Eckesey. Alexander Becker nimmt im Rahmen der 200-Jahr-Feierlichkeiten kein Blatt vor den Mund. Fast wäre der Standort Geschichte gewesen.
Alexander Becker blickt sorgenvoll drein, während er das sagt: „Wir müssen jetzt erstmal überleben.“ Becker ist der Hauptverantwortliche der Georgsmarienhütte GmbH, wozu die Gesenkschmiede Schmiedag in Eckesey seit 1999 gehört.
In der 26 Unternehmen großen Gruppe spielt der traditionsreiche Hagener Standort mit 70 Millionen Euro Umsatz im Jahr eine bedeutende Rolle. Im Rahmen des 200-jährigen Bestehens der Schmiedag spricht die Chefetage viel über Dank und Stolz mit Blick auf das Werk an der Grüntaler Straße. Doch die Schmiedag steht auch vor wirklich schwierigen Herausforderungen.
Ministerpräsident Hendrik Wüst konnte jüngst im Eckeseyer Werk mit eigenen Ohren hören, wie 200 Mitarbeiter hier vor drei Jahren quasi den Standort gerettet haben. Als das Jahrhunderthochwasser das direkt an der Volme gelegene Werk bis auf 1,80 Meter Höhe flutete – darin Mitarbeiter in jener Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 sogar Todesängste spürten -, bildete sich in der Gesenkschmiede ein besonderer Geist. „Während ich total geplättet war und nicht wusste, wie es weitergehen kann, standen die Mitarbeiter mit Gummistiefeln und Schüppen im Werk und beförderten den Schlamm hinaus“, erinnert sich CEO Alexander Becker.
Starke Mentalität der Mitarbeiter
Diese Wir-kämpfen-für-den-Standort-Mentalität habe ihn zutiefst beeindruckt und sei einer der Faktoren, warum das Werk in Hagen letztlich nicht doch geschlossen wurde. „Das stand nämlich im Raum“, so Becker ehrlich. 28 Millionen Euro Fluthilfe erhielt die Schmiedag vom Land. Daneben knapp 32 Millionen Euro von ihrer Versicherung. Damit sind alle zerstörten Maschinen am Standort ersetzt worden. Allerdings: ersetzt, nicht erneuert.
Becker blickt mit Unverständnis darauf, dass weder das Land noch die Stadt nach drei Jahren ein Hochwasserschutz-Konzept erarbeitet hätten. „Was ist denn geschehen? Bei der Flut damals sind 150 Menschen gestorben, aber es tut sich nichts. Wir haben ja hier auf dem Gelände jetzt eine etwas höhere Mauer. Aber das reicht nicht. Bei der nächsten Flut steht hier zwar eine Mauer, aber das Wasser sorgt dann an anderer Stelle für Probleme.“ An keinem der vielen Standorte in Deutschland liege ein Werk so gefährlich nah am Wasser wie hier.
In der Tat wurde in Hagen seither über Retentionsflächen gesprochen (Areale, die das Wasser fluten kann) sowie über die Beschaffung von geländegängigen Fahrzeugen bei Hochwasserlagen. Das betrifft die Fläche „Laake“ in Delstern und eine Fläche in der Obernahmer. Weitere Retentionsflächen gibt es noch nicht.
Der Wirtschaftsbetrieb hat überdies Radarsonden für die Messung von Pegelständen gekauft, die zur besseren Vorhersehbarkeit von Hochwasserereignissen verknüpft werden. Und: Die Stadt kann über eine Software eine grafische Modellierung vornehmen, um Hochwasserereignisse auf den Zentimeter genau vorherzusagen. Baulich - und das ist das, was Schmiedag-CEO Becker meint - ist hingegen nichts passiert, was präventiven Charakter hat. Die Stadt hatte 83,5 Millionen Euro für den Ersatz ihrer durch die Flut zerstörten Bauwerke vom Land erhalten.
