Hagen. Medizinerin in Sorge um ihr Baby: Es könnte sich beim Stillen mit Viren aus der Praxis infizieren. Wie das Arbeitsgericht das beurteilt.

In einer großen Gemeinschaftspraxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Zentrum von Hagen gibt es Streit: Eine Zahnärztin, die dort seit mehr als vier Jahren angestellt ist, musste jetzt das Arbeitsgericht anrufen. Denn ihre Chefs verlangen, dass sie weiterhin Patienten behandelt, obwohl sie im Juli erst entbunden hat.

Die Ärztin befürchtet jedoch, dass sie ihren Säugling beim Stillen mit gefährlichen Keimen anstecken könnte. Per einstweiliger Verfügung bekam sie Recht: Den Arbeitgebern ist nun gerichtlich untersagt, die Mutter bis zum Ende der Stillzeit zahnärztliche Tätigkeiten ausüben zu lassen. (Az. 2 Ga 22/24).

Beschäftigungsverbot vor der Entbindung

Während der Schwangerschaft der angestellten Ärztin waren sich die Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis einig: „Nach einer Gefährdungsbeurteilung ist eine Beschäftigung zum Schutz von der werdenden Mutter und dem ungeborenen Kind aus medizinischer Sicht nicht vertretbar.“

Deshalb wurde die schwangere Kollegin bereits Anfang Januar, ein halbes Jahr vor der Entbindung, von ihrer Tätigkeit als Zahnärztin freigestellt. Sie erhielt ein Beschäftigungsverbot. Das sei zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz des ungeborenen Kindes auch notwendig gewesen, sagt sie. Denn das ganze Gebäude sei klimatisiert und habe keine Fenster, die man öffnen könne. An einem Vormittag müsste sie bis zu 30 Patienten untersuchen und wäre dadurch möglichen Viren ausgesetzt. Ihre Chefs widersprechen: „Maximal 21 Patienten an einem Vormittag - im Durchschnitt.“

Zahnärzte sind erhöhtem Risiko ausgesetzt

Unstrittig ist, dass in einer Zahnarztpraxis ein erhöhtes Infektionsrisiko für die Mediziner besteht. So hat die Bundesärztekammer im Jahr 2022 ausdrücklich auf die erhöhten Gefahren bei häufigem Umgang mit Körperflüssigkeiten (wie Blut oder Speichel) hingewiesen. Und durch den engen Kontakt am Behandlungsstuhl seien Mediziner einer „messbar erhöhten Aerosolbelastung“ von Patienten ausgesetzt.

Für eine stillende Zahnärztin stellten kontaminierte Instrumente ein hohes Risiko dar, „auch, weil sie Stich- und Schnittverletzungen verursachen können“. Nicht zuletzt sei Quecksilber, das Bestandteil von Amalgam-Füllungen ist, auf Grund seiner Giftigkeit als „gefährlich“ einzustufen.

Tätigkeitsverbot für Stillzeit beantragt

Anfang Juli kam der Sohn der Zahnärztin zur Welt. Noch im Mutterschutz, hatte sie bei den Praxisinhabern bereits im Vorfeld ein weitergehendes „Tätigkeitsverbot“, das für die gesamte Stillzeit ihres Säuglings gelten sollte, beantragt. Das wurde jedoch von den Vorgesetzten abgelehnt. Hauptargument: Eine Weiterbeschäftigung in der Praxis sei nun möglich, da das Baby ohne eine gesundheitliche Gefährdung am Arbeitsplatz gestillt werden könnte.

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Der Leiter des Instituts für Virologie der Universität Gießen warnt jedoch: „Beim Bohren, wenn sich mit dem Wasser ein feiner Nebel bildet, können Viren aus dem Rachenraum und der Mundhöhle des Patienten in die Luft gelangen.“ Ihr Säugling könnte beim Stillen natürlich keinen Mundschutz tragen, argumentierte die Antragstellerin im Verfahren, also sei er der Gefahr von Infektionen ausgesetzt.

Richterin auf Seiten der Zahnärztin

Nicole Becker, Vorsitzende Richterin am Arbeitsgericht, entschied jetzt im Eilverfahren zugunsten von Mutter und Kind: Der Ausschuss für Mutterschutz beim Bundesfamilienministerium habe 2023 verbindliche Regeln aufgestellt. Daran müsse sich auch die Hagener Zahnarztpraxis halten. Diese seien jedoch nicht beachtet worden: „Deshalb ist weiterhin von einer unverantwortbaren Gefährdung des Säuglings auszugehen.“

Zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin und ihr Kind sei deshalb der Erlass einer einstweiligen Verfügung geboten. Die Zahnärztin muss bis zum Ende der Stillzeit freigestellt werden. Nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz muss die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts übrigens nicht der Arbeitgeber, sondern in vollem Umfang die Krankenkasse übernehmen.