Hochsauerlandkreis. Die Ampel ist Geschichte. Es läuft auf Neuwahlen heraus. Doch wann? Stimmen aus dem Sauerland vom Tag nachdem die Koalition zerbrach.
Dirk Wiese geht am Donnerstagmorgen am Bundeskanzleramt in Berlin vorbei, als er sich Zeit nimmt, mit der Westfalenpost über die Ereignisse des Vorabends zu sprechen. Der Baulärm ist kurz so laut, dass das Gespräch unterbrochen werden muss. Es wird gebaut am Kanzleramt. Seit gestern Abend ist klar: Auch im Inneren der deutschen Machtzentrale bleibt wohl kein Stein auf dem anderen.
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SPD steht geschlossen hinter Scholz
Wiese, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, war nicht völlig überrascht, als er von den Entwicklungen hörte: „Es gab ja schon im Vorfeld eine Vielzahl an Gesprächen. Uns allen war klar, dass das eine schwierige Woche wird. Am Ende muss man es dann aber so deutlich sagen: Es ging nicht mehr mit der FDP.“ Das Scheitern der Koalition führt er auf die mangelnde Kompromissbereitschaft von Finanzminister Christian Lindner zurück. Bundeskanzler Olaf Scholz habe aus seiner Sicht richtig entschieden: „Wir haben ja noch versucht, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, haben Angebote gemacht, nichts unversucht gelassen, aber Christian Lindner war nicht kompromissbereit.“ Mancher hatte gehofft, dass die Wiederwahl von Donald Trump in den USA die Ampel-Koalition noch einmal zusammenbringen könnte. Diese Hoffnung wurde nun enttäuscht.
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Die SPD stehe geschlossen hinter Scholz, betont Wiese. Noch am Mittwochabend kamen die Fraktionsspitzen zu einer Krisensitzung zusammen: „Dort herrschte ein hohes Maß an Entschlossenheit“, berichtet Wiese. Scholz’ Rede zur Entlassung Lindners bezeichnet er als „starke Ansprache“. Eine, die Klarheit geschaffen habe.: „Es gibt Entscheidungen, die bedürfen keines Aufschubs.“ Damit meint er vor allem die weitere militärische Unterstützung der Ukraine – „gerade stehen 12.000 nordkoreanische Soldaten bereit“ – sowie die Unterstützung für energieintensive Unternehmen, „die wir ja auch hier bei uns im Sauerland haben“.
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Dass Scholz nicht sofort die Vertrauensfrage stellt, verteidigt Wiese als Zeichen der Verantwortung: „Die Menschen erwarten von uns Verlässlichkeit und keine überhasteten Entscheidungen.“ Die nächsten Tage werden entscheidend sein. Gespräche müssten geführt werden, auch mit Friedrich Merz, dem Oppositionsführer: „Wir müssen das Gespräch mit Friedrich Merz suchen, insbesondere, weil es in der Ukraine-Frage und bei der Unterstützung unserer Wirtschaft schnell Antworten geben muss“, betont Wiese.
„ „Es gab ja schon im Vorfeld eine Vielzahl an Gesprächen. Uns allen war klar, dass das eine schwierige Woche wird. Am Ende muss man es dann aber so deutlich sagen: Es ging nicht mehr mit der FDP.“
Wiese ist sich sicher: Die SPD wird mit Olaf Scholz als Kanzler in den nächsten Wahlkampf ziehen. „Der Bundeskanzler ist gesetzt.“ Auch die Sozialdemokraten im Sauerland bereiten sich bereits vor. Die Zeichen stehen auf Wahlkampf. An diesem Donnerstagmorgen wird Wiese die erste Rede im Bundestag halten, möglicherweise eine seiner letzten Ansprachen als Teil einer Regierungskoalition.
FDP: Gemeinsamkeiten in den Programmen sehr gering
„Nein“, betont der FDP-Bundestagsabgeordnete Carlo Cronenberg aus dem Hochsauerland am Tag nach dem Ampel-Aus, „froh, bin ich darüber nicht.“ Die Liberalen hätten einen konkreten Vorschlag auf den Tisch gelegt, um die Wirtschaft in Deutschland wieder in Schwung zu bringen. Aber bei Bundeskanzler Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) habe es keine ernsthaften Bemühungen gegeben, darüber zu verhandeln. Die Folge: Die Koalition ist am Ende. Cronenberg: „Dabei bräuchten wir jetzt eine Regierung, die handeln könnte.“
„Es wird schwer, in kurzer Zeit aus dem Umfragetief heraus zu hohen Zustimmungswerten zu kommen.“
Rückblickend sagt Cronenberg, dass die Gemeinsamkeiten in den Programmen von FDP, SPD und Grünen sehr gering gewesen seien. „Die Grundlage wurde dann im Koalitionsvertrag gefunden“ - aber: Dann sei bald darauf Russland gegen die Ukraine in den Krieg gezogen und letztlich hatte das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von Milliarden im Haushalt gestoppt. „Das hat uns die Grundlage entzogen“, erklärt Cronenberg.
Er kündigte an, erneut für den Bundestag kandidieren zu wollen. Schon Ende November wollen die Liberalen im Hochsauerlandkreis ihre Beschlüsse fassen. Cronenberg sagte, er hoffe, dass die Menschen der FDP wieder das Vertrauen schenken. Aus seiner Sicht habe sie ihre wirtschaftliche Kompetenz gerade unterstrichen.
