Hagen. Was ist geschehen seit dem Jahrhunderthochwasser 2021. Wiederaufgebaut wurde alles. Aber gibt es nun auch echten Schutz?

1095 Tage später sieht alles so gewollt aus. Die Volme, die man vor fast 100 Jahren mit dunklen Steinen eingehaust und eingepresst hat, plätschert durch die Innenstadt. Dass mal Millionen Liter ihres oft brackigen Wassers das Parkhaus der Rathaus-Galerie geflutet oder den Ortskern Eckesey über 1,50 hoch unter Wasser gesetzt haben, wirkt retrospektiv so, als hätte jemand in apokalyptischen Fantasien mal rumgesponnen. Dabei ist es wirklich passiert. Vor drei Jahren. Volme, Lenne und Ennepe stiegen brutal über die Ufer in Hagen, und die vielen Bäche, die die Höhen und die Täler dieser Stadt wie ein Adernsystem durchziehen, platzten förmlich. Hagen soff ab. Die Existenz mancher fluss- und bachnah lebender Menschen wurde hinfort gespült. Wo stehen wir heute in Hagen? Was, wenn ein derartiges Hochwasser morgen wieder heranrollt.

Einheiten des Panzerpionierbataillons 130 aus Minden helfen im Juli 2021 Ambrock im Süden von Hagen.  
Einheiten des Panzerpionierbataillons 130 aus Minden helfen im Juli 2021 Ambrock im Süden von Hagen.   © WP | Michael Kleinrensing

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Über 80 Millionen Euro Wiederaufbauhilfe

Über 80 Millionen Euro hat die Stadt Hagen an Wiederaufbauhilfe vom Land erhalten. Laut Verwaltung gelten die Schäden an der städtischen Infrastruktur als behoben. Dazu hat die Stadt Hagen das Grundstück „Laake 10“ an der Volme erworben. Auf diesem Grundstück, den Nachbargrundstücken und den gegenüberliegenden Grundstücken des Wirtschaftsbetriebs Hagen (WBH) sowie auf einem Betriebsgrundstück bei der Firma Hüsecken in Hohenlimburg sind Retentionsflächen vorgesehen.

Die sogenannte Dreiecksfläche im Mündungsbereich zwischen Ennepe und Volme soll ebenfalls stark abgesenkt und zur Retentionsfläche werden. Auch an einem Grundstück an der Ennepe sowie in den Bereichen Sedanstraße, Am Widey, an der B54 oberhalb von Delstern und in Eckesey sind Maßnahmen geplant, um die Gebiete hochwassersicherer zu machen. Die Schaffung weiterer Retentionsflächen im Einzugsgebiet der Lenne und eine Weiterführung der Lennedynamisierung befinden sich im Vorplanungsstadium.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel kam im September 2021 nach Priorei, um ein wiederaufgebautes Brückenbauwerk an der Osemundstraße zu besichtigen. Es war eines jener Straßenprojekte, die in Windeseile umgesetzt werden konnten.
Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel kam im September 2021 nach Priorei, um ein wiederaufgebautes Brückenbauwerk an der Osemundstraße zu besichtigen. Es war eines jener Straßenprojekte, die in Windeseile umgesetzt werden konnten. © WP | Michael Kleinrensing

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Hochwasserschutzkonzept wird vorbereitet

Die Maßnahmen für das Hochwasserschutzkonzept für Volme, Ennepe sowie Selbecker und Hasper Bach sind vorabgestimmt. An einigen Stellen ist dazu noch eine Detailplanung durch das Ingenieurbüro erforderlich. Danach wird das Konzept der Politik und der Öffentlichkeit vorgestellt. Für die Innenstadt ist die Anschaffung eines mobilen Hochwasserschutzsystems für extreme Ereignisse geplant. Auch dazu fanden erste Termine statt. Unsere Zeitung berichtete bereits über derartige Gedankenspiele. Seinerzeit sprach Umweltamtsleiter Thomas Köhler auch über Spundwände, die hydraulisch hochfahrbar seien - ähnlich wie es sie in Hamburg gibt.

Die grafische Modellierung

Bereits im Februar 2023 präsentierten Köhler und sein Team der Redaktion einen exklusiven Blick auf das, was sie der Öffentlichkeit zum damaligen Zeitpunkt noch nicht so ohne weiteres zeigen konnten: die „grafische Modellierung“ von Hochwasserlagen in Hagen. Die Stadt kann - mit Hilfe der Software eines Ingenieurbüros - metergenau Hochwasserszenarien in einzelnen Viertel simulieren. Man sieht genau, bis wohin das Wasser fließt. Das Problem zuletzt: Die Modellierung weckt ohne ergänzende Erläuterung falsche Begehrlichkeiten, falsche Erwartungen. Sie kann Ängste schüren, weil sie Versicherungen auf den Plan rufen könnte, ganz einfach, weil falsche Schlüsse gezogen werden können.

