Berlin. Liebscher & Bracht versprechen schnelle Hilfe bei Rückenschmerzen. Doch ihre Methoden sind umstritten. Unsere Autorin hat sie getestet.
Ich bin ja am liebsten in guter Gesellschaft, aber auf diese hätte ich gern verzichtet: Ich gehöre nun zu den über 80 Prozent der Deutschen, die in ihrem Leben mindestens einmal an akuten Rückenschmerzen leiden. Samstags war es noch auszuhalten, Sonntag und Montag schon nicht mehr. Ein Kollege rät: Ibuprofen. „Nicht gut für den Magen – lieber Wärme und Bewegung“, eine andere. Nichts scheint zu helfen, also ab in die Praxis. Diagnose: ISG-Blockade. Irgendwas verklemmt im Iliosakralgelenk.
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Meine Ärztin tippt schon die Überweisung zum Orthopäden ein, da dreht sie sich mit fast entschuldigender Miene um und empfiehlt, was mir wohlgemerkt auch schon eine Freundin und meine Mutter empfohlen haben: „Was auch echt gut sein kann, ist Liebscher & Bracht.“
Rückenschmerzen: Liebscher & Bracht-Übungen sollen helfen
Roland Liebscher-Bracht und seine Frau Petra sind die Gesichter und Initiatoren von Deutschlands größtem Youtube-Kanal zu Gesundheitsthemen. 1,97 Millionen Abonnenten erreichen sie damit. Er ist gelernter Maschinenbauer ohne medizinischen Hintergrund, sie Ärztin mit Weiterbildung in Ernährungsmedizin und Naturheilverfahren. Gemeinsam erarbeitete das Paar seine patentierten „Liebscher & Bracht Übungen“ gegen Schmerzen, die sogar Promis wie Sternekoch Johann Lafer und Profi-Fußballer Per Mertesacker schon geholfen haben sollen. Die Empfehlung meiner Ärztin wundert mich dennoch, denn die selbsternannten „Schmerzspezialisten“ sind nicht unumstritten. Ob sie auch mir helfen, soll dieser Selbsttest zeigen.
Liebscher & Bracht bieten auf ihrer Website ein persönliches Übungsprogramm an – kostenfrei. „Persönlich“ bedeutet in diesem Fall, man kann durch Klick auf eine Schaltfläche zwischen den Körperbereichen wählen, die Zicken machen: Kopf/Nacken, Kiefer, Schulter, Hüfte, Rücken, Knie oder Ganzkörper. Dann wird man noch gefragt, wie stark die Schmerzen sind, also wahlweise „mäßig“, „stark“ oder „sehr stark“.
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Also bitte einmal was gegen „starke“ Rücken- und Hüftschmerzen. Fix die E-Mail-Adresse angeben und bestätigen, dann dauert es ein paar Minuten und ich erhalte eine weitere Mail mit meinem Trainingsprogramm für die kommenden Tage. Die Videos, die Liebscher & Bracht anbieten, sollen „Hilfe zur Selbsthilfe“ leisten, heißt es in der Beschreibung. Ihre „Vision: Ein schmerzfreies Leben für jeden Menschen.“
Werbeversprechen: Wenige Minuten Dehnen am Tag sollen reichen
So kommt es, dass ich ein paar Stunden nach meinem Arztbesuch auf meinem Stuhl im Wohnzimmer sitze und Roland Liebscher-Bracht mir Mut zuspricht: „Geh an die Grenze, es muss noch positiv besetzt sein ...“ Also rein in den („Wohl-“)Schmerz – der Experte macht es vor. Aua.
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Das Programm, das mir per Mail empfohlen wurde, ist eines von über 1300 Videos, die das Ehepaar Liebscher-Bracht und ihr 150-köpfiges Team auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlicht haben. „Oft reichen schon zwei Minuten täglich, um beweglicher und schmerzfreier zu werden“ – Versprechen wie dieses haben das Unternehmen schon das ein oder andere Mal in Schwierigkeiten gebracht.
Verbraucherschützern ist die Vermarktung ein Dorn im Auge, unter anderem irreführende Werbung auf Nahrungsergänzungsmitteln. Seit einer Abmahnung der Verbraucherzentrale NRW von 2022 verzichten Liebscher & Bracht auf das Werbeversprechen, die Hilfsmittel der Marke würden „sofort gegen Schmerzen“ helfen. Das Duo will sich seither auch nicht länger als „Schmerzspezialisten Nr. 1“ bezeichnen und nicht mehr ausschließlich sehr gute Bewertungen auf seiner Website zeigen.
