Essen. Die Lit.Ruhr wächst weiter: Mit 19.000 Besuchern stellte die achte Auflage einen