Berlin. Der Arbeitsplatz kann für Menschen mit ADHS die Hölle sein. Ein Psychologe erklärt, welche Strategien helfen, damit umzugehen.
Unkonzentriert und schlecht organisiert? Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit diesen Eigenschaften haben es schwer im Job. Dass dahinter nicht der Schlendrian stecken muss, sondern eine handfeste Erkrankung, wissen wenige.
ADHS bei Erwachsenen führt laut Experten genau zu diesen Symptomen. Menschen mit ADHS sind leicht ablenkbar, beenden ihr angefangenen Tätigkeiten oft nicht und sind häufig desorganisiert. „Das führt immer wieder zu Konflikten, bis hin zum Mobbing am Arbeitsplatz“, sagt Psychotherapeut Thomas Miebach, der die ADHS-Ambulanz an der EOS-Klinik in Münster leitet.
Unaufmerksamkeit und Desorganisation, dazu aber auch Impulsivität, bisweilen auch Hyperaktivität – für ein Großraumbüro ist so ein Mitarbeiter mit diesen Eigenschaften eine echte Herausforderung. Was sollten denn Betroffene tun, damit sie keinen Ärger mit den Kollegen bekommen? Sollten sie das offen ansprechen?
Thomas Miebach: Es gibt keine goldene Regel. Da muss man genau schauen. Wir sagen immer: Offenheit ist da angebracht, wo das berufliche Umfeld es zulässt. Aber wenn man schon vorher weiß, dass man dadurch stigmatisiert wird, dann sollte man lieber nichts erzählen.
Experte: ADHS-Betroffene reißen sich extrem zusammen
Aber es bekommt doch jeder mit, wenn jemand chaotisch ist oder seine Aufgaben nicht erledigt.
Miebach: Das stimmt. Die Betroffenen haben aber oft gelernt, Strategien zu entwickeln, damit es nicht auffällt. Sie kommen früher, reißen sich extrem zusammen. Aber das kostet natürlich eine unglaubliche Energie, immer gegen den Wunsch, alles aufzuschieben oder alles auf den letzten Drücker zu machen, anzugehen.
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Es klingt nach einer unlösbaren Aufgabe.
Miebach: Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass es funktionieren kann. Zum Beispiel erzählte uns ein junger Mann, der im Dienstleistungsbereich als Leiter einer Filiale tätig war, dass sie eine Lösung gefunden haben. Seine Fähigkeiten als Vertriebler waren enorm. Ihm fiel der Kontakt zu Menschen extrem leicht. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen. Er allerdings konnte mit Buchhaltung überhaupt nichts anfangen. Also haben sie die Arbeit aufgeteilt. Er durfte weiter sehr erfolgreich verkaufen, die anderen machten das Backoffice und hielten ihm den Rücken frei.
Sicher ist das nicht die Regel.
Miebach: Absolut nicht. Viele Betroffene klagen über Mobbing. Am Anfang der Zusammenarbeit klappt es oft noch ganz gut. Da punkten sie dann noch mit ihrer Begeisterung und zeigen guten Willen. Aber weil diese Menschen ja auch bei der Bewältigung ihres gesamten Alltags so viel Kraft benötigen, fehlt die dann oft im Berufsleben. Und dann knallt es. Mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand.
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Das klingt nach Hölle am Arbeitsplatz.
Miebach: So ist es vielfach. Auch weil dann eben häufig noch die mangelnde Impulskontrolle dazu kommt. Da kann es dann passieren, dass sie ganz schnell die Brocken hinschmeißen. Das hat im subjektiven Empfinden der Betroffenen sogar noch etwas Positives. Weil sie hier das Heft des Handelns in der Hand halten. Aber wenn sie gefeuert werden, sieht das anders aus. Da erhält das Selbstbewusstsein abermals einen enormen Dämpfer. Diese Leute wissen oft nicht mehr ein noch aus. Vor allem, weil sich das schnell an einem anderen Arbeitsplatz wiederholen kann. Zerrüttete Arbeitskarrieren sind leider keine Seltenheit. Viele werden durch das Gefühl der Ausweglosigkeit dann wirklich depressiv.
