Schwelm. Die getötete Schwelmerin soll in ihrer Ehe jahrelang durch die Hölle gegangen sein. Warum das lange niemandem aufgefallen ist.
In dem Mammut-Prozess gegen einen 48-jährigen Schwelmer, dem vorgeworfen wird, seine Noch-Ehefrau am 28. Februar brutal auf dem Garagenhof ihres Wohnhauses erstochen zu haben, häufen sich immer mehr Schilderungen verschiedener Zeugen bezüglich psychischer und körperlicher Gewalt in der Ehe zwischen dem Opfer und dem Angeklagten. Schon zu Beginn der Beziehung soll es Auffälligkeiten gegeben haben. Wie konnte das Martyrium der Ehefrau jahrelang andauern, ohne dass es jemandem aufgefallen oder jemand eingeschritten ist?
Immer weniger Kontakt zu Freunden
Laut Aussagen langjähriger Freundinnen soll sich die 50-jährige Schwelmerin bereits kurz nach dem Start der Beziehung mit dem Angeklagten vor mehr als 20 Jahren immer mehr verändert haben. Zurückhaltender, verschlossener soll sie geworden sein, sich immer seltener gemeldet und immer öfter Ausreden erfunden haben, warum Verabredungen nicht stattfinden können. Nach und nach sei der Kontakt immer weniger geworden und irgendwann komplett abgebrochen. Dass dieses Verhalten auf die Kontrolle und Isolation durch den Ehemann zurückzuführen sei, war damals für die Zeuginnen nicht ersichtlich. Sie deuteten es als mangelndes Interesse seitens der Schwelmerin.
Ein befreundetes Ehepaar hatte noch bis 2018 Kontakt, man habe sich mehrfach zu viert mit den Schwelmern getroffen. Den Angeklagten hätten sie zwar als pedantisch und kontrollierend erlebt, sie sollen auch nicht gemocht haben, wie herablassend er mit seiner Frau gesprochen habe. Geahnt oder konkret mitbekommen, wie schlimm es wirklich in der Ehe zugegangen sein soll, hätten sie aber nicht.
Irgendwann um diese Zeit, zwischen 2018 und 2019, soll die Schwelmerin einen ersten Trennungsversuch unternommen haben. Als gegenüber ihrem Mann aufgeflogen sei, dass die 50-Jährige heimlich eine Wohnung angemietet habe, gab es keine Treffen mehr zwischen den Freunden. Der Kontakt zu ihr sei dann nur noch über ihr Diensttelefon gelaufen, wenn sie auf der Arbeit im Finanzamt war. Das Handy seiner Frau soll der Angeklagte stark kontrolliert haben.
So war die Situation auf der Arbeit
Kolleginnen und Kollegen im Finanzamt Wuppertal haben ebenfalls lange Zeit nicht mitbekommen, wie schlecht es der Schwelmerin wirklich ging. Sie soll sehr darauf bedacht gewesen sein, dass niemand etwas mitbekommt und niemand schlecht von ihrem Mann denkt. Auch die jahrelange Arbeitslosigkeit des Angeklagten habe sie verschwiegen. Eine Zeugin sagte aus, sie sei immer davon ausgegangen, dass der Mann ihrer Kollegin einen tollen Job habe und gut verdiene.
Ab und zu sei die Fassade auf der Arbeit aber doch ins Bröckeln geraten. Manchmal sei die 50-Jährige aufgelöst und weinend gesehen worden, wollte aber nie sagen, was los ist. „Ich kann das nicht erzählen, ich schäme mich so“, soll sie einmal auf Nachfrage zu einer Kollegin gesagt haben. Auch auf ihre erschreckende Gewichtsabnahme soll sie im Finanzamt angesprochen worden sein: „Was ist los mit dir? Du bist so dünn geworden.“ Daraufhin habe sie angefangen zu weinen – aber wieder nichts erzählt.
„Ich kann das nicht erzählen, ich schäme mich so.“
Die Vorgesetzte des Opfers berichtet, die Schwelmerin habe auf der Arbeit oft Halstücher getragen. Aufgefallen sei ihr das erst im Nachhinein, als sie dies nach der Trennung von ihrem Mann nicht mehr getan hatte. Verschiedene Zeugen sprachen davon, dass der Angeklagte seine Frau auch gewürgt haben soll.
