Hagen. Hat ein Funktionär im Westdeutschen Basketballverband seine Macht missbraucht? Hintergründe kommen nun ans Licht. Die Lage im Verband
Missbrauchsvorwürfe erschüttern den Westdeutschen Basketball-Verband (WBV). Es geht um das Wirken eines Ex-Funktionärs. Während der WBV mit einer schmalen Rücktrittsinformation arbeitete, wird nach Recherchen dieser Zeitung nun klar, dass es um mehrere Fälle sexualisierter Gewalt gegenüber jungen Schiedsrichterinnen gehen soll, die das Talent und die Fähigkeiten haben, im Kadersystem des WBV aufzusteigen. Die Fälle wurden daraufhin an die Beauftragten des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) für Prävention sexualisierter Gewalt und später zur weiteren Bearbeitung an den WBV übergeben. Zu keiner Zeit erfuhren die Öffentlichkeit und die Verbandsmitglieder, was geschehen sein soll.
Schwere Vorwürfe im Raum
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Die Vorwürfe wiegen schwer und reichen nach Informationen dieser Zeitung vom angeblichen verbalen Austausch über das Sexualverhalten der Schiedsrichterinnen bis zu angeblichen Übergriffen. „Die Betroffenen hatten sich an den DBB gewendet, von wo aus wir schon Ende 2023 einen Hinweis erhalten haben“, sagt Uwe Plonka. Der Hagener ist der Präsident des WBV. „Die Aussagen der Schiedsrichterinnen landeten ohne Namen später alle bei mir. Unabhängig voneinander betrachtet, war in den Darstellungen ein Muster zu erkennen“, sagt Plonka. Mehr sagt er dazu nicht.
Anonyme Anzeige gestellt
Nach Informationen dieser Zeitung geht es um ein System des Machtmissbrauchs, des Drucks und der Angst mit Blick auf die Förderung junger Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen. Auf juristischer Ebene gibt es kein Strafverfahren. Wie diese Zeitung erfuhr, hatte die am Wohnsitz des Beschuldigten ansässige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung geführt. Diesem lag eine anonyme Anzeige zugrunde. „Das Verfahren wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Ferner fehlte es aufgrund der anonym gestellten Anzeige an einem Strafantrag der verletzten und damit antragsberechtigten Person“, erklärt die zuständige Staatsanwaltschaft.
Betroffener äußert sich nicht gegenüber Präsidium
„Ich habe, nachdem mir die Fälle bekannt wurden, unsere Hausjuristin mit ins Boot geholt“, so WBV-Präsident Uwe Plonka. „Es gilt juristisch die Unschuldsvermutung“, sagt er. Die Einordnungen der Präventionsstelle sexualisierte Gewalt des DBB seien aber deutlich gewesen. Auf einer außerordentlichen Sitzung habe das Präsidium des WBV den Betroffenen zur Rede gestellt, aber der habe sich nicht geäußert. Mit seinem Rücktritt sei er dem großen Verbandstag zuvorgekommen, der vermutlich sonst eine Tribunalwirkung gehabt hätte. Längst war im Verband, in den Hallen und Vereinen über die Vorwürfe hinter vorgehaltenen Händen gesprochen worden, ohne dass irgendjemand die präzisen Hintergründe kannte.
„Die individuellen Empfindungen zu Nähe, Distanz, die Intimsphäre und die persönlichen Schamgrenzen der mir anvertrauten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen sowie der anderen Mitglieder der Vereine werde ich respektieren.“
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„Das sind mafiöse Strukturen“
Auf dem Verbandstag in Duisburg ergriff unter anderem Matthias Piechoki als Delegierter für die SG Welper das Wort, der viele Jahre als lizenzierter Schiedsrichter unterwegs war, seine Pfeife aber mittlerweile hingeschmissen hat. „Es ist ein offenes Geheimnis, was an dieser Stelle im WBV vor sich geht“, sagt Piechoki ausschließlich mit Blick auf die Förderung von Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen. Auf dem Verbandstag prangerte er in diesem Bereich „mafiöse Strukturen“ an, die vor allem auf jenen bereits ausgeschiedenen Funktionär zurückzuführen seien, dem auch die Vorwürfe der Schiedsrichterinnen gelten. „Da wurde die Position des Mächtigeren systematisch missbraucht. Wer sich nicht gut stellte oder tat, was verlangt wurde, wurde abserviert. Was da seit Monaten an Vorwürfen im Umlauf ist, auch die Anschuldigungen der Schiedsrichterinnen, passt in dieses Muster.“ Man habe das deutlich vernommen, sagt WBV-Chef Uwe Plonka. „Wir wissen, welcher Eindruck da entstanden ist, und tun alles, um die Strukturen schnell zu verbessern.“
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Enormer Schiedsrichtermangel im WBV
Den WBV treffen die Vorwürfe zur absoluten Unzeit. Für den Spielbetrieb des größten deutschen Landesverbands sind rund 1000 Schiedsrichter nötig. Zur Verfügung stehen knapp 500. Während der Verband über Förderung in den Vereinen, erhöhte Schiedsrichter-Gebühren (um das Pfeifen attraktiver zu machen) und andere Maßnahmen vieles versucht, die Quote zu erhöhen, steht ausgerechnet dieser Bereich des Verbands zuletzt in einem so schlechten Licht. „An der Basis in den Vereinen wird da tolle Arbeit geleistet. Das möchte ich ausdrücklich betonen“, sagt Uwe Plonka mit Blick auf den für den Verband so heiklen Einzelfall des Ex-Funktionärs.
