Schwelm. Schon lange vor der schrecklichen Tat im Februar, suchte die Schwelmerin Hilfe bei Vertrauenspersonen. Das wusste ihr Umfeld über die Ehe.
Einige Verhandlungstage liegen in dem Mordprozess gegen einen 48-jährigen Schwelmer bereits hinter dem Schwurgericht am Hagener Landgericht und langsam setzt sich aus Puzzlestücken von Zeugenaussagen ein immer klareres Bild der grausamen Ehe zwischen dem Opfer und dem Angeklagten zusammen. Nachdem in der vergangenen Woche einige Freundinnen der ermordeten Schwelmerin schlimmste Szenen geschildert haben, die ihnen nach der Trennung über die Ehe berichtet wurden, sagten nun die Hausärztin und eine Therapeutin vor Gericht aus, die die 50-Jährige bereits während des Zusammenlebens mit ihrem Ehemann ins Vertrauen gezogen hatte.
Verteidigung erhebt Einspruch gegen Befragungen
Beinahe wäre es zu diesen Befragungen aber gar nicht gekommen, denn die Strafverteidiger des Angeklagten sprechen sich vor beiden Vernehmungen gegen die Verwertbarkeit ihrer Aussagen aus und berufen sich auf die Schweigepflicht, die gegenüber des Opfers von ärztlicher Seite aus auch nach dem Tod zu wahren sei. Beide Male wird die Verhandlung unterbrochen, damit sich der Richtertisch beratend zurückziehen kann. Mit dem gleichen Ergebnis: Die Zeugen haben aufgrund ihrer Schweigepflicht zwar ein Zeugnisverweigerungsrecht, können aber selbst entscheiden, ob sie aussagen wollen, wenn sie denken, dass dies im Sinne des Opfers sei. Und sie wollen aussagen.
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Besonders die langjährige Hausärztin der Getöteten berichtet umfassend davon, was sie mitbekommen hat. Schon im Jahr 2015 öffnete sich die Schwelmerin ihr das erste Mal; acht Jahre, bevor sie ihren Mann verließ. „Es war Thema, dass ihr Mann alles kontrolliert“, erzählt sie im Zeugenstand. Der Angeklagte sei zu dem Zeitpunkt arbeitslos gewesen. „Sie hat alles gezahlt.“ Neben der Arbeit habe die Finanzbeamtin sich allein um den Haushalt und den Sohn gekümmert. „Sie war sehr erschöpft und hat viel geweint.“
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Auch eine Therapeutin, bei der die Schwelmerin immer mal wieder von 2015 bis 2018 in Behandlung war, schildert, dass sich die Situation ab 2015 verschärfte, weil die Finanzbeamtin von da an überwiegend im Home-Office arbeitete und mehr Zeit Zuhause verbrachte. Zu der Therapeutin kam sie in diesem Jahr durch eine Überweisung zur Krisenintervention durch die Hausärztin. Abgerechnet wurden die Sitzungen auf Wunsch des Opfers als private Beratungsgespräche. Sie habe es nicht über die Krankenversicherung laufen lassen wollen, damit ihr Ehemann nicht durch Briefe oder Formulare von der Therapie erfährt.
Ihrer Ärztin gegenüber soll sie von 2018 bis 2022 dann immer wieder vom Kontrollzwang ihres Mannes erzählt haben, und dass er sie mehrere Stunden oder auch über Nacht ohne Essen in den Keller sperren würde. Sie kam meist unter einem Vorwand zu ihr in die Praxis. Mit Verletzungen durch häusliche Gewalt habe sie sich allerdings nie an die Hausärztin gewandt: „Damit ging sie ins Krankenhaus.“ Wenn die Ärztin länger nichts von der Schwelmerin hörte, machte sie sich große Sorgen. „Ich hatte immer Angst, dass irgendwas passiert.“ Sie habe ihr auch die Adresse eines Vereins für Opfer häuslicher Gewalt gegeben. Die Schwelmerin soll auch Kontakt aufgenommen haben, aber mehr wisse sie nicht.
