Hagen. Ein personeller Wechsel führt zu einem Gespräch über die Lage im Hagener Katastrophenschutz. Es braucht vor allem Platz.
Kurz blicken sich die beiden Männer an. Dann sagt Sven Neuhaus: „Wenn alles gut gegangen ist. Das ist für uns der Erfolg unserer Arbeit.“ Mehr denn je liegt der Fokus seit der Flutkatastrophe an der Oder 2002, seit Corona, seit dem Jahrhunderthochwasser in Hagen und nun – ganz aktuell – seit dem Hochwasser in Süddeutschland auf den Männern und Frauen des Technischen Hilfswerks (THW). Der Ortsverband Hagen als Gratmesser für ein Ehrenamt, ohne das dieses Land die großen Katastrophen nicht meistern könnte. Über Aufopferungsbereitschaft, Zusammenhalt und Wachsamkeit sprechen Sven Neuhaus (46) und Rüdiger Splitt (62). Der Jüngere beerbte gerade erst den Älteren.
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Seit 1981 ist Rüdiger Splitt beim THW. 24 Jahre lang führte er den Ortsverband Hagen. Fünf Wiederwahlen waren dazu nötig. Das zeigt das große Vertrauen, dass seine THW-Kameraden in ihn hatten. Zu Beginn des Jahres ist er, wenn man so will, ins zweite Glied getreten. Sven Neuhaus, 46, selbstständig im Bereich Sanitär und Heizung, folgte auf ihn.
Wechsel mit seismographischer Wirkung
Der Wechsel hat irgendwie auch seismografische Wirkung. Beide Männer können viel erzählen über das THW, das außerhalb seiner eigenen Gemeinschaft oft ein unbeleuchtetes Dasein fristet. Die Notwendigkeit des nicht-militärischen Schutzes der Zivilbevölkerung vor Kriegseinwirkungen und deren Beseitigung waren ursprünglich mal die hauptsächlichen Gründe für die Gründung des Technischen Hilfswerkes im Jahr 1950. Heute hat das THW rund 80.000 ehrenamtliche Mitglieder und rund 670 Ortsverbände. Der Hagener Ortsverband an der Lütkenheider Straße ist einer davon. Und er ist ein starker.
Aus Bundesmitteln werden Fahrzeuge und der Dienstbetrieb der Ortsverbände finanziert. Der Ortsverband Hagen muss darüber hinaus mit seinen „Selbstbewirtschaftungsmitteln“ den jährlichen Dienstbetrieb (Kraftstoffe, Versorgung, Bekleidung, kleinere Anschaffungen) bestreiten. Für alles, was über die Standard-Ausrüstung eines Ortsverbandes hinausgeht, stehen Hilfevereinigungen parat. Immer – und das ist so wichtig – geht es auch um die Spendenbereitschaft der Bevölkerung, die dafür aber etwas zurückerhält, das eigentlich unbezahlbar ist: Hilfe, wenn es darauf ankommt.
Anstieg der Bürokratie
So weit, so formal. Doch das THW hat sich verändert. „Das sieht man allein daran, dass die Regionalstelle in Bochum mittlerweile 21 hauptamtliche Kräfte hat“, sagt Rüdiger Splitt, der auf der Zielgeraden seiner Zeit als Ortsbeauftragter gespürt hat, wie sehr der bürokratische Überbau des THW ihn bindet. Und das neben seiner Arbeit für eine Schweizer Firma, für die er oft nach Asien reist. Er habe das geliebt. Rund um die Uhr. Er führte den Ortsverband sogar mit Zeitverschiebung und war so Tag und Nacht im Einsatz.
„Als die Flut unsere Stadt traf und wir plötzlich in den Kellern, Gärten und Häusern von Menschen gestanden haben, die uns nahestehen und die wir gerne haben, da war das – trotz aller Professionalität - auch ein Schock.“
Das ist wichtig zu erzählen in diesem Komplex. Denn jeder, der hier beitritt, der Teil der Gemeinschaft wird, sich einbringt, hat die – im positiven Sinne – wichtige Verrücktheit in sich, da zu sein, wenn niemand da ist. In der größten Katastrophe alles stehen und liegenzulassen und jene Jacke anzuziehen, die die stillen Helden in Blau tragen, wenn sie losrollen. „Katastrophenschutz“, das sagen Vorgänger Splitt und Nachfolger Neuhaus, „geht nur, wenn dein ganzes Umfeld mitmacht. Deine Arbeit, deine Familie, deine Frau, deine Kinder, deine Freunde.“
Keine Verdrossenheit zu spüren
Zum Glück, auch das berichten beide, leidet dieser ehrenamtliche Zweig nicht unter der gleichen Verdrossenheit, die andere Ehrenämter erleben. „Corona und die Flut in Hagen haben uns einen kleinen Mitglieder-Boom beschert“, sagt Sven Neuhaus. Viele Interessierte klopften an, 25 von ihnen haben die komplette THW-Grundausbildung durchlaufen. Mit Kindern und Jugendlichen kommen sie auf 80 Leute im Ortsverband Hagen.
