Berlin. Polyamorie, offene Beziehung – es gibt viele Beziehungsformen. Zwei Experten erklären die Unterschiede und wie es funktionieren kann.
Was ist Liebe? Auf diese Frage hat wohl jeder eine andere Antwort. Für die einen beginnt Liebe mit Leidenschaft, für die anderen ist sexuelle Leidenschaft gar nicht so wichtig. Die eine, richtige Art von Liebe, die sich mit einer einfachen Definition zusammenfassen und beschreiben lässt, gibt es nicht – dafür ist sie viel zu komplex.
Es gibt viele unterschiedliche Beziehungsformen. Neben der Liebe zwischen Zweien, der Monogamie, gibt es auch die Polyamorie, die offene Beziehung oder die platonische Liebe. Was die Beziehungsformen unterscheidet und welche Regeln und Herausforderungen sie mit sich bringen, erklären eine Psychologin und ein Sozialwissenschaftler.
Monogamie: Unterschied zwischen exklusiver und inklusiver Beziehung
In der heutigen Welt der Beziehungen ist es oft nicht klar, wo man als Paar steht. Zwischen „nur daten“ und „in einer Beziehung sein“ gibt es viele Grauzonen. Eine davon ist die „exklusive Beziehung“. Einfach ausgedrückt handelt es sich dabei um eine „gegenseitige Vereinbarung zwischen zwei Personen, nur miteinander romantische oder sexuelle Beziehungen einzugehen“, erklärt die Psychologin und Paar- und Sexualtherapeutin Nele Sehrt aus Hamburg. Exklusivbeziehungen schlössen in der Regel Personen außerhalb der Partnerschaft aus und folgten strengeren Regeln.
Inklusive Modelle seien in der Regel offener, so die Psychologin. Beispiele dafür seien Polyamorie und offene Beziehungen. „Obwohl auch diese Beziehungskonzepte oft Regeln definieren, schließen sie Menschen außerhalb der Partnerschaft nicht aus“, so Sehrt.
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Polyamorie und offene Beziehung: Was ist der Unterschied?
Abgeleitet vom altgriechischen polýs („viel, mehrere“) und dem lateinischen amor („Liebe“) entstand Anfang der 1980er Jahre der Begriff „Polyamorie“. Heute versteht man unter Polyamorie „eine einvernehmliche Beziehung zwischen mehr als zwei Personen, die auf der Emotion Liebe und intimen Praktiken über einen längeren Zeitraum basiert“, so die Definition des Sozialwissenschaftlers Stefan Ossmann von der Universität Wien. „Anzahl und Geschlecht spielen dabei keine Rolle.“ Das Beziehungsgeflecht könne also aus zwei Männern und einer Frau, drei Frauen und einem Mann oder auch aus zwei Männern und zwei Frauen bestehen. Entscheidend, so Ossmann, sei die tiefe emotionale Bindung und die gegenseitige Verantwortung. Polyamorie sei auch nicht mit Polygamie gleichzusetzen. Dieser Begriff stehe für eine Vielehe und bedeute, dass eine Person mehrere Ehepartner habe. Polygamie ist in Deutschland gesetzlich verboten.
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Die offene Beziehung beschreibt nach Ossmann „eine Beziehung, in der die Partner zusammen sein wollen, sich aber einig sind, dass sie sich auch mit anderen Personen treffen dürfen“. Im Gegensatz zur polyamoren Beziehung seien Emotionen wie Verliebtheit oder Liebe zu anderen Personen in der Regel nicht erlaubt. Der Austausch beschränke sich auf das Sexuelle.
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Welche Regeln braucht man in einer polyamoren und offenen Beziehung?
Auch wenn polyamore und offene Beziehungen heute als liberal und fortschrittlich gelten, brauche es auch in einer solchen Konstellation gemeinsame Regeln, denen man sich freiwillig unterwerfe, so Ossmann. „Das Paar muss für sich Regeln aufstellen, was erlaubt ist und was nicht“, sagt Stefan Ossmann. Das gemeinsam aufgestellte Regelwerk vermittle das Gefühl eines „geschützten Raumes“, so der Sozialwissenschaftler, da es einen Rahmen bilde, in dem sich die Paare bewegen könnten. Vielen polyamoren Paaren sei es zum Beispiel wichtig, genau über die Aktivitäten und Gefühle des Partners Bescheid zu wissen. Andere wollten davon nichts wissen.
