Eckesey. Das psychische Leid drei Jahre nach der Jahrhundertflut ist groß. Aber wer guckt da eigentlich hin? Ein Besuch vor Ort.
Dass die Sonne scheint, macht den Moment so surreal. In jede Straße dieses Stadtteils, der den Ruf eines Vergessenen hat, strömt das helle Licht des Sommers, der keiner werden will. Flut? Was denn für eine Flut? Und wieso ist das Hochwasserhilfe-Büro der Caritas in der Schillerstraße sogar noch mal bis Ende 2026 verlängert? Die traurige Antwort ist: Weil das Leid, die Angst und die psychischen Folgen der Katastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021 bis heute riesig sind. Ungesehen vom Rest der Stadtgesellschaft. Eckesey hat zu seiner Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte eine zusätzliche Bürde auferlegt bekommen.
- Die EM ist rum: Und wie lief‘s bei Hagener Gastronomen?
- Hier stand mal ein Schloss: Jetzt nur noch eine Gitterbox
- Noch ein Arztfehler: „Ärzte warten nur auf Laras Tod“
- Breckerfeld: „Flüchtlingsstrom wird nicht nachlassen“
- Missbrauchsvorwürfe im Westdeutschen Basketball Verband
- Bahnhof Hagen-Dahl: Wohnen, wo die Züge rollen
- Blau-Weißes Haus am Tücking: Hier wohnt gar kein Schalke-Fan
- Erster Azubi bei Reiche Ingenieure in Hagen - „gleich ein Glücksgriff“
Es gibt Waffeln und Kaffee an diesem Tag an einem Holztisch, der schon viele Sommerfeste hinter sich hat. Michael Gebauer, der hauptamtliche Geschäftsführer des Sozialdienstes katholischer Frauen wuselt durch das überschaubare Publikum an der Ecke Klopstockstraße/Eckeseyer Straße. Zunächst wirkt die kleine Zusammenkunft wie ein symbolischer Termin ohne großen Nachrichtenwert. Das Gegenteil ist der Fall. Zwar hat das Viertel in den vergangenen drei Jahren seit dem Unglück noch nicht mal mehr knöchelhohe Pfützen erlebt, aber die seelischen Spuren sind weitreichender, als das Wasser, das bei schlafenden Eckeseyern an den Bettkanten stand, in Keller und Wohnräume floss, Existenzen zerstörte.
Ein vergessener Stadtteil?
Jeden Tag kann man auf der Eckeseyer Straße Menschen beobachten, die die Gullys fegen, weil sie sie aufnahmefähig für neues Hochwasser halten wollen. Dabei war die Kanalisation ja als Erstes kollabiert, als die Flut den Ortskern 1,50 Meter hoch einnahm. „Die Stadtpolitik muss nach Eckesey gucken“, sagt Michael Gebauer. Einen Satz, den man hier schon öfter ausgesprochen hat. In der Tat ist Eckesey, das zum Einzugsgebiet der Bezirksvertretung Nord gehört, ein politisch kaum bearbeiteter Stadtteil. In den vergangenen zehn Jahren hat es hier keinerlei Initiativen gegeben. Keine Anträge, keine Stadtentwicklung, keine Debatte - die stadtpolitischen Protokolle sind leer.
Hinzukommt, dass der Stadtbezirk weiter das Image übergestülpt bekommt, Sammelpunkt für Migranten zu sein - vor allem von Türken. Das ist statistisch betrachtet auch so, aber der hauptsächliche Zuzug konkret nach Eckesey hat vor 30 bis 50 Jahren stattgefunden. Das von Mietervereinen und Wohngenossenschaften geprägte Viertel war attraktiv und bot günstigen sozialen Wohnraum und so durchmischte sich das angestammte Arbeiter- und Eisenbahner-Milieu mit den Zugewanderten. Obwohl Teile der Stadtgesellschaft den Stadtteil herabwürdigend und kulturfeindlich „Ücküsu“ tauften - in Anlehnung an die Phonetik der türkischen Sprache - gibt es aus dem Viertel keine offiziellen Beschwerden, keine nennenswerten Einsatzlagen und keine Probleme.
Großer Zusammenhalt nach der Flut
Und als die Jahrhundertflut kam, waren es viele, viele Migranten, die die Ärmel hochkrempelten und bei ihren deutschen Nachbarn halfen. Im Übrigen auch umgekehrt. „Ja, das gab es alles, und das war enorm positiv und hat dem Stadtteil viel gegeben. Doch auch, wenn es noch zwei Stadtteilfeste gab und die Boeler Loßröcke nach der Flut ein enorm starkes Hilfeprogramm anschoben - „Vernetzung bleibt das große Thema hier“, sagt Michael Gebauer. Weswegen die Hochwasserhilfe neben der psychisch-sozialen Beratung und der Familienunterstützung bis Ende 2026 auch weiter daran arbeiten wird, die Gemeinschaft zusammenzubringen.
Damit das Jahrhundert-Ereignis niemals in Vergessenheit gerät, hat der SkF mit gehöriger Unterstützung des damals schwer betroffenen Unternehmens Schake (Absperrtechnik und Baugeräte), das 100 hochwertige Schilder produziert hat, bereits zahlreiche Flutmarken in Eckesey gesetzt, die an den 14. Juli 2021 erinnern. Bezirksbürgermeister Heinz-Dieter Kohaupt nahm eines der Schilder mit. „Das will ich Oberbürgermeister Schulz für sein Büro geben, um der Hochwasser-Demenz entgegenzuwirken.“
Baulich ist in Eckesey so gut wie nichts passiert seit der Flut, weswegen man mit Spannung auf das von der Stadt angekündigte Hochwasserschutzkonzept wartet.