„Die Italiener haben viele Monate die Hälfte des Strompreises erstattet bekommen von der Regierung. Und unsere Ampel-Regierung setzt sich am 14. Dezember letzten Jahres hin und beschließt das Ende der Bundeszuschüsse für die Netzentgelte. 5,5 Milliarden Euro über Nacht weg. Davon haben wir allein 20 Millionen Euro erhalten.“
1,2 Millionen Tonnen Stahl jährlich
Mehr noch als das Wasser drücke aber aktuell das Thema Strompreis. Alexander Becker berichtet, dass man rund 50.000 Tonnen der Schmiedeproduktion an einen italienischen Wettbewerber verloren habe. Zum Vergleich: Die Georgsmarienhütte GmbH produziert jährlich rund 1,2 Millionen Tonnen. „Das sind knapp vier Prozent der Gesamtproduktion“, so Becker. Die Wettbewerbsbedingungen mit Blick auf den Strompreis seien dermaßen ungerecht, dass Mittel für Investitionen so gut wie nicht mehr vorhanden seien.
„Vor dem Krieg lag der Anteil der Energiekosten bei fünf Prozent, jetzt sind es zehn. Das Geld, das Wettbewerber im Ausland investieren können, überweisen wir an die Energieversorger“, so Becker. Zwar würden die gestiegenen Strom- und Erdgaspreise alle Wettbewerber in Europa treffen, aber die Regierungen würden anders damit umgehen. „Die Italiener haben viele Monate die Hälfte des Strompreises erstattet bekommen von der Regierung. Und unsere Ampel-Regierung setzt sich am 14. Dezember letzten Jahres hin und beschließt das Ende der Bundeszuschüsse für die Netzentgelte. 5,5 Milliarden Euro über Nacht weg. Davon haben wir allein 20 Millionen Euro erhalten.“
Netzentgelte explodieren über Nacht
Die vier großen Fernleitungsbetreiber in Deutschland, wozu Tennet, Amprion, 50Hertz und Transnet BW gehören, kündigten daraufhin an, die Netzentgelte zum Jahreswechsel von 3,1 auf 6,4 Cent pro Kilowattstunde mehr als zu verdoppeln. „Wir sind ja nicht der drittgrößte Industriestandort der Welt geworden, weil wir so viel falsch gemacht haben“, sagt Alexander Becker. „Aber zu dieser Regierung dringt man nicht mehr durch. Sie hat den Kompass verloren und sich ihre eigene Realität geschaffen.“
„Wenn Thyssenkrupp oder Salzgitter Geld verlieren, dann ist das ein Trend, der die gesamte Branche trifft. Ich bin einfach nur wütend, weil wir hier in Deutschland leichtfertig Wohlstand an andere Länder abgeben, den wir lange aufgebaut haben.“
Über Gewinne und Verluste spricht Becker nicht offen. Nur so viel: „Wenn Thyssenkrupp oder Salzgitter Geld verlieren, dann ist das ein Trend, der die gesamte Branche trifft. Ich bin einfach nur wütend, weil wir hier in Deutschland leichtfertig Wohlstand an andere Länder abgeben, den wir lange aufgebaut haben.“
Spezialisiert auf bestimmte Teile
Die Schmiedag ist spezialisiert auf die Herstellung von mittleren bis großen geschmiedeten Sicherheitsbauteilen bis zu knapp einer Tonne Bauteilgewicht und bis zu zwei Metern Länge. Die Anwendungsbereiche reichen von Großmotoren, Automotive und Bahntechnik über Energiegewinnung, Öl, Gas und Bergbau bis hin zu Seilbahnen oder Sonderfahrzeugen.
Die Georgsmarienhütte-Gruppe, zu der die Schmiedag gehört, versteht sich als Vorreiter in der nachhaltigen Stahlproduktion. Basierend auf dem Recycling von Metallschrott produziert das Unternehmen nach eigenen Angaben grünen Stahl und leiste damit „einen wichtigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft“.