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Bei ADHS kann ein Coaching helfen, Ordnung zu schaffen
Was kann man denn tun, um im Job zu bestehen?
Miebach: Es hilft einigen Betroffenen, andere Belastungen zu reduzieren und sich nur auf den Job zu konzentrieren. Vielfach ist die Stelle ja für die Betroffenen außerordentlich wichtig, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Man kann aber in Verhaltenstherapien oder mit einem gezielten Coaching den Betroffenen helfen, Strukturen zu finden. Das sind dann oft ganz einfache Dinge: Sie sollen alles zu einem festen Zeitpunkt erledigen. Am besten schreiben sie sich ihre Aufgaben auf einen Plan. Es sind die einfachen Dinge, die hier beherrscht werden müssen. Ordnungschaffen und Ordnunghalten, auch da hilft ein Coaching. Dann kann auch geguckt werden, ob die Arbeitsbedingungen verändert werden können, z. B. durch Gleitzeit oder einen räumlichen Umzug des Arbeitsplatzes. Und ein ganz wichtiges Thema ist Kommunikation. Aufgrund ihrer schlechten Vorerfahrungen versuchen viele Betroffene erst gar nicht, mit Kollegen und oder Vorgesetzten zu sprechen, was aber oft extrem hilfreich sein kann.
Können auch Medikamente auf der Basis von Methylphenidat (z.B. Ritalin) helfen?
Miebach: Helfen kann es durchaus. Hier ist eine gute fachärztliche Betreuung wichtig, zum Beispiel zu der Frage, ob das Medikament auf Dauer regelmäßig eingenommen werden sollte oder auch zwischenzeitlich ausgesetzt werden kann. Und: Oft erwarten Betroffene von der Medikation eine durchschlagende Wirkung. Die gibt es manchmal auch tatsächlich, aber häufiger ist ein geringer bis mittlerer Effekt. Die Einstellung auf die Medikation braucht außerdem ihre Zeit, was vielen Betroffenen im Vorfeld auch nicht klar ist.
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Im Büro scheint es ja schwierig zu sein. Gibt es bestimmte Berufe, in denen ADHS-Betroffene gut zurecht kommen?
Miebach: Wir beobachten immer wieder, dass Jobs in gewissen Nischen hilfreich sind. Ein schwer von ADHS-Betroffener zum Beispiel hatte immer wieder Ärger mit seinen Chefs, auch wegen seiner Impulsivität. Bis er dann einen Job im Bereich Instandhaltung und Landschaftspflege angeboten bekam. Hier war er draußen, viel an der frischen Luft. War sein eigener Herr. Das passte perfekt. Hier gab es keinerlei Probleme.
Betroffenen suchen oft Jobs mit hoher Aktivität
Welche Berufe sollten ADHS-Betroffene ausüben?
Miebach: Das lässt sich nicht so einfach sagen. Aber es gibt vielfach das Bedürfnis nach Jobs mit einer hohen Aktivität wie bei der Polizei, bei der Feuerwehr oder bei der Bundeswehr. Hier herrschen klare Strukturen. Und es gibt klare Ansagen, damit kommen die Betroffenen noch am besten zurecht. Die meisten sind ja sehr begeisterungsfähig und mitreißend und können gut mit Menschen.
Sollten Leute mit ADHS bestimmte Berufe nicht ausüben?
Miebach: Das ist ja kniffelig und hängt vom Ausmaß der Beeinträchtigung ab. Oft wird ADHS ja erst spät im Erwachsenenalter bemerkt. Da lässt sich mancher, z. B. Arzt oder Pilot, vielleicht gar nicht erst testen, aus Angst, sonst vielleicht den Job zu verlieren. Übrigens „funktionieren“ diese Menschen unter Stress oft extrem gut.
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