Berlin. Manche haben mehr Lust auf Sex, andere weniger. Das kann zu Konflikten führen. Eine Expertin erklärt, wie Sie damit umgehen können.

  • Selbst in den harmonischsten Beziehungen kann sich ein unterschiedlicher Sex-Drive entwickeln
  • Was ist zu tun, wenn einer Lust hat – der andere aber nicht?
  • Eine Paar- und Sexualtherapeutin erklärt

Die Situation ist so gewöhnlich, wie verzwickt: Ein Paar kuschelt nach der Arbeit auf dem Sofa, etwas geschafft vom Tag. Der eine Partner hat Lust auf Sex, der andere nicht. Wer dann schlecht kommuniziert, landet womöglich schnell in einem Karussell aus Fragen: ‚Warum will mein Partner mich nicht? und ist meine Lust nicht normal?‘

Was in Filmen, Büchern und Popkultur in romantischen Beziehungen überwiegend als selbstverständlich dargestellt wird, ist es offenbar nicht: Dass beide Partner immer gleichzeitig Lust auf Sex haben. Menschen können grundsätzlich einen sehr unterschiedlichen Sexdrive haben. Wie funktioniert eine glückliche Beziehung dann trotzdem?

Lust auf Sex: Kommen Unterschiede häufig vor?

Dass das sexuelle Verlangen beim Menschen individuell und unterschiedlich ist, zeigt eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2015: Laut den Untersuchungen erleben statistisch betrachtet 80 Prozent aller Paare regelmäßig Situationen, in denen ein Partner Sex haben möchte und der andere nicht. Auch Julia Henchen, Paar- und Sexualtherapeutin, bestätigt das: „Das ist in Beziehungen eigentlich immer so. Jeder Mensch hat unterschiedlich viel Lust auf Sex.“ Es gebe nicht das eine „normale Lustempfinden“ – in der Sexualität sei zunächst mal alles normal.

Ob Menschen sich am liebsten jeden Tag die Kleider vom Leib reißen wollen oder bereits mit einmal Sex pro Monat komplett zufrieden sind, hängt Henchen zufolge auch damit zusammen, wie wir aufgewachsen und sozialisiert worden sind. Es gebe allgemein verschiedene Faktoren, die auf das persönliche Verlangen nach Sex einwirken können: Dazu zählen das Selbstwertgefühl, Traumata, Ängste, Depressionen, Stress, Krankheiten oder bestimmte Medikamente. Wie hoch die sexuelle Lust, auch Libido genannt, jeweils ist, „kann in Beziehungen auch phasenweise wechseln“, so die Paartherapeutin.

Paar- und Sexualtherapeutin Julia Henchen.
Paar- und Sexualtherapeutin Julia Henchen. © Julia Henchen | Annika Fußwinkel

Unterschiedlicher Sexdrive – das können Paare tun

Obwohl es also normal ist, dass Sex-Partner nicht immer synchron ins Bett springen wollen, scheinen sich einige Paare schwer damit zu tun, offen über ihre Lust und ihre Wünsche zu sprechen. In einer Umfrage der Dating-Plattform Parship aus dem Jahr 2020 gab rund jeder Vierte der Befragten an, ab und zu Vorwände oder Ausreden zu nutzen, um sich vor dem Sex zu drücken.

Dabei sei es am wichtigsten, wenn die Beziehung mit unterschiedlichem Sexdrive funktionieren soll, über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen, sagt Henchen: „Fragen, wie: ‚Was wünscht du dir sexuell?‘, können helfen. Das ist erst einmal die Grundlage.“ Zudem gebe sie Menschen in ihrer Praxis gerne die Frage mit, wie man Beziehungen leben möchte. Es schafft Klarheit, zu wissen, welche Ansprüche man an sich und seinen Partner stellt und was man vom Sexleben will.

Das eine Rezept, das für jede Partnerschaft funktioniert und sich wie eine Schablone auf jedes Paar auflegen lässt, gibt es nicht. Im Gegenteil: „Was hilft und den Beteiligten guttut, ist individuell. Das kann zum Beispiel sein, dass sich Paare einen festen Termin für Sex machen“, erläutert Henchen. Oder die Partner kämen zu dem Schluss, dass es ihnen nicht darum gehe, wie häufig sie Sex haben, sondern dass es dann besonders schön ist.

Lust auf Sex: Paartherapeutin verrät, wie man sie steigern kann

Fest steht: Jeder Sexdrive ist normal und sollte von niemanden bewertet werden. Trotzdem gibt es im Netz sehr viele Tipps, mit denen die eigene Lust angeblich gesteigert werden soll ­– von Zimt essen bis hin zu Pornos schauen. Es kann sich aber tatsächlich lohnen, sich mit dem eigenen Verlangen nach Sex auseinander zu setzen, nicht nur für die Partnerschaft, sondern auch für die eigene Gesundheit: Sex soll das Immunsystem stärken und senkt potenziell Stresshormone, wie einige Studien mittlerweile andeuten.

Was hilft, um die Libido anzuregen, erklärt die Paartherapeutin: „Es geht darum herauszufinden, was man selber gut findet.“ Man könne sich die Fragen stellen: „Wie muss der Sex sein, damit ich Lust draufhabe?“ Man könne mit Solo-Sex versuchen, zu ergründen, wo die eigenen Lustpunkte liegen und ob und wie man zum Orgasmus kommt. Dann heiße es, mit dem Partner darüber zu sprechen.

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Beziehung vorbei? Warum eine unterschiedliche Libido nicht gleich das Aus bedeutet

Bei allem gilt also: Wer im Kopf behält, dass unterschiedliche Libido total normal sind und der Dialog mit dem Partner darüber wichtig ist, der ist auf einem guten Weg. Paare, die sich wegen unterschiedlichem Sexdrive trennen, gibt es dennoch. „Natürlich gibt es auch Fälle, wo das einfach nicht klappt und es Paaren schwerfällt, sich sexuell zu begegnen“, meint Henchen. Doch es gebe auch Beziehungen ohne viel Sex, die funktionieren. „Es geht dann vielleicht mehr um die Frage: Wie kann das Paar sexuell sein, eventuell auch alleine? Es gibt Beziehungen ohne Sex mit dem Partner und dann vielleicht über eine Außenbeziehung.“

Und wenn die Lust auf einmal verschwindet? Ist damit auch die Liebe flöten gegangen und die Trennung unvermeidlich? Nicht unbedingt, wie Henchen sagt: „Das kann auf jeden Fall passieren. Vielleicht gibt es privat oder beruflich viel Stress, die Verliebtheitsphase ist vorbei oder man ist gerade zusammengezogen und plötzlich ist die Lust weg.“ Paare müssten dann schauen, ob sie mit ihren jeweiligen unterschiedlichen Bedürfnissen zusammenkommen.