Hagen. Zwei Jahre nach der Jahrhundertflut mahnt die Wirtschaft an, sich in der Region Hagen endlich koordiniert um den Hochwasserschutz zu kümmern.
Die Vorher-Nachher-Bilder führen diese enorme Wucht, die vernichtenden Zerstörungen und die auch emotionale Verzweiflung selbst zwei Jahre danach noch eindrucksvoll vor Augen und lassen die Gefühlslage der Betroffenen sofort wieder lebendig werden: Nach der Jahrhundertflut aus dem Sommer 2021 sind die meisten Schäden in Hagen zwar wieder beseitigt. Aber es bleibt die Sorge, dass bei den nächsten Starkregenfällen sich die Katastrophe wiederholen könnte. „Wir brauchen endlich eine stimmige, regionale Hochwasserstrategie mit einer koordinierten Herangehensweise“, mahnt Fabian Schleithoff, Leiter des SIHK-Geschäftsbereichs „Unternehmen beraten“ nicht bloß verbesserte Hochwasserprogramme und optimierte Informations- und Frühwarnsysteme an, sondern vor allem auch die Rolle eines Regionalverantwortlichen, der künftig den Hochwasserschutz koordiniert.
„Die meisten Betriebe werden ein solches Ereignis kein weiteres Mal überstehen“, erwartet die Kammer als Vertreter der Wirtschaft nach den Aufräumarbeiten jetzt endlich kluge Konzepte zur Standortsicherung. Um hier einen Impuls zu setzen, lädt die SIHK am 29. August zu einer Hochwasserkonferenz nach Hagen ein, an der neben Entscheidungsträgern aus Hagen sowie dem MK- und EN-Kreis auch namhafte Experten ihre Empfehlungen zum Hochwassermanagement präsentieren.
Begleitet wird dieses Treffen von einer bereits präsenten Ausstellung in der ersten Etage des Kammer-Gebäudes, die mit Hilfe von Fotos noch einmal eindrucksvoll die Folgen der Fluttage dokumentiert. Beispielsweise bei der Firma Honselmann an der Sedanstraße: Durch die Halle des Lagerbetriebs für die Eisen- und Stahlindustrie floss die Volme mit zwei Metern Höhe, der Gleisanschluss für die Coils – eine Aorta für den Betrieb – war auf einer Länge von 30 Metern weggespült. „Natürlich hatten wir Existenzangst“, braucht Geschäftsleiter Stefan Honselmann diese Horror-Erfahrung kein zweites Mal in seinem Berufsleben. „Natürlich bemühen wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten gemeinsam mit den Nachbarn auch um Selbstschutz, aber uns fehlt einfach die Unterstützung seitens der Stadt“, plädiert er beispielsweise für eine deutliche Vertiefung der Volme.
Bessere Kommunikation hilft
Felix Urban, Inhaber des gleichnamigen Metallverarbeitungsbetriebes in Delstern, setzt derweil auf einen zweiten Unternehmenssitz in den Niederlanden: „Die gehen dort mit dem Thema Hochwasserschutz weitaus professioneller um“, hat er dort seinen Betrieb erweitert, so dass er mit den neuen Standbein bei der nächsten Flut in Hagen zumindest produktionsfähig bleibt. „Wir hatten einen Millionen-Schaden mit 500 Positionen“, erinnert er sich an den 14 Juli 2021 zurück. Zwar schützte eine selbst errichtete Hochwasserwand entlang der Volme (Urban: „Weil die mal ohne Baugenehmigung entstand, mussten wir 35.000 Euro Strafe zahlen.“) seine Produktionshalle vor dem Fluss, doch das Wasser drang seinerzeit von der Straße in die 4500 Quadratmeter große Halle ein.
„Wir müssen in Zukunft einfach die Kommunikation verbessern“, fordert er. „Obwohl der Starkregen schon Tage vorher bekannt war, kann es nicht sein, dass mitten in die Katastrophe hinein das Wasser der Glör-Talsperre abgelassen wird“, wirbt er mit diesem Beispiel für ein ganzheitliches Denken in der Region. Vor allem, so auch der Ansatz der SIHK, müssten die einzelbetrieblichen Maßnahmen in die noch zu erstellenden kommunalen und regionalen Schutzkonzepte integriert werden.
Die Stadt Hagen macht derweil deutlich, dass ein vollkommener Schutz angesichts der zu erwartenden Zunahme an Extremwetterereignissen kaum möglich sei. Dennoch werde man die Maßnahmen beim Umwelt- und Klimaschutz weiter intensivieren, um die Folgen der Unwetter zu minimieren. Dazu gehören neben neuen Retentionsflächen in Delstern und Hohenlimburg auch Radarsonden an den Flusspegeln sowie Starkregen-Gefahrenkarten, um die Frühwarnmechanismen frühzeitiger in Gang zu bringen.
SIHK wirbt für Ruhrverband
„Ich hätte mir solche rechtzeitigen Informationen sehr gewünscht“, betont heute Martina Beckmann, Unternehmerin des Seat-Autohauses in Eckesey, das am 14. Juli 2021 exakt 204 Pkw verlor und einen Schaden von 2,8 Millionen Euro zu verkraften hatte. „Ich bin in der Nacht mit der Handtasche über dem Kopf – darin Handy und Festplatten – durch brusthohes Wasser aus unserem Autohaus gewatet.“
„Wir brauchen hier einen interkommunalen Ansatz“, verweist SIHK-Geschäftsbereichsleiter Schleithoff auf einen entsprechenden Appell der Kammer-Vollversammlung. Hier fehle zurzeit noch die regionale Management-Einheit, empfiehlt die Wirtschaft ganz pragmatisch und unter Umgehung jeglicher zeitraubender Arbeitskreis-Zirkeln die Kompetenz des Ruhrverbandes zu nutzen. Hier gebe es bereits Strukturen für ganzheitliche Betrachtungen von der Quelle bis zur Mündung der zahlreichen Flusstäler.