Berlin. Ausmisten im Alter ist emotional. Zwei Expertinnen erklären, wie Kinder das Thema ansprechen und wie man Schritt für Schritt vorgeht.
Meine Oma ist Mitte Januar gestorben. Angst vor dem Tod habe sie eigentlich nicht, sagte sie mir in einem unserer letzten Telefonate kurz nach Silvester. Natürlich würde sie gerne noch bleiben und ihren Ur-Enkel größer werden sehen, aber es sei nicht zu ändern.
Angst hatte sie vor etwas anderem: Dass sie nicht wisse, was mit ihren Dingen geschehen würde. Mit den Antiquitäten, dem Schmuck, dem Porzellan, den Briefen. Sie war in meiner Familie väterlicherseits die Hüterin der Erinnerungsstücke und ihrer Geschichten. Was würde mit ihnen geschehen?
Meine Oma war 85 Jahre alt, als sie starb. Rein statistisch lag sie damit einige Jahre über dem deutschen Durchschnitt. Trotzdem war sie überrascht von dem nahenden Ende, die Zeit war zusammengeschnurrt. „Ein typischer Fall“, sagt Ordnungscoach Corinna Rose. Die Berlinerin hilft Menschen dabei, in ihrem zu Hause Ordnung zu schaffen.
Das Ausmisten im Alter ist für sie ein Herzensthema. „Ich glaube, es sind sehr wenige Menschen, die sich rechtzeitig darum kümmern, ihr Zuhause auszumisten.“ Die meisten würden das Thema Tod lange verdrängen und dann reichten die Zeit und die Kraft nicht mehr.
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Elternhaus ausmisten: Angehörige bestellen am Ende oft den Container
Der klassische Fall, den Rose häufig erlebt: Eine Person stirbt, und die Kinder müssen mit einem Berg an Dingen fertig werden. „Das ist eine sehr große Belastung, nicht nur emotional. Die Angehörigen stehen meist voll im Leben. Sie arbeiten viel, ziehen vielleicht eigene Kinder groß.“ Häufig werde am Ende der Container bestellt. „Deswegen appelliere ich an alle, immer mal wieder im Leben zu reflektieren: Was besitze ich? Was möchte ich der Welt hinterlassen?", sagt Rose. Doch für eine Generation, die Krieg erlebt, oft alles verloren und sich dann mit großer Anstrengung wieder etwas aufgebaut hat, ist das Loslassen von Dingen schwer – denn sie sind doch noch gut.
In Schweden gibt es für das Ausmisten im Alter ein eigenes Wort: Döstädning, Todesputz. Diese Tradition ist seit Erscheinen des Bestsellers „Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“ vor fünf Jahren auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden.
Dabei geht es nicht allein darum, kurz vor dem Tod das Haus zu bereiten. Sondern auch, sich für die verbliebenen Lebensjahre zu befreien von Überflüssigem und Belastendem. „Im Alter haben viele Menschen einfach nicht mehr die Kraft, sich um Dinge zu kümmern“, sagt Rose und meint es wörtlich: „Denn man muss sich wirklich kümmern – vom Abstauben bis hin zum Reparieren oder Umziehen.“
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Aussortieren sei auch deshalb so wichtig, weil es zunehmend darum gehe, die eigene Wohnung überschaubar und barrierefrei zu halten, sagt Rita Schilke, auch sie ist Aufräumexpertin. „Durch Ausmisten und Entrümpeln gewinnen Menschen wieder mehr Platz. Sie orientieren sich besser und bewegen sich wieder freier.“ Auch der Umzug in eine kleinere Wohnung oder eine Pflegeeinrichtung kann es nötig machen, sich von Sachen zu trennen.
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Aufräumen und entrümpeln: Wie Kinder das Thema Ausmisten ansprechen
Doch rationale Argumente verfangen bei einem so emotionalen Thema häufig nicht. Diese Erfahrung machen viele Kinder älterer Menschen. Corinna Rose empfiehlt, es rechtzeitig und in guten Momenten immer wieder anzusprechen. Notfalls über Jahre hinweg. „Oft dauert es, bis es fruchtet.“
Man könne auch mit gutem Vorbild vorangehen und etwa davon erzählen, wie man selbst den eigenen Kleiderschrank ausgemistet habe und könne ganz konkret Hilfe anbieten – ohne zu bevormunden. „Ein Fehler, den Kinder im Umgang mit ihren Eltern machen, wenn es um das Minimieren eines Haushalts geht, ist, dass sie ihnen Vorschriften machen und übergriffig sind“, sagt Rita Schilke.
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Wie aber mistet man einen jahrzehntealten Haushalt aus? Corinna Rose geht bei ihren Kundinnen und Kunden nach Kategorien vor und fängt mit dem Leichtesten an, in der Regel bei den Klamotten, die aus dem ganzen Haus zusammengesucht werden. „Am Kleiderschrank kann man das Loslassen sehr schön üben. Denn die meisten Menschen haben eine sehr klare Vorstellung davon, was sie gerne tragen und was nicht.“ Weiter gehe es mit allem aus Papier – mit Büchern, Papierkram, ein Ordner mit den wichtigsten Unterlagen wird angelegt. Es folgten Küche, Bad, Keller, Dachboden. „Was ganz klar immer am Ende kommt, sind die Erinnerungsstücke“, sagt Rose.
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Aufräum-Expertin: „Es dürfen auch Tränen fließen“
Dieser Teil nimmt beim Ausmisten die meiste Zeit in Anspruch. Was nehme ich mit in meine letzten Lebensjahre? Was lasse ich gehen und behalte es nur in meiner Erinnerung? Briefe, Tagebücher, Fotos – all das sei eben auch ein Lebensrückblick, sagt Rose. „Dabei dürfen Tränen fließen, man darf sich darin auch mal verlieren.“
Familienhistorisch wichtige Dokumente könnten frühzeitig an Angehörige weitergegeben werden, auch um dazu noch etwas sagen zu können. Bei Fotos könne man sich überlegen, Beschreibungen anzulegen oder die Familie zusammenzurufen und zu erzählen. „Das können sehr schöne Momente sein“, sagt Rose.
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Bei anderen Dingen müsse es schneller gehen, sagt die Ordnungs-Expertin. Bei Büchern rät sie zum Beispiel dazu, nur auf den Klappentext zu gucken und auf das Bauchgefühl zu hören. „Bitte nicht reinlesen.“ Denn das Ausmisten eines Haushalts, der sich über Jahrzehnte aus unzähligen Dingen geformt hat, könne viel Zeit kosten. Oft Monate, manchmal Jahre, sagt Rose. Sie weiß aber auch: „Die Entscheidungen werden schneller. Am Anfang wird noch viel gesagt, überlegt, reflektiert. Irgendwann geht es in Fleisch und Blut über – der Prozess wird schneller.“
Am Ende, sagen beide Expertinnen, lohne es sich immer. „Ja, Ausmisten kostet Zeit, Kraft und Geld. Trotzdem: Angehen, tun!“, sagt Rose. Es befreie, regele die Dinge und schenke Seelenfrieden.