wenn mein Kind krank ist, dann gehe ich zum Arzt und über die normale Krankenversicherung erhält es die medizinisch beste Versorgung. In den USA muss ich schon 40 Dollar bezahlen, damit der Arzt sich den Fall überhaupt ansieht und dann trägt man alle Kosten selbst. Wenn Kinder ein Antibiotikum brauchen, überlegen Eltern wegen der Preise leider länger, ob sie es kaufen oder nicht. Hier ist das ganz klar.“

Dankbar für das Leben hier

Ihr Arbeitgeber hier habe ihr zugehört, als klar war, dass sie Mutter wird. „Man hat mit mir besprochen, wie es gehen kann, dass Familie und Beruf für mich möglich sind. Ich war sogar in Elternzeit. Heute bin ich alleinerziehende Mutter, arbeite in Vollzeit und alles funktioniert. Ich habe 30 Tage Urlaub. In den USA musste ich Urlaub verhandeln. Ich bin dankbar, dass ich hier leben kann.“

Privatssphäre ist Privatsspähre

Hinzu käme die Gegend. „Ich bin an Geschichte interessiert. Hier ist alles alt. Die Häuser, die Bauten. Die Straßen sind klein, nachmittags treffen sich Menschen zu Kaffee und Kuchen. Und: Die Menschen hier sind sehr, sehr nett, aber erstmal etwas kälter. Das finde ich gut. Privatssphäre bedeutet hier wirklich Privatssphäre. Man öffnet sich Menschen erst später, wenn man sie kennengelernt hat. In den USA fragt dich jeder, wie es dir geht und an der Supermarktkasse wollen sie direkt mit dir über dein Leben sprechen.“

Sie möchte Deutsche werden

Am schönsten aber sei, wie schnell man in der Gegend um Hagen herum in der Natur und im Grünen sei. „Hier ist die Stadt und da schon das Land. Ich wohne in Iserlohn-Hennen, da sieht man Pferde herumlaufen. Es ist einfach eine tolle Mischung“, sagt die Amerikanerin, die gern auch die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würde und sich weiterbilden möchte. „Intensivmedizin interessiert mich sehr. Aber auch das Thema Demenz möchte ich noch mehr verstehen.“  

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Der Polit-Apparat in den USA habe ihr Härte abverlangt. Härte, die sich eigentlich gar nicht haben wolle. „Ich bin ein herzlicher Mensch“, sagt die Akademikerin, die nun in der Pflege arbeitet und einer Polit-Karriere und mehr Geld nicht hinterher trauert. „Sicher, ich habe viel mehr Geld verdient und hätte auch in Zukunft viel mehr Geld verdient in den USA. Aber dort ist das Leben auch sehr teuer und das Geld wäre dann irgendwie das Gleiche wert gewesen wie das, was ich jetzt bekomme. Ich kann gut leben, alles ist in Ordnung.“

Dann fällt sie einmal in die Sprache ihrer Heimat. „I don’t look back.“ Sie schaut nicht zurück.