Frankfurt/M. Das 76. Frankfurter Oktoberfest für Gedrucktes zwischen Buchpreis-Debatten, Star-Rummel und einem Trend, der alle hoffen lässt.
Der Deutsche Buchpreis ist noch das Buchmessen-Thema Nr. 1 nach der Verleihung an Martina Hefters „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ Die meisten Fachleute hatten Clemens Meyers Riesenroman „Die Projektoren“ vorn gesehen, in dem es um politische Irrungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht – Meyer verließ denn auch die Preisverleihung unter Flüchen. Schon im vergangenen Jahr hatte mit Tonio Schachingers Roman „Echtzeitalter“ ein eher leichtgewichtiges Buch das Rennen gemacht, das ja den besten Roman des Jahres ermitteln soll. In diesem Jahr soll es gerüchtehalber in der Jury Diskussionen über die Verkaufbarkeit der sechs Shortlist-Titel gegeben haben. Unabhängig davon, dass Martina Hefter einen sehr guten Roman geschrieben hat, entwickeln Jury-Diskussionen oft eine Eigendynamik, bei denen mitunter ein Buch gewinnt, auf das sich alle einigen können – und das ist nicht immer das beste und eher selten ein extremes wie Meyers „Projektoren“.
Frankfurter Buchmesse: Buchhandel kritisiert „Bildungsnotstand“
Die Preise für Bücher sind in der Inflationszeit übrigens deutlich gestiegen, auf durchschnittlich 15,07 Euro pro Buch im vergangenen Jahr, das waren rund 11 Prozent mehr als noch 2019. Der Buchhandel wirkt in Gestalt von Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs zufrieden mit der aktuellen Entwicklung: In den ersten drei Quartalen dieses Jahres habe der Umsatz leicht über dem des Vorjahres gelegen. Allerdings hat auch diese Branche viel mit Bürokratisierung zu kämpfen: Die Dokumentationspflichten reichen vom Nachweis, wo die Bäume für die Buchseiten gefällt wurden, bis zur umständlichen Quellensteuer für ausländische Autoren. Mehr noch aber beschäftigt Karin Schmidt-Friderichs der aktuelle „Bildungsnotstand“: Dass immer noch jedes vierte Kind die Grundschule verlasse, ohne vernünftig lesen zu können, sei der Politik viel zu gleichgültig.
Und dann geht auch noch die Lesequote zurück: Außerhalb von Schule und Beruf lesen die Menschen in Deutschland nur noch 27 Minuten pro Tag (Stand: 2022), meldete das Statistische Bundesamt zum Auftakt der Buchmesse: 12 Minuten lang Bücher, 9 Minuten lang Zeitungen. Die Lesezeit ging innerhalb von 10 Jahren um 5 Minuten zurück, die Fernseh-Zeit stieg derweil um 4 Minuten auf 2 Stunden und 8 Minuten.
„New Adult“ liest „Romantasy“ – und tauscht sich als Lesegemeinde via #BookTok aus
Aber wenn der Trend stimmt, dem die Buchmesse in diesem Jahr mit einer eigenen Halle gleich am Eingang huldigt, dann müssten die Lesezeiten jetzt wieder nach oben gehen: „New Adult“ heißt das Lese-Segment, das unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht zuletzt wegen der kommunikationsfreudigen BookTok-Gemeinde auf TikTok offenbar zunehmend fasziniert. Das Markenzeichen für ihre coolen Bücher sind weit überwiegend englische Buchtitel (auch für deutschsprachige Romane), nicht ganz kitschfreie Buchumschläge und eine Mischung aus Fantasy und Romantik („Romantasy“). Die noch sehr jungen Verlage dafür heißen „One“, „Kyss“ oder „Lyx“ (ein rosa Stand im Kunstblumenmeer, und der Slogan „Lesen lässt deinen Geist blühen“ klingt auf Englisch nicht ganz so bildungsversessen).
Am Wochenende für alle
Eintrittskarten für die Frankfurter Buchmesse gibt es ausschließlich online (buchmesse.de). Die Tickets für den Messe-Samstag werden schon knapp.
Die Messetore öffnen sich am Freitag, 18. Oktober, ab 14 Uhr für Privatbesucher (Ticket: 22 €). Tagestickets Samstag/Sonntag: 28 €. Wochenendticket: 52 €, Familien-Nachmittagsticket (Freitag): 44 €; Familien-Tagesticket (Sa/So): 56 €.
Zu den Büchern gibt‘s dann, wie bei Pop-Bands, passende T-Shirts, Sweater, Teller, Trinkbecher, Modeschmuck. In Frankfurt sogar einen „Popcorn-Treffpunkt für Booknerds“. Und während das Publikum auf der Messe früher Bücher unbezahlt mitgehen lassen musste, wenn es sich in einen Titel schockverliebt hatte, kann man sie heute dort an den Publikumstagen kaufen – und bei den „New Adults“ gibt es ab 75 Euro Einkaufswert einen Jutebeutel dazu, ab 150 Euro gar eine Jutetasche. In dieser Trend-Kultur gehören allerdings unbedingt Begegnungen, Signierstunden und Selfies mit Autorinnen und Autoren dazu. Dazu ist in Frankfurt ab Freitagmittag reichlich Gelegenheit.
Thomas Gottschalk signiert auf der Buchmesse sein neues Buch „Ungefiltert“
Für die älteren Fans wird hier Thomas Gottschalk, der sein „Bekenntnis“-Buch „Ungefiltert“ nicht von ungefähr jetzt auf den Markt gebracht hat, am Samstag (9:30-11 Uhr) zur Signierstunde antreten. Später gibt‘s noch einen „Book Talk“, also ein Gespräch über sein Buch, der ist aber ebenso ausgebucht wie es seine Lesungen hier sind. Auch Frank Schätzing hat seinen Mittelalter-Schmöker „Helden“ (1035 Seiten!) nicht von ungefähr zum ersten Messetag herausgebracht, das Konterfei des grau gewordenen Sonnyboys prangt himmelhoch auf dem Freigelände der Messe.
Das Schreibduo Iny Lorentz kommt mit seiner zehnten „Wanderhuren“-Folge über die Enkel-Generation zur Messe, aber noch mehr Regalreihen füllen die diversen Titel von Sebastian Fitzek, dessen „Kalendermädchen“ erst in einer Woche erscheint, aber in Frankfurt schon vertreten ist. Großer Andrang wird bei Quiz-Reihen wie „Schätz mal“ erwartet und „Die drei !!!“, das weibliche Pendant zu den immer noch erfolgreichen „Drei ???“, bieten sogar einen „Selfie-Point“ an. Sicher auch cool.
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