Schwelm. Schwelmer nahm heimlich stundenlange Gespräche auf. Was wussten seine Eltern über Gewalt in der Ehe des Angeklagten mit dem Mordopfer?

Seine Lippen sind fest verschlossen. Kein Wort hat der Angeklagte (48) bislang zu dem Vorwurf gesagt, dass er auf brutalste Art und Weise seine Frau in Schwelm massakriert haben soll – weder nachdem ihn die Polizei verhaftet hat, noch vor dem Hagener Schwurgericht, wo er wegen Mordes angeklagt ist. Ebenso haben sich seine Eltern dazu entschieden, nicht als Zeugen im Prozess gegen ihren Sohn auszusagen. Dennoch erfüllen ihre drei Stimmen mehr als zwei Stunden lang den Gerichtsaal.

Lesen Sie auch:

Wem gehören die Schrottautos mitten in Ennepetal?

Handmade in Schwelm: Jede Tasche ist ein wertvolles Unikat

Gänse-Taxi: So kommt das Weihnachtsessen bequem nach Hause

Schwelmer Mordprozess: Verteidiger nehmen Polizisten in die Mangel

Denn: Die Polizei stieß während ihrer Ermittlungen auf die Ergebnisse eines dunklen Hobbys, dem der Schwelmer nachging, der für eines der blutigsten Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte in Schwelm verantwortlich sein soll. Er hat heimlich Gespräche mit seinem Handy aufgenommen. Mehr als 150 Stunden Tonmaterial sollen die Ermittler laut Informationen dieser Zeitung auf Datenträgern gefunden haben, die sie bei dem Schwelmer nach dessen Verhaftung sicherstellten.

Der hat zumindest über die Zeit, nachdem sich seine Frau von ihm getrennt hatte, bis zu seiner Verhaftung ohne erkennbares Muster, Treffen mit anderen Menschen heimlich aufgezeichnet. Darunter finden sich Aufnahmen seiner eigenen Therapiesitzungen, Gespräche mit Bekannten, private Treffen, juristische Beratungen zu seinen familienrechtlichen Auseinandersetzungen und zahlreiche weitere Begebenheiten. Vieles deutet darauf hin, dass er derartige heimliche Aufnahmen aber auch schon zuvor angefertigt hat.

50-jährige Frau in Schwelm getötet; Am Mittwochnachmittag (28.02.2024) ist eine 50-jährige Frau in Schwelm nach derzeitigem Ermittlungsstand Opfer eines Tötungsdeliktes geworden. Gegen 16.20 Uhr meldeten Anwohner in der Moltkestraße in Schwelm Rettungsdienst und Polizei über eine leblose Frau in einem Hinterhof eines Mehrfamilienhauses. Trotz sofort eingeleiteter Wiederbelebungsmaßnahmen durch die Rettungskräfte verstarb die Frau am Auffindeort. Aufgrund der Gesamtumstände gehen Staatsanwaltschaft und Polizei von einem Tötungsdelikt aus. Eine Mordkommission des Hagener Polizeipräsidiums hat die Ermittlungen aufgenommen. Diese dauern an. Weitere Auskünfte können zum derzeitigen Zeitpunkt nicht erteilt werden.
Der Tatort am Abend der Tat. Hat der Angeklagte seine Frau brutal im Garagenhof massakriert? © Alex Talash | Alex Talash

Das Gericht wird bei Weitem nicht sämtliche Gespräche abspielen, aber vor allem seine Therapiesitzungen könnten noch zum Thema werden. Zunächst lief aber die Aufnahme, die der Angeklagte am 20. Dezember 2022 angefertigt hatte, als er bei seinen Eltern war. Drei Tage zuvor hatten Kollegen und alte Freunde in einer durchgeplanten Aktion seine Frau und den gemeinsamen Sohn aus der Wohnung geholt. Der mehr als zweistündige Gesprächsmitschnitt nimmt die Zuhörer mit an den Kaffeetisch.

Drei Tage nach der Flucht der Ehefrau

Die Atmosphäre ist ruhig. Löffel klingeln beim Umrühren, die Kaffeetassen klappern auf den Untertassen, als die Familie sich niederlässt, um die Flucht von Frau und Sohn zu rekapitulieren. Zur Erinnerung: Das spätere Mordopfer hatte sich mehreren Menschen offenbart, dass sie von ihrem Ehemann gequält und gedemütigt werde, ebenso wie der Sohn. Um sie vor weiterer häuslicher Gewalt zu schützen, war die Gruppe am frühen Morgen des 17. Dezember 2022 in der Wohnung aufgetaucht und wurde von der Schwelmerin eingelassen. Der Ehemann schlief zu diesem Zeitpunkt noch. Die Polizei hatten sie gemeinsam mit der Ehefrau im Vorfeld über die Rettungsaktion in Kenntnis gesetzt. Zwischenzeitlich rief eine Helferin auch die Beamten, doch die Situation blieb ruhig und der Angeklagte allein in der Wohnung zurück.

Neben Belanglosigkeiten – Mutters Miele-Waschmaschine schleudert nach nur einem Jahr nicht mehr richtig; will der Sohn Schnittchen oder Plätzchen mit nach Hause nehmen? – und einigen Versuchen des Vaters, das stockende Gespräch mit weltpolitischen Dingen in Gang zu halten, bieten die zwei Stunden einen Einblick in das Eltern-Kind-Verhältnis und die Verhaltensweisen des 48-Jährigen.

