Hagen. Monique und Dirk Klar schließen ihren Stoffladen und ziehen zum Bodensee. Sie fürchten, dass Flüchtlinge die Kunden in der Hochstraße vergraulen.
Das Ehepaar nimmt kein Blatt vor den Mund: „Wir haben die Nase voll. Jetzt ist Schluss. Wir hauen hier ab.“ Monique Klar und ihr Mann Dirk sind auf dem Baum. Seit über zwölf Jahren betreiben die beiden das Fachgeschäft „Farbenwelt der Stoffe“ in der Hochstraße 93. „Vor drei Wochen haben wir erfahren, dass das Nebenhaus zur Flüchtlingsunterkunft umgewandelt wird. Seitdem gibt es bei unseren Kunden und Teilnehmern unserer Nähkurse nur noch ein Thema“, sagt Monique Klar.
Gefühl des Unwohlseins
Die Stimmung in der Häuserzeile sei sehr aufgeheizt, und die Befürchtung, dass die Geflüchteten für Unruhe sorgen und ein Gefühl des Unwohlseins wecken könnten, sei groß, ergänzt Dirk Klar.
Die Einzelhändler haben in ihren Augen die Reißleine gezogen: „Wir schließen den Laden hier in der Hagener Innenstadt und ziehen zum Bodensee. Den Mietvertrag für das schöne Ladenlokal mitten in der Fußgängerzone der beschaulichen Kreisstadt Ravensburg hab‘ ich am Montag unterschrieben. Wir freuen uns auf unsere neue Heimat“, sagt Monique Klar mit fester Stimme.
Der 54-Jährigen fällt die Entscheidung, Hagen zu verlassen, nicht leicht: „Wir haben nette Stammkunden, die stehen schon jetzt hier im Geschäft, schütteln traurig den Kopf und bedauern, dass wir weggehen. Aber wir verkaufen hier unsere zwei Häuser und ziehen nach Baden-Württemberg, wo das Leben einfach noch anders ist.“ Damit spielt die gelernte Textiltechnikerin auf die wesentlich größere Kaufkraft im süddeutschen Oberschwaben und die schöne Gegend an, „und auf das ruhigere Leben, was wir uns dort erhoffen“.
„Wir verkaufen hier unsere zwei Häuser und ziehen nach Baden-Württemberg, wo das Leben einfach noch anders ist.“
Postagentur vor zwei Jahren geschlossen
Vor zwei Jahren haben die Klars die Postagentur, die ihr Stoffgeschäft flankierte, aufgegeben, da die Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen, denen sie ausgesetzt waren, immer heftiger geworden seien, blicken die beiden nur ungern zurück. „Und nun zieht ins Nachbarhaus eine Flüchtlingsunterkunft. Wir geben fast täglich Nähkurse, an denen ausschließlich Frauen und Kinder teilnehmen. Die Kurse enden um 20 Uhr. Dann ist es im Winter stockfinster, und etliche Teilnehmer sagen schon jetzt, dass sie nicht mehr kommen, da sie sich vor der Tür dann nicht mehr sicher fühlen würden“, erklärt Monique Klar.
„Ohne die Nähkurse können wir aber nicht existieren“, ergänzt Dirk Klar, der sich im Laden um die Nähmaschinen kümmert.
Neues Geschäft in Ravensburg wird am 1. Juni eröffnet
„Ich rede nichts mehr schön, die Hagener Innenstadt geht den Bach runter“, sagt Monique Klar erzürnt. Bis Ende des Jahres läuft noch der Mietvertrag für die Räumlichkeiten in der Hochstraße 93, „wir werden eine Zeit lang unseren Stoffladen in Hagen und das neue Geschäft am Bodensee parallel führen“, sagt das Paar, das sich auf die Eröffnung am 1. Juni in Ravensburg „total freut“.
„Pizzeria Romantica“-Betreiber ist besorgt
Ein paar Meter weiter: Im Nachbarhaus, wo die Flüchtlingsunterkunft eingerichtet wird, befindet sich seit Jahren im Erdgeschoss die „Pizzeria Romantica“. „Wir sind besorgt, wie es hier weitergeht, ob es zu Randale auf der Straße kommt und Leute abends auf dem Bürgersteig rumlungern“, sagt Ekrem Abazi, der gemeinsam mit seiner Frau Dona das rustikale Restaurant in der Hochstraße 95 führt.
Mietvertrag läuft bis 2026
„Wir stammen beide aus dem Kosovo und sind bestimmt nicht fremdenfeindlich, aber einige Kunden werden demnächst hier im Viertel ein komisches Gefühl haben“, befürchtet Ekrem Abazi, der sich im vergangenen Dezember mit seiner Frau Am Sportpark 26a ein zweites Standbein, das „Ristorante am Ischeland“, geschaffen hat.
„Umsatz und Lieferservice in unserer ,Pizzeria Romantica‘ laufen gut. Der Mietvertrag für die Hochstraße 95 läuft noch bis 2026. Mal schauen, was wir dann machen“, legt sich der 45-jährige Gastronom in puncto Zukunft nicht fest.
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„Saras Änderungsschneiderei“ in der Hochstraße 97
Und Sara Said-Abdullah, die seit sechs Jahren eine Änderungsschneiderei in der Hochstraße 97 betreibt? „Wenn es nicht ruhig und friedlich bleibt, gehe ich hier weg“, sagt die gebürtige Syrerin, die mit ihrer Familie seit zwölf Jahren in Hagen lebt.
Sie sei meist bis 18 Uhr allein im Laden, „und wenn ich im Winter im Dunkeln den Laden verlasse, werde ich mich unwohl fühlen. In der Flüchtlingsunterkunft darf nicht geraucht werden. Und nicht alle der größtenteils männlichen, erwachsenen Bewohner werden zum Rauchen auf den schmalen Balkon in der vierten Etage oder in den Hinterhof gehen, sondern sich auf dem Bürgersteig treffen“, befürchtet die dreifache Mutter.
Sara Said-Abdullah schaut stolz durch ihre knapp 65 Quadratmeter große Schneiderei: „Ich habe viele Stammkunden. Etliche meiner Kunden sind alt und haben einen Rollator. Ich werde viele von ihnen verlieren – einige haben mir in den letzten Tagen schon gesagt, dass sie demnächst nicht mehr kommen werden, da sie Angst haben.“