Berlin. Polyamorie und Eifersucht vertragen sich nicht – oder doch? Zwei Experten sagen, ob eine offene Beziehung mit Eifersucht möglich ist.
Viele Menschen vermuten, dass polyamore Beziehungen frei von Eifersucht sind. Schließlich akzeptieren polyamore Paare, dass einer oder beide Partner neben der Hauptbeziehung auch mit anderen Personen Intimitäten austauschen können – eine Prämisse, die viel Vertrauen voraussetzt. Ist an dieser Annahme etwas dran? Funktionieren offene Beziehungen mit Eifersucht überhaupt? Und wie geht man mit diesem Gefühl in einer polyamoren Beziehung um? Eine Paartherapeutin und ein Sozialwissenschaftler geben Antworten auf diese Fragen.
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Was ist eine polyamore Beziehung?
Eine einheitliche Definition von Polyamorie gibt es nicht. Der Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann definiert Polyamorie als eine „konsensuale Beziehung zwischen mehr als zwei Personen, die auf der Emotion Liebe und auf intimen Praktiken über einen längeren Zeitraum basiert“. Während bei polyamoren Beziehungen die Liebesbeziehung im Vordergrund stehe, spiele bei einer offenen Beziehung überwiegend der sexuelle Kontext eine Rolle, erklärt Ossmann. Dennoch sei in beiden Beziehungsformen ein „Konsens“, eine Übereinkunft notwendig, damit sich beide Partner mit anderen Menschen verabreden oder sexuell verkehren können.
Nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers vermittelt das gemeinsam aufgestellte Regelwerk das Gefühl eines „geschützten Raumes“, da es einen Rahmen bietet, in dem sich die Paare dann frei bewegen können. „Das Paar muss für sich Regeln aufstellen, um zu wissen, was erlaubt ist und was nicht“, sagt Ossmann. Diese Regeln könnten zum Beispiel helfen, Ängste abzubauen, etwa dass in einer offenen Beziehung Gefühle für andere aufkommen könnten. Die Regelungen schüfen eine Grundlage, wie mit verschiedenen Situationen umgegangen werden könne, so Ossmann.
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Ist Eifersucht in offenen Beziehungen normal?
Trotz der Sicherheit, die die Spielregeln bieten, kann es jedoch auch in offenen Beziehungen zu Eifersucht kommen. „Nur weil man offen sagt, dass man mehrere Menschen liebt, ist das noch keine Statusgarantie für die eigene Beziehung. Auch hier entstehen Dynamiken, die zu Eifersucht führen können“, erklärt die Paar- und Sexualtherapeutin Nina Jares.
In offenen oder polyamoren Beziehungen könne sich die Eifersucht allerdings auf andere Themen beziehen als in monogamen Partnerschaften, so die Expertin. Zum Beispiel, wenn der neue Partner oder die neue Partnerin mehr Aufmerksamkeit bekomme als der andere. Oder dass die Zeit mit dem externen Partner interessanter oder romantischer gestaltet werde als die gemeinsame Zeit. Schließlich sind Liebe und Sexualität bei polyamoren Paaren nicht mehr exklusiv. „Als Anker braucht es dann mindestens zwei oder drei Dinge, die nicht geteilt werden“, betont auch Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann.
In offenen oder polyamoren Beziehungen kann sich die Eifersucht zum Beispiel auf folgende Themen richten:
- Zeit, die man mit dem Partner vermisst
- Dinge, die der Partner nur mit anderen teilen kann
- Ausgesprochene Regeln werden durch einen neuen Partner verändert
- Neue Partner versuchen, die ursprüngliche Beziehung zu zerbrechen
- Ein Partner bekommt mehr Aufmerksamkeit (mehr Flirts, mehr Kontakte)
Plötzliche Eifersucht in einer langjährigen offenen Beziehung – wie geht man damit um?
Wenn in einer langjährigen offenen oder polyamoren Beziehung plötzlich Eifersucht auftauche, sei das meist ein Zeichen für andere Probleme in der Partnerschaft, zum Beispiel unerfüllte Bedürfnisse, erklärt Paartherapeutin Nina Jares. Die Partner sollten dann versuchen herauszufinden, warum der andere solche Gefühle entwickelt habe: Was löst die Eifersucht aus? Liegt es daran, dass sich ein Partner vom anderen nicht unterstützt fühlt? Oder hat das Paar in letzter Zeit zu wenig Zeit zu zweit verbracht? „Miteinander reden, sich über seine Bedürfnisse klar werden und nicht zwanghaft am Konzept der offenen Beziehung festhalten, sondern offen sein für alle möglichen Lösungen: Das kann helfen“, sagt Jares.
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Die Paartherapeutin rät auch dazu, vorher festgelegte Regeln neu auszuhandeln, zu konkretisieren oder für eine bestimmte Zeit auszusetzen. Manchen Paaren helfe auch eine sogenannte „Beruhigungsphase“, in der die Intensität an andere Paare angepasst werde: Ist nur Sex erlaubt oder auch Verabredungen und Gefühle?
Weitere Tipps der Experten bei Eifersucht in offenen Beziehungen:
- Keine Vorwürfe oder Schuldzuweisungen machen, sondern Emotionen zulassen, sonst können Scham- oder Wutgefühle verstärkt werden.
- Das offene Gespräch suchen und Unsicherheiten ansprechen, um Lösungen zu finden.
- Am eigenen Selbstbild arbeiten, um weniger Sorgen und Ängste in der Beziehung zu haben.
Ist eine offene Beziehung für den Eifersüchtigen geeignet?
Grundsätzlich funktionierten offene Beziehungen am besten, wenn sich zwei Partner in einer polyamoren oder offenen Beziehung gefunden haben und nicht erst von einer monogamen in eine offene Beziehungsstruktur wechseln müssen, erklärt der Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann. Denn dann, so der Experte, stünden die Beziehungsmuster und -regeln von vornherein fest und beide Partner könnten etwa Liebe und Sexualität voneinander trennen.
Oft, so Ossmann, würden offene oder polyamore Beziehungen aber nicht aus einem gemeinsamen Wunsch heraus eingegangen. Der Wechsel in eine solche Beziehungsform könne auf Drängen des Partners oder einfach aus Neugier erfolgen. Beides kann sich laut des Experten im Laufe der Zeit ändern. So könne es sein, dass der Partner nach einem Eifersuchtsvorfall merke, dass eine offene Beziehung nichts für ihn ist.
Aber auch Lebensphasen können zu einem Umdenken führen: Es gibt Lebensabschnitte, in denen ein Paar laut der Experten beispielsweise gerne polyamor lebt, und solche, in denen es lieber monogam leben möchte. Das kann etwa mit dem Umzug eines Partners, einer Schwangerschaft oder einer Krankheit zusammenhängen – oder einfach so passieren. Hier sei es wichtig, die eigenen Gefühle und Absichten offen zu kommunizieren und sich einzugestehen, dass eine polyamore Beziehung nicht immer funktionieren muss, sagt Ossmann. Niemandem sei damit gedient, wenn einer der Partner schlicht keine offene Beziehung wolle.