Lesen Sie zum Schwelmer Mordprozess auch diese Artikel:

Schockierende Details einer Ehe

Wie die Fassade zu bröckeln begann

Das heimliche Hobby des Angeklagten

Psychologe des Opfers spricht

Das sagt die Ex des mutmaßlichen Mörders

Die Frage, die sich am stärksten aufdrängt, lautet allerdings: Was wussten die Eltern über das Innenverhältnis der Ehe zwischen ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter? Denn mögliche Gewalttaten aus der Vergangenheit und die vom Sohn noch folgen könnten, sind immer wieder zentral oder beiläufig Thema der Unterredung. Mehrfach betonen beide Eltern, dass ihnen die zu ihrem Todeszeitpunkt 50-Jährige gesagt habe, sie wolle dem Vater des gemeinsamen Sohnes nichts Böses, sondern nur weg von ihm und ihre Ruhe haben. Die Eltern sagen Sätze wie: „Ich will Dir nur sagen, dass Du nichts Unüberlegtes machst.“ oder „Man muss gucken, dass das gut über die Bühne geht.“ „Sie hat das (die Organisation ihrer Flucht, Anmerkung der Redaktion) vielleicht gemacht, weil sie Angst vor Dir hat und wollte verhindern, dass Du etwas machst.“

Besonders deutlich wird die Mutter: „Schlimm wäre, wenn Du sie attackieren würdest oder Stalking oder sowas.“ Der Sohn betont, dass er das gar nicht vorhabe. Doch wusste die Mutter über mögliche Gewalt aus der Vergangenheit, die der Sohn seiner Frau angetan haben könnte, Bescheid? Immer wieder sprechen Zeugen im Gerichtssaal davon, dass das Mordopfer Tagebuch über die Erniedrigungen und häusliche Gewalt geführt habe und diese Aufzeichnungen bei der Schwiegermutter untergebracht habe, damit der 48-Jährige sie nicht findet.

Zuletzt hatte der für Opferschutz zuständige Polizeibeamte aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis im Zeugenstand mitgeteilt, dass die Mutter diese Bücher vor der Tat auf seine Nachfrage hin nicht habe herausgeben wollen. Und: Auch der Angeklagte berichtet darüber, dass er sich mit seiner Frau eine Dokumentation angeschaut habe, in der eine Frau als Opfer häuslicher Gewalt die Taten dokumentiert hat. „Da ist doch was im Busch. Ich mache mir Sorgen, dass meine Frau ein solches Buch gemacht hat“, sagt er.

Angst vor Reaktionen der Frau

Dass Vorwürfe, er würde seiner Frau und seinem Sohn häusliche Gewalt antun, öffentlich werden, davor hatte der mutmaßliche Mörder kurz nach der Trennung und 14 Monate vor dem gewaltsamen Tod der Schwelmerin, Angst. Er berichtet darüber, wie er dem Sohn den Mund zugehalten habe und sich anschließend schlecht gefühlt habe, weil er „es mit der Angst zu tun bekommen“ habe, dass seine Frau dies gegen ihn verwenden könnte. Das Gespräch dreht sich weiter um Streitigkeiten in der Ehe. Das Mordopfer habe ihn mit einem Messer bedroht. „Einmal habe ich mir so heftig auf die Zähne gebissen, damit es nicht eskaliert, dass ich mir sogar ein Stück Zahn abgebrochen habe“, sagt der Angeklagte, und weiter: „Ich bin geneigt, mich in solche Sachen reinzusteigern.“

Prozessauftakt am Landgericht Hagen: Mord an einer Frau in Schwelm; Sachverständiger Dr. med. Nikolaus Grünherz
Sachverständiger Dr. med. Nikolaus Grünherz wird ein Gutachten zum Angeklagten abgeben, dass sich mit dessen Schuldfähigkeit befasst. Auch mit ihm hat der Schwelmer bislang nicht gesprochen. © Alex Talash | Alex Talash

Seine Gedanken kreisen zu jedem Zeitpunkt um ihn selbst. Sprechen seine Eltern die Situation der Frau oder des Sohnes an, lenkt er das Gespräch zurück auf sich, fängt mit einem aktuell laufenden Bewerbungsverfahren an oder damit, wer denn nun für seine Kosten - zum Zeitpunkt ihres Auszugs war er arbeitslos - aufkommt. Das Gespräch endet nach dem zweiten Kaffee.

Aktuell beschäftigen sich die Zeugenbefragungen in dem Mammutprozess, für den 24 Verhandlungstage bis Ende November angesetzt sind, hauptsächlich mit den Verhaltensweisen des Angeklagten vor der Tat. Diese sollen - das kann der geneigte Prozessbeobachter schließen - der Kammer um die Vorsitzende Heike Hartmann-Garschagen auch darüber Aufschluss geben, ob der Schwelmer im Falle einer Verurteilung aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat. Damit wäre ein Mordmotiv gegeben. Ebenso sind all diese Dinge sicherlich Puzzelstücke für Dr. Nikolaus Grünherz, der als Sachverständiger über die Schuldfähigkeit des Schwelmers zu urteilen hat. Ob der Angeklagte vorher noch reden oder seine Stimme bis zum Schluss nur vom Band im Gerichtssaal zu hören sein wird, bleibt abzuwarten. Der Prozess wird nach einer längeren Pause am 29. Oktober fortgesetzt.