Opfer hatte Angst vor ihrem Mann
Im September 2022 berichtete die 50-Jährige dann explizit gegenüber ihrer Ärztin, dass sie große Angst vor ihrem Mann habe. Er habe zu ihr gesagt: „Wenn du mich verlässt, bringe ich dich um.“ Sie habe das zwar nicht in der Akte dokumentiert, könne sich aber noch genau daran erinnern. Zu der Therapeutin soll sie bereits früher geäußert haben, dass ihr Mann ihr etwas antun werde, wenn sie sich trennen würde, und ihr den gemeinsamen Sohn wegnehmen würde. Die Therapeutin betont allerdings, dass es sich dabei um die Angst des Opfers gehandelt habe und sie keine konkreten Aussagen des Mannes wiedergebe.
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Beide Frauen berichten von Tagebüchern, die das Opfer über Beleidigungen und Bestrafungen geführt habe, auch auf Anraten der Therapeutin hin, um sich so emotional von der eigenen Situation distanzieren zu können. Anvertraut habe sie diese schriftlichen Dokumentationen ihrer Schwiegermutter, die sie nach der Trennung aber nicht mehr herausgegeben haben soll, um ihren wegen Mordes angeklagten Sohn zu schützen. Davon abgesehen sei die Schwiegermutter aber insoweit eine Hilfe gewesen, dass sie ihr heimlich einen Schlüssel zu ihrem Haus gegeben habe, als Zufluchtsort, weil der Angeklagte seine Frau oft nach Streits „ohne Schuhe und Jacke, ohne Schlüssel und Handy, bei jeder Temperatur“ nachts vor die Tür gesetzt habe.
Die Hausärztin kannte auch den Angeklagten
Der Angeklagte war bei der Hausärztin selbst einige Male als Vertretungspatient in Behandlung. Sie beschreibt ihn als „sehr intelligent, sehr lauernd.“ Auch ihre Arzthelferinnen haben ihn „auf eine Art bedrohlich“ empfunden. „Ich fand ihn als Mensch sehr unangenehm.“ Sie bezeichnet ihn auch als einen paranoiden Narzissten, wofür sie auf Nachfrage als Begründung zum einen ihre berufsbedingte Menschenkenntnis anführte und die Tatsache, dass er ihre Anordnungen infrage stellte und immer alles besser gewusst haben soll. Daraufhin äußerte die Verteidigung Bedenken, dass diese Aussage den vom Gericht beauftragten psychiatrischen Gutachter beeinflussen könnte. Eine persönliche Begutachtung durch ihn hatte der Angeklagte bereits im Vorfeld des Prozesses abgelehnt.
Darum trennte sich das Opfer so lange nicht
Die Therapeutin führte auch einige Gründe an, warum der Schwelmerin trotz jahrelangen Leidens keine Trennung gelang. Sie spricht von einer abhängigen und selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung beim Opfer. Da sie keine eigenen Eltern mehr hatte, soll sie große Angst davor gehabt haben, die einzige Familie zu verlieren, die sie hatte. Zudem habe sie dem Sohn den Vater nicht nehmen wollen. Darüber hinaus sei es normal, dass Traumapatienten viele Jahre bräuchten, um tatsächlich etwas an ihrer Situation zu ändern.
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Als sie dann endlich den Entschluss gefasst hatte, sich zu trennen, stand ihr auch die Hausärztin beratend zur Seite. Im November 2022 berichtete ihr das Opfer von ihren Plänen, woraufhin die Ärztin ihr nahe legte, sich Hilfe von alten Freunden zu holen, was sich wiederum mit anderen Aussagen deckt. Im Nachhinein habe sie sich Vorwürfe gemacht, der Schwelmerin zur Trennung geraten zu haben. „Dann würde sie jetzt wahrscheinlich noch leben. Andererseits war das auch kein Leben.“