Winterberg. Schneechaos, ernste Lage. Feuerwehr und THW sind am Ende der Kräfte. Das Militär greift ein. So funktioniert die Bundeswehrhilfe in Winterberg.
Da kommt er. Militärische und zivile Augenpaare recken den Kopf in den grauen Himmel. Nieselregen setzt ein. Erst hört, dann sieht man ihn. Vor gut 50 Minuten ist der Such- und Rettungshubschrauber SAR 41 der Bundeswehr an seinem Fliegerhorst in Nörvenich gestartet. Jetzt dreht der Airbus-Helikopter noch eine Runde über die Wiese vor dem Winterberger Rathaus. Dann setzt Hauptmann Marco Forster die 3,8 Tonnen schwere und 13,64 Meter lange Maschine mit ihren 1542 PS sanft ins Gras.
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Leitstellenleiter Oberstleutnant Louis aus Münster begrüßt ihn an dieser besonderen Stelle. Denn drei Tage lang übt die Bundeswehr zusammen mit zivilen Fachleuten den Ernstfall rund um die Winterberger Kappe. Das Szenario lautet: Extreme Wetterlage durch Schnee. Es ist ein Planspiel für den Notfall, um herauszufinden: Was schaffen zivile Kräfte in einer durchaus realen Ausnahmesituation? Ab wann ist militärische Hilfe nötig und wann ist sie möglich? Denn auch das ist per Gesetz klar geregelt. Aber die Absprachen müssen stimmen.
Auf dem Papier klingt die Übung im ersten Moment nach einer großangelegten Aktion im Freien mit zahlreichen Reservisten, kreisenden Helikoptern, Hangeln an der Strickleiter, vielen Hilfskräften und jeder Menge körperlichem Einsatz mit Unterstützung aus der Luft. Real fällt das Szenario etwas überschaubarer aus, besteht mehr aus Modell-Analysen am grünen Tisch, ist aber dadurch nicht weniger bedeutsam. Offiziell ist das Ganze eine Übung des Kreisverbindungskommandos. Was man wissen muss: Die Bundeswehr steht in engem Kontakt zu allen Bezirken, Kreisen und kreisfreien Städten im Bundesland – auch zum HSK. Dafür gibt es in NRW fünf Bezirks- und 54 Kreisverbindungskommandos. „Sie sind zuständig, wenn es im Katastrophenfall um die zivil-militärische Zusammenarbeit geht“, erklärt Oberstleutnant Achim Schneider, der das Bundeswehr-Lagezentrum in Düsseldorf leitet.
Rund 25 Soldatinnen und Soldaten – vornehmlich Reservisten – sind an diesem Wochenende in Winterberg. Sie gehören den Kreisverbindungskommandos HSK, Olpe, Siegen-Wittgenstein, Paderborn und der Städteregion Aachen an. Und sie werden in verschiedene Rollen schlüpfen – zum Beispiel in die eines Landrates – und sie werden versuchen, die fiktive Extrem-Schnee-Lage im ebenfalls erfundenen Landkreis „Grafschaft-Schmallenberg“ hoffentlich gut zu bewältigen. „In der Krise Köpfe kennen“, lautet die Devise bei diesen Übungen. Wichtig: In solchen Katastrophenlagen ist immer zuerst die Feuerwehr und/oder das THW am Zuge. Wir als Bundeswehr können und dürfen gar nicht als Erste einschreiten. Erst wenn die zivilen Kräfte erschöpft sind und die hoheitlichen Fragen geklärt sind, dann kommen wir“, sagt Oberstleutnant Stefan Pieper, der das Kreisverbindungskommando Hochsauerlandkreis leitet und z.B. auch bei Corona mit im HSK-Krisenstab des HSK saß.
Extremer Schneefall
Vom Kreis sind heute u.a. Michael Schlüter (Chef der Einsatzleitstelle) und Anja Menne (Leiterin des Krisenstabs) vor Ort. Die dreitägige Übung in Winterberg werde so real verlaufen, „dass die Teilnehmenden nach 30 Minuten nicht mehr wissen, ob die Situation echt oder erfunden ist“, so Pieper. In Notlagen müsse es schnell gehen, müssten auch gängige Abkürzungen für alle verständlich sein. Final müsse ein präzise formulierter Hilfeleistungsantrag in Berlin eingereicht werden, wo er dann hoffentlich schnell und positiv entschieden werde.
Äußeres Symbol der militärischen Unterstützung bei zivilen Notfällen ist der Hubschrauber SAR 41, der am Freitag für eineinhalb Stunden vor dem Winterberger Rathaus parkt. Gäbe es zwischenzeitlich einen Notfalleinsatz, würde der Heli sofort wieder in die Luft steigen. Geduldig stehen die zwei Piloten und der Luftrettungsmeister – so die Standardbesetzung – den Schaulustigen Rede und Antwort. „Würde der Hubschrauber wirklich in einer extremen Schnee-Wetterlage hier zum Einsatz kommen, müsste er auch entsprechend umgerüstet sein und zum Beispiel über einen Einsink-Schutz an den Kufen verfügen“, erklärt Marco Forster. Staub- und Schneelandungen – erstere kennt er aus Afghanistan-Einsätzen – seien die schwierigsten Start- und Landemanöver. Und überhaupt brauchen die Piloten solcher Helis spezielle Gebirgsflug-Ausbildungen.
Im Rathaus erklärt Oberstleutnant Louis den Übungsteilnehmern unterdessen, welche Zuständigkeiten die militärischen Luftretter haben. Wann auch immer ein ziviles oder militärisches Flugzeug vom Radar der Flugsicherung verschwindet, greift der Militärische Such- und Rettungsdienst ein. Wenn auch kleinere Flugzeuge dabei sind, so kommt es doch vor, dass die Einheit aus Münster pro Jahr zwischen 20 und 40 Abstürze sowie 100 zivile Rettungsflüge macht. „Aber: Wir sind nur dann am Zuge, wenn die zivilen Stellen wie zum Beispiel der ADAC nicht rechtzeitig vor Ort sein können und wenn durch deren Verspätung oder Fernbleiben Lebensgefahr für Mensch oder Tier bestehen würde. Und das 365 Tage im Jahr und 24 Stunden lang am Tag.“ Selbst wenn die zivilen Retter zum Beispiel nachts die Segel streichen würden, würde das SAR-Team noch einen Versuch riskieren.
Fiktives Szenario
In Winterberg ist das am Freitag unproblematisch. Das Flugwetter ist gut, der Heli schwebt wieder gen Nörvenich und das Kreisverbindungskommando wälzt sich nun drei Tage durch extreme Schneefälle - hoffentlich bleibt es beim fiktiven Szenario.