Kollisionen mit dem Ehrenkodex
WBV-Chef Plonka erklärt, dass die erhobenen Vorwürfe schwer mit dem Ehrenkodex kollidieren, den der WBV sich selbst gibt. Darin heißt es unter anderem: „Die individuellen Empfindungen zu Nähe, Distanz, die Intimsphäre und die persönlichen Schamgrenzen der mir anvertrauten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen sowie der anderen Mitglieder der Vereine werde ich respektieren.“ Und: „Ich werde das Recht des mir anvertrauten Kindes, Jugendlichen und Erwachsenen auf körperliche Unversehrtheit achten und keine Form der Gewalt, sei sie physischer, psychischer oder sexualisierter Art, ausüben oder zulassen.“
„Mir haben die Betroffenen deutlich gesagt, dass sie das auf keinen Fall wollen und dass sie Angst davor haben. Auch davor, bei der Polizei auszusagen, sodass die Fälle alle wieder hochkommen. Wir haben das respektiert.“
Niemand erstattete Strafanzeige
Sowohl Plonka als auch die anderen Präsidiumsmitglieder und auch niemand beim eingeschalteten DBB erstattete Strafanzeige. Die anonym gestellte Anzeige führte, wie beschrieben, nicht zu einem Verfahren, weil sich der Verdacht nicht erhärtete. „Mir haben die Betroffenen deutlich gesagt, dass sie das auf keinen Fall wollen und dass sie Angst davor haben. Auch davor, bei der Polizei auszusagen, sodass die Fälle alle wieder hochkommen. Wir haben das respektiert.“
Gegenüber den Verbandsmitgliedern, so sagt Plonka, habe er die Befürchtung gehabt, gegen den Datenschutz zu verstoßen, wenn man detaillierter informiert hätte. Der ausgeschiedene Funktionär sei beim Verbandstag nicht entlastet worden und werde laut Plonka im Basketball auch sicher keine verantwortlichen Positionen und Ämter mehr übernehmen können. Dass er nicht entlastet wurde, sei ein bislang nahezu einzigartiger Vorgang. Das sei wichtig, weil derjenige auf diese Weise auch rückwirkend zur Rechenschaft gezogen werden könne, wenn Vorwürfe sich erhärten würden oder möglicherweise andere schwere Fehler zu Tage treten würden.
Führungszeugnis ohne Eintrag
Klar ist aber auch: Ohne eine Verurteilung bleibt jedes Führungszeugnis ohne Einträge. „Das ist möglich. Darauf haben wir keinen Einfluss mehr“, sagt WBV-Chef Plonka, der dem DBB attestiert, eine „herausragend gute Arbeit geleistet zu haben“ in diesem Fall. Der Deutsche Basketball-Bund erklärt auf Nachfrage, dass die Betroffenen sich zunächst an den WBV gewendet hätten und an entsprechende Stellen im Landessportbund. Beim DBB hätten die Beauftragten für Prävention sexualisierter Gewalt die gesamte Dokumentation übernommen. Mit einer Endbewertung ging der Fall zurück an den WBV.
Keine Rückmeldung gegenüber der Redaktion
Der ausgeschiedene Funktionär habe laut DBB auf die Möglichkeit, ebenfalls eine Stellungnahme abzugeben, verzichtet. „Nach unserer Kenntnis hat bislang keiner der Betroffenen Strafanzeige gestellt“, so DBB-Sprecher Christoph Bücker. Die Redaktion hat auf unterschiedlichen Wegen versucht, Kontakt zum Ex-Funktionär aufzunehmen, was nicht gelungen ist. Auch eine Anfrage an die Kanzlei, die ihn vertritt, blieb bislang unbeantwortet.