Ohne Einvernehmen läuft außerdem gar nichts, wie die Forschung zeigt. Laut einer Studie der Universität Rochester funktionierten offene Beziehungen gut, wenn alle Beteiligten diese Form der Beziehung wirklich wollten und die Kommunikation stabil sei. Heimliche Affären und Seitensprünge könnten dagegen zu einem Gefühl von „Verlassenheit, Zurückweisung, Unsicherheit, Eifersucht und Verrat“ führen, so der amerikanische Psychologe und Autor der Studie, Ronald Rogge.
Was sind die Herausforderungen polyamorer und offener Beziehungen?
Laut einer Studie aus dem Jahr 2023 im Auftrag der Partnervermittlung Elitepartner können sich 24 Prozent der unter 30-Jährigen eine offene Beziehung grundsätzlich vorstellen. 49 Prozent glauben, dass offene Beziehungen in Zukunft häufiger werden. Freiheit, Abenteuer und trotzdem eine stabile, liebevolle Beziehung – das kann auch sehr verlockend klingen.
Doch die Psychologin Nele Sehrt glaubt, dass polyamore Beziehungen meist ein höheres Maß an emotionaler Arbeit verlangen als das klassische monogame Beziehungsmodell. Denn man müsse sich mit den eigenen Ängsten auseinandersetzen und einen neuen Umgang mit sich selbst finden – was oft zu Entwicklungsschmerzen führe. Wenn man sich dieser Arbeit stelle, könne dies jedoch zu einer tieferen und intimeren Beziehung führen.
Auch die offene Beziehung erfordere ein Höchstmaß an Vertrauen, Ehrlichkeit und viel Kommunikation, so die Psychologin. Zudem müssten die Spielregeln der Beziehung oft neu ausgehandelt werden – zum Teil bis ins Detail. Ob es zum Beispiel in Ordnung ist, über Nacht zu bleiben, welche sexuellen Spielarten erlaubt sind oder ob es tabu ist, mit einer Person ein zweites Mal Sex zu haben.
Auch Eifersucht könne in polyamoren und offenen Beziehungen ein Konfliktthema sein, erklärt Sehrt. Zum Beispiel, wenn der neue Partner oder die neue Partnerin mehr Aufmerksamkeit bekomme als der andere. Oder wenn die Zeit mit dem externen Partner interessanter oder romantischer gestaltet werde als die gemeinsame Zeit. „Es geht immer um Absprachen und um das konsensuelle Miteinander. Das ist das große Spannungsfeld: Wie kann man die eigenen Bedürfnisse respektieren und umsetzen, ohne den anderen zu verletzen“, sagt Sehrt.
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Wie kann eine offene oder polyamore Beziehung gelingen?
Wenn man sich als Paar für eine offene oder polyamore Beziehung entscheidet, kann es hilfreich sein, einige Grundregeln aufzustellen, bevor man sich blind ins Unbekannte stürzt. Die folgenden Regeln können helfen, die Beziehung zu öffnen:
1. Geduld mit dem Partner haben
Meist kommt der Vorschlag einer offenen oder polyamoren Beziehung zunächst nur von einer Person und kann den anderen Partner überrumpeln. Deshalb ist es wichtig, sich gegenseitig Zeit zu geben und die eigenen Gefühle und Absichten offen zu kommunizieren. Sonst sei die offene Beziehung nur eine kurzfristige Lösung, sagt Nele Sehrt, weil nur eine Seite der Bedürfnisse befriedigt werde. „Langfristig wird es schwierig, wenn der andere Partner nicht mitgenommen wird“, so die Psychologin.
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2. Regeln für die Beziehung aufstellen
Ob im Bett oder in Bezug auf die beteiligten Personen – klar definierte Grenzen können das Zusammenleben in polyamoren Beziehungen nicht nur erleichtern, sondern überhaupt erst ermöglichen. „Wenn sich Paare nicht vorher absprechen, was weh tun würde und warum, sind Konflikte vorprogrammiert“, sagt Psychologin Sehrt. Hier würden klare Rahmenbedingungen helfen: Kommen nur Fremde in Frage oder auch Bekannte? Wann und in welcher Form finden die Treffen statt? Und vor allem: Wie viel erzählt man sich? Während es die einen erregt zu hören, mit wem sich der Partner getroffen hat und was genau passiert ist, sind solche Informationen für andere ein Trennungsgrund. Hier kann eine „Don‘t ask, don‘t tell“-Politik mehr Sinn machen.