Die Bahnanlagen in Hohenlimburg unter Wasser. Den Stadtteil im Osten Hagens hatte es besonders schwer getroffen.
Die Bahnanlagen in Hohenlimburg unter Wasser. Den Stadtteil im Osten Hagens hatte es besonders schwer getroffen. © Alex Talash | Alex Talash

Das Beispiel „Hagener Feinstahl“

Fast dort, wo die Volme in die Ruhr mündet, betreibt Ingo Bender das Unternehmen Hagener Feinstahl. Die Firma liegt direkt am Fluss und war brutal geflutet worden. Über sieben Millionen Euro an Schäden entstanden. Wenn es auf Beständigkeit gegen Rost, Säure und Hitze ankommt, kommen Produkte aus Edelstahl zum Einsatz. Daher setzen Hersteller aus unterschiedlichsten Branchen wie Automobil-, Maschinenbau, Sieb- und Filtertechnik, Haushaltsgeräte, Umwelt- und Medizintechnik bis hin zur Luft- und Raumfahrt auf die Produkte des Hagener Unternehmens. Ingo Bender und sein Mitarbeiter-Team haben sich weitgehend selbst geholfen in den vergangenen drei Jahren - was auch symbolisch für die Lage in Hagen steht.

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Wie muss die Region sich aufstellen?

„Inzwischen hat das Gros der Unternehmen die Schäden beseitigen können“, so Christoph Brünger, Leiter des SIHK-Geschäftsbereiches ‚Interessen bündeln‘ und betont: „Das war für zahlreiche Betriebe eine Herkulesaufgabe.“ Dabei sei das Aufbauhilfe-Programm des Landes sehr hilfreich gewesen. Bislang habe die SIHK 261 Anträge bearbeitet. Nach aktuellem Stand seien die heimischen Betriebe bei ihrer Wiederherstellung bereits mit fast 80 Millionen Euro an Fördermitteln unterstützt worden.

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Parallel rücke aber die Frage in den Mittelpunkt, wie die Region sich aufstellen müsse, damit künftige Flusshochwasser und Starkregenfälle nicht erneut ein so großes Unheil anrichten können. Christoph Brünger: „Was wir jetzt brauchen, ist ein Hochwassermanagement aus einem Guss.“ Hochwasser halte sich nicht an Kommunalgrenzen. Deshalb arbeite die Wirtschaft auf ein konsequentes, schnelles und abgestimmtes Vorgehen von Land, Kreisen und Kommunen hin. Es gelte, Zuständigkeiten zu bündeln und ein strategisches Hochwassermanagement aus einer Hand für die gesamte Region zu ermöglichen.

Viele Tage nach der Katastrophe war der HEB damit beschäftigt, den Flutmüll zu beseitigen. Tonnen häuften sich auf dem Betriebshof an der Alexanderstraße an.
Viele Tage nach der Katastrophe war der HEB damit beschäftigt, den Flutmüll zu beseitigen. Tonnen häuften sich auf dem Betriebshof an der Alexanderstraße an. © WP | Michael Kleinrensing

Das Problem Fahrradweg

Ingo Bender legt Wert darauf, nicht zu destruktiv zu erscheinen: „Ich muss aber sagen, von Zusammenarbeit kann ich nicht viel sehen.“ Weil er sich hinter dem Firmenareal etwas Grabeland gesichert habe, wäre es ihm nun theoretisch möglich, eine Art Vordeich zu errichten. Ein mobiles Dammsystem habe er überdies schon gekauft. Das Problem: Entlang dieser Stelle gibt es eine theoretische, städtische Fahrradwegplanung, die aber noch nicht weit vorangetrieben ist. Und so lange sie nicht präzisiert ist, kann Bender auch nicht bauen. Er hatte in dem Zusammenhang sogar vorgeschlagen, den Fahrradweg gleich mit zu errichten - ohne Erfolg.

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„Und Zugriff auf die Hochwassersimulationen (Anm: die beschriebene grafische Modellierung) haben wir auch nicht. Da sind sie im Märkischen Kreis schon viel weiter“, sagt Bender.

Dazu ordnet Hagens Stadt-Pressesprecher Michael Kaub ein: „Lüdenscheid stellt Starkregengefahrenkarten, keine Hochwassersimulation zur Verfügung. Über den WBH wurden Starkregengefahrenkarten für Hagen in Auftrag gegeben, die voraussichtlich Mitte nächsten Jahres veröffentlicht werden. Die Hochwassersimulation nimmt auch noch etwas Zeit in Anspruch, da in diese unter anderem die geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen einfließen sollen. Dies hat den Vorteil, dass man dann auch darstellen kann, wie sich der Hochwasserschutz in einigen Bereichen verbessert hat.“