Dass im Frühjahr der OB und der SPD-Bundestagsabgeordnete unter anderem vorbeikamen, als Splitt den Staffelstab an Neuhaus übergab, ist jene formale Wertschätzung, die das System für solche Momente bereithält. „Das war schön und wichtig, es wäre aber auch ohne gegangen“, sagt Neuhaus und Splitt nickt. „Wir sind eine Familie. Wir freuen uns und wachsen daran, wenn Einsätze gut gelaufen sind. Wenn wir dann ganz spät noch gemeinsam etwas essen und man den Zusammenhalt spürt, dann weiß man genau, wofür man das macht. Wir machen es, um Menschen zu retten, aber auch für unsere Kameraden“, sagt Sven Neuhaus.
Als die Flut vor der Haustür wütete
Als sie bei der großen Flut ins Ahrtal ausrückten, um dort mitzuhelfen, waren sie alle berührt von den Zerstörungen und den Schicksalen vor Ort. „Doch als die Flut unsere Stadt traf und wir plötzlich in den Kellern, Gärten und Häusern von Menschen gestanden haben, die uns nahestehen und die wir gerne haben, da war das – trotz aller Professionalität - auch ein Schock“, sagt Rüdiger Splitt.
Ein Schock, den zu erleben, wichtig für die Institution THW war. „Die Politik hat nach beiden Flutereignissen reagiert und die Mittel für das THW ordentlich aufgestockt. Sie haben sich seit 2002 um das Zweieinhalbfache erhöht. Das ist beachtlich. Dazu kommen Millionen für die Ausstattung der Fahrzeuge“, sagt Rüdiger Splitt.
Standort platzt aus allen Nähten
Wenngleich sein Nachfolger Sven Neuhaus den Finger auch auf einen wunden Punkt legt. Durch Spezialisierung, Mitgliederzuwachs und neue Gerätschaften platzt der Standort an der Lütkenheider Straße aus allen Nähten. „Nach 25 Jahren müssen einige Autos erneuert werden. Daneben brauchen wir 50 Prozent mehr Räumlichkeiten. Und wir kriegen ja sogar noch Fahrzeuge dazu. Der Ruf nach mehr Platz hier ist innerhalb des THWs aber bekannt“, sagt Sven Neuhaus.
„Was uns eint ist, dass hier über 60 Aktive dabei sind, die Bock haben, die das hier mit dem Herzen machen.“
Manchmal, das empfinden die beiden Männer so, wisse man gar nicht, wie man Organisation, Bürokratie und Einsatzleitungen überhaupt noch schaffen solle – so viel falle da an. Das Erbe von Rüdiger Splitt hat Sven Neuhaus deswegen mit Respekt, aber auch mit einigem Veränderungsdrang angetreten. „Rüdiger hat hier 24 Jahre lang starke Arbeit geleistet. Es sind nur wenige Kleinigkeiten, die ich angehen möchte. Was uns eint ist, dass hier über 60 Aktive dabei sind, die Bock haben, die das hier mit dem Herzen machen.“ Und man muss bei aller Objektivität feststellen, dass das ein beruhigendes Gefühl beim Zuhörer hinterlässt.
Sechsmonatige Grundausbildung
In 80 Jahren des Bestehens der Ortsgruppe waren vier Helfer darüber hinaus in Äthiopien und im Kongo für sechs Wochen aktiv. Ende der 90er-Jahre waren zehn Helfer an mehreren humanitären Hilfeeinsätzen in Rumänien beteiligt. Mitglied kann jeder werden, der Interesse am THW hat und bereit ist, sich hier ehrenamtlich in einer Einsatzorganisation zu beschäftigen, egal welchen Hintergrund er hat. Nach Aufnahme erfolgt eine sechsmonatige Grundausbildung, in der die Anwärter mit den Gerätschaften des THW, der Struktur und den Sicherheitsrichtlinien vertraut gemacht werden. Nach einer Abschlussprüfung werden diese in den technischen Zug zur weiteren Ausbildung integriert.