3. Dinge in der Beziehung exklusiv lassen
Hilfreich ist es auch, Beziehungspraktiken zu finden, die für beide Partner exklusiv bleiben. „Da Sexualität und Liebe mit anderen geteilt werden, braucht man als Anker ein oder zwei Dinge, die in der Beziehung exklusiv bleiben“, erklärt der Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann. Das könne ein Lieblingsrestaurant sein, das man nur mit dem Partner besuche oder eine Sportart, die man nur gemeinsam ausübe – „wie auch immer man das definiert. Es trägt schon zum Gelingen bei, wenn es Dinge gibt, die man sich nur zu zweit vorbehält“.
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Wie sieht eine On-Off-Beziehung aus?
Auch in festen Beziehungen kommt es immer wieder vor, dass sich Paare aufgrund von Meinungsverschiedenheiten streiten. Was in den meisten Partnerschaften völlig normal ist, gehört in manchen Beziehungen zum Alltag. In sogenannten On-Off-Beziehungen trennen sich Paare immer wieder, um kurze Zeit später wieder zusammenzukommen. Das liege daran, dass Menschen überfordert seien und Abstand suchten, um mit schwierigen Situationen umzugehen, erklärt Psychologin Nele Sehrt. In Gegenwart des Partners oder der Partnerin könne es für manche Menschen sehr schwierig sein, sich emotional zu distanzieren. „Deshalb kann eine Trennung für manche Paare die nötige Distanz schaffen – das mag eine kurzfristige Lösung sein, um Spannungen abzubauen, führt aber mittelfristig zu mehr Unsicherheit und Misstrauen, weil man sich auf den anderen nicht verlassen kann.“ Tiefer gehende Gefühle der Verbundenheit zu entwickeln sei in dieser Konstellation sehr schwierig.
Andere, so die Psychologin, gingen eine On-Off-Beziehung ein, weil sie Angst vor dem Alleinsein oder festen Bindungen hätten. Und wieder andere Paare trennen sich laut Sehrt, weil sie konfliktscheu sind oder Kommunikationsprobleme haben. Die Gründe für eine On-Off-Beziehung können von Paar zu Paar unterschiedlich sein. Allen gemeinsam ist jedoch, dass diese Beziehungsform in der Regel kräftezehrend und belastend ist.
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Was ist eine platonische Beziehung?
Eine weitere Form der Beziehung ist die platonische Partnerschaft. Platonische Liebe ist Liebe ohne körperlichen Kontakt. „Genauer könnte man sagen, platonische Liebe ist Liebe ohne sexuelle Interaktion, dafür aber mit starker Zuneigung und emotionaler Nähe“, erklärt Psychologin Sehrt. Sie ist einer klassischen Liebesbeziehung sehr ähnlich, spielt sich aber nur auf der seelischen Gefühlsebene ab und lässt die körperliche Ebene außen vor. Platonische Liebe kann monogam und exklusiv sein. Es gibt aber auch Beziehungsmodelle, in denen mit einer Person eine platonische Beziehung und mit einer anderen Person eine körperlich-erotische Beziehung geführt wird.
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Kann aus einer platonischen Beziehung Liebe werden?
Für den griechischen Philosophen Platon war die platonische Liebe die höchste und reinste Form einer zwischenmenschlichen Beziehung und daher ein erstrebenswertes Ziel. Er beschreibt die platonische Liebe als innig, dauerhaft, belastbar und besonders intim. Auch die Psychologin Nele Sehrt sieht in platonischen Beziehungen durchaus Liebe: „Platonische Partnerschaften verbinden eine unglaublich starke Nähe, weil man Liebe und Zuneigung durch liebevolle Worte und Gesten ausdrückt.“ Deshalb, so die Psychologin weiter, würden diese Beziehungen oft als intensiv empfunden, weil sie sich auf der Gefühlsebene abspielten.
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Wie findet man heraus, welche Beziehungsform zu einem passt?
Alle Beziehungsformen erfordern zwischenmenschliche Beziehungsarbeit und Vertrauen. Die Psychologin Nele Sehrt rät, sich mit den Beziehungsformen auseinanderzusetzen und sich auch zu trauen, die jeweilige Liebesform einmal auszuprobieren – sich sozusagen auf die Suche nach der Antwort auf die Frage „Warum interessiert mich das?“ zu machen. Mit offener Kommunikation und Geduld könne die Neugier nach neuen Beziehungsformen auch zwischen Paaren ehrlich kommuniziert werden. „Für Beziehungen, egal ob monogam, polyamor oder offen, sind gemeinsame Entscheidungen oder gemeinsam getragene Entscheidungen wichtig“, so Sehrt. Liebe ist schließlich vielfältig und kann so aussehen, wie man es sich wünscht.