„Schulterretter“, „Nackenretter“ und sogar „ISG-Ischias-Retter“ – so heißen die Bänder und Schaumstoff-Keile, die für 30 Euro aufwärts im Onlineshop zu bekommen sind. Mediziner sehen den Verkauf kritisch und zweifeln die Methoden von Liebscher & Bracht an: Es mangele an wissenschaftlicher Grundlage. Patienten mit ernsten Krankheitsbildern könnten dem Heilsversprechen vertrauen, anstatt einen Arzt aufzusuchen oder sich mit falschen Übungen und Hilfsmitteln selbst schaden.
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Liebscher & Bracht reagierten auf die Kritik 2020 mit der Gründung eines eigenen Forschungsbereichs, der die Wirksamkeit der Methoden untersuchen soll. 2023 veröffentlichte das Unternehmen neue Erhebungen, die insgesamt positiv ausfallen, sich allerdings auf vergleichsweise kleine Gruppen von Probanden stützen.
Wichtiger Hinweis würde Übungen sicherer machen
Werbung bekomme ich auch, per Mail, aber die lässt sich einfach abbestellen. Das Geld für die Helferlein spare ich mir. Schmerzfreier mit nur zwei Minuten am Tag – das erscheint auch mir etwas wenig. Mit Hüft- und Rückenvideo zusammen komme ich auf 35 Minuten. Nicht zu viel verlangt, wenn man was gegen seine Schmerzen tun will, wie ich finde. Und siehe da: bücken, sitzen – vorher fast unmöglich – geht schon nach dem ersten Durchgang etwas besser.
Als jemand, der schon mal Yoga und zehn Jahre Ballett gemacht hat, fallen mir die meisten Übungen – von den ausstrahlenden Schmerzen einmal abgesehen – relativ leicht. Für Menschen aber, die nicht eine gewisse Grundbeweglichkeit mitbringen und in ihrem Leben noch nie etwas mit Dehnen am Hut hatten, fehlt mir ein warnender Hinweis: Nicht direkt voll rein in die Dehnung, sondern vorher mal locker machen, ein paar Schritte gehen, leicht vordehnen. Dann gehen viele Übungen nicht nur leichter, sondern vor allem sicherer über die Matte.
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Ich selbst muss eine Übung ausklammern, die meinem Knie nicht guttut. „Leg ein Kissen darunter, wenn der Boden hart ist“ – hilft, kann aber bei mangelnder Muskulatur trotzdem schnell unangenehm werden, vor allem wenn noch der Dehnungsschmerz aus dem Oberschenkel einsetzt. Ob sich manch einer damit nicht eher schadet, als guttut?
Fazit: Schmerzfrei nach sieben Tagen?
Positiv fällt mir wiederum auf, dass bei einigen Übungen Variationen gezeigt werden, mit denen man es sich leichter oder schwerer machen kann. Etwa die Hälfte der Übungen findet im Stehen oder Sitzen statt, sodass die ein oder andere auch diskret im Office machbar ist. Da ist geteiltes Leid halbes Leid, die Kollegen können gleich mitmachen.
„Wenn dein Rücken steif und unbeweglich ist, solltest du diese Folge einmal am Tag, sechs Tage die Woche machen – und du merkst, es wird immer leichter“, prophezeit Roland Liebscher-Bracht im Rücken-Video. Und da muss ich ihm recht geben: Nach sieben Tagen fallen die Übungen leichter und der ausstrahlende Schmerz ist schon an Tag vier fast verschwunden. Nur die Steifheit in der Hüfte hält sich.
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Ob diese Genesungskurve wirklich allein auf die Übungen zurückzuführen ist? Schwer zu sagen. Bevor ich überhaupt mit den Übungen anfing, waren schon ein paar Tage vergangen und mit ihnen auch die schlimmsten Schmerzen. Aber ich stelle fest, wie gut mir die Übungen – mit der ein oder anderen Abwandlung – in sieben Tagen getan haben und wie schnell sie zur Gewohnheit werden. Schmerzfreier mit einer halben Stunde am Tag? Diesen Effekt hat Liebscher & Bracht erzielt.