Eine Wette, dass die Liberalen wieder zweistellig aus der Bundestagswahl hervorgehen, will er momentan nicht mehr eingehen. „Es wird schwer, in kurzer Zeit aus dem Umfragetief heraus zu hohen Zustimmungswerten zu kommen.“ Dennoch plädiert er dafür, zügig neu zu wählen und nicht erst bis März zu warten - „so früh wie möglich.“
Für die Grünen kommen die Neuwahlen zu einem ungünstigen Zeitpunkt
Sandra Stein, die Bundestagskandidatin der Grünen im Hochsauerlandkreis hatte zwar am Mittwochmorgen ein komisches Bauchgefühl, von dem Koalitionsbruch wurde sie aber trotzdem überrascht: „Klar, die Koalition befand sich schon seit Wochen, vielleicht sogar Monaten auf Messers Schneide. Nach dem Sieg von Trump hatte ich aber damit gerechnet, dass sich die Parteien noch mal zusammenraufen“, sagt Stein.
„Das ist mein erster Wahlkampf, bei dem ich selbst im Fokus stehe, und da setzt uns der vorzeitige Wahltermin natürlich unter Druck.“
Dass die Regierungskoalition auseinanderbricht, sei vor allem der FDP zuzuschreiben, stellt sie klar. „Es war folgerichtig, dass Olaf Scholz Christian Lindner entlassen hat. Die FDP war, so habe ich das zumindest gehört, nicht dazu bereit, sich auf mögliche Kompromissangebote einzulassen“, sagt Stein, die nicht nur Politikerin, sondern auch Unternehmerin ist.
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Für die Grünen im Hochsauerlandkreis sei es „heftig“, dass es zu Neuwahlen komme. Die Listenaufstellung bei der Landespartei ist zwar schon für Anfang September angesetzt, aber der unerwartet frühe Wahltermin stellt die Partei vor neue Herausforderungen. Sandra Stein spürt die Verantwortung, zum ersten Mal in ihrem politischen Leben selbst im Mittelpunkt zu stehen. „Das ist mein erster Wahlkampf, bei dem ich selbst im Fokus stehe, und da setzt uns der vorzeitige Wahltermin natürlich unter Druck“, gibt sie offen zu.
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Doch trotz aller Belastungen und Unwägbarkeiten bewahrt Stein ihren pragmatischen Blick. „Wir können uns jetzt nicht ewig Zeit lassen mit der Vertrauensfrage. Es ist wichtig für die Menschen und die Wirtschaft, dass die Regierung in Zukunft Stabilität vermittelt“, betont sie. Ein Neuwahltermin noch in diesem Jahr? Das schließt sie allerdings aus. Die Grünen wissen, dass sie Zeit brauchen, um sich zu formieren, um sich aufzustellen. Und doch heißt das auch, dass sie für den Übergang mit der Opposition sprechen müssen. Ob das funktionieren wird? Sandra Stein ist skeptisch. „Ob sich Friedrich Merz da auf einen Deal einlässt, das kann ich mir nicht so gut vorstellen“, sagt sie abschließend.
AfD macht Merz Angebot
Für Otto Strauß, den Kreissprecher der Alternative für Deutschland im Hochsauerlandkreis, kommt der Bruch der Koalition in Berlin nur vom Zeitpunkt überraschend: „Angebahnt hatte es sich ja schon länger.“
„Wir sollten uns an Donald Trump ein Beispiel nehmen, der sagt: America First. Ich sehe bei den etablierten Politikern aber keinen einzigen, der sagt: Deutschland zuerst.“
Strauß hat jetzt ein prominentes Vorbild auch für Deutschland: „Wir sollten uns an Donald Trump ein Beispiel nehmen, der sagt: America First. Ich sehe bei den etablierten Politikern aber keinen einzigen, der sagt: Deutschland zuerst.“ Er macht dem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz von der CDU das Angebot, mit der AfD künftig zusammenzuarbeiten: „Ich gönne es ihm, Bundeskanzler zu werden. Merz hätte auch die Möglichkeit, mit der AfD das umzusetzen, was er populistisch von sich gibt. Wir würden darauf bestehen, dass es auch umgesetzt würde.“
Allerdings glaube er nicht, sagt Otto Strauß, dass es mit einem Kanzler Merz tatsächlich besser werde, „wenn er mit den Versagern von heute in eine neue Koalition gehen wird“. Sehr wahrscheinlich, mutmaßt er, würden die Grünen dann auch einer neuen Koalition angehören: „Gerade den Grünen aber haben wir doch diese Misere zu verdanken“ – wobei Strauß sagt, dass der „Zusammenbruch“ der deutschen Wirtschaft bereits unter Angela Merkel mit der CDU begonnen habe.
Der AfD-Politiker glaubt nicht, dass die FDP vom Bruch der Koalition und von Neuwahlen profitieren werde. Er meint: „Um es ganz krass zu sagen, die FDP war schon immer eine Polithure. Die sind immer mit denen ins Bett gegangen, bei denen sie einen Vorteil sahen.“
Möglicherweise wird Otto Strauß selbst bei der Bundestagswahl im Hochsauerlandkreis unter anderem gegen Friedrich Merz und gegen Dirk Wiese von der SPD antreten. Die AfD hat am Sonntag, 10. November, ihren Kreisparteitag, um ihren Kandidaten aufzustellen. Strauß sagt: „Ich kandidiere auf jeden Fall.“ Ob es weitere Bewerber oder Bewerberinnen geben werde, sei aktuell noch offen.