Irgendwann kam alles raus
Rausgekommen sei alles erst, als sich die Schwelmerin im Herbst 2022 endlich getraut haben soll, ihren Kolleginnen die Wahrheit über ihre Situation zu erzählen. Auslöser soll ein Zusammenbruch bei der Arbeit gewesen sein. Anschließend habe sie Angebote durch Kolleginnen angenommen, mit ihnen zu reden und soll auch mit ihrer Vorgesetzten zusammen zum Opferschutz der Polizei gegangen sein. Ihren Mann bei der Polizei anzuzeigen, habe sie sich aber nicht getraut. Bei dem bald darauf folgenden Auszug aus der gemeinsamen Wohnung unterstützten sie nicht nur alte Freundinnen, zu denen sie wieder Kontakt aufnahm, sondern auch einige Mitarbeiterinnen des Finanzamtes.
Warum die Trennung erst so spät erfolgte
Die Frage, die immer wieder im Raum steht: Warum hat sie sich nicht eher getrennt? Gründe und Erklärungsansätze hat es vor Gericht seitens der Zeugen schon viele gegeben: Angst, er könne ihr etwas antun. Angst, er könne ihr den Sohn wegnehmen. Angst davor, alleine zu sein, und eine als groß empfundene Scham über alles, was passiert ist. Zwischendurch soll es immer mal wieder bessere Zeiten gegeben haben, in denen ihr der Angeklagte versprochen habe, dass er sich ändern werde. Er habe einmal auch eine Therapie angefangen. Lange soll der Frieden jedoch nie angehalten haben.
Besonders während der Corona-Pandemie soll sich die Situation zu Hause verschlimmert haben. Warum die Schwelmerin im Dezember 2022 dann doch endlich den Mut fassen konnte, auszuziehen, führen Zeugen auf die sich immer weiter zuspitzende Lage zurück. In einem schlimmen Streit kurz vor der Trennung soll der Angeklagte seine Frau mit einer Schere verletzt haben. Außerdem soll sich der Sohn immer mehr gegen seinen Vater aufgelehnt haben, wodurch die Schwelmerin fürchtete, die Situation könnte bald völlig eskalieren. Mutmaßlich habe sie sich auch dadurch sicherer gefühlt, dass sie dieses Mal auf die Unterstützung von Freundinnen und Kolleginnen zählen konnte.
So ist der aktuelle Stand im Prozess
Weiterhin schwierig bleibt im Prozess die Tatsache, dass bisher vieles nur auf Aussagen beruht, die das Opfer gegenüber Zeugen getätigt haben soll. Diese schildern zwar größtenteils ein übereinstimmendes Bild einer grausamen Ehe, die Aussagen können aber lediglich als Indizien für ein mögliches Tatmotiv gelten. Einen handfesten Beweis für die Gewalt in der Ehe soll es in Form eines Tagebuchs durchaus gegeben haben, in dem auch mit Fotos Verletzungen dokumentiert worden seien. Dieses soll die Schwiegermutter aufbewahrt, aber nach der Trennung nicht an den Opferschutz der Polizei herausgegeben haben. Das Buch bleibt weiterhin verschwunden.
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Männliche DNA-Spuren am Tatort sollen laut forensischem Gutachten anhand mehrerer Proben gefunden, aber schwer zuzuordnen gewesen sein. Der große Blutverlust des Opfers habe laut dem Sachverständigen andere Spuren beeinträchtigen und überdecken können. An einer roten Kordel und einer schwarzen Stofflasche, die am Tatort gefunden wurden, konnten aber Spurengemische vom Opfer und dem Angeklagten nachgewiesen werden. An der Hand des Opfers gefundene Kopfhaare, die laut eines ersten Gutachtens nicht eindeutig zugeordnet werden konnten, sollen in einem Zweitgutachten erneut untersucht werden.
Bisher wurden hauptsächlich Zeugen aus dem Umfeld des Opfers befragt. Da der Angeklagte selbst und seine Familie im Prozess schweigen, bleibt abzuwarten, welche Zeugen die Verteidigung eventuell noch laden wird, um ihren Mandanten zu entlasten. Andauern wird der Prozess noch mindestens zwei Monate. Ein Urteil ist frühestens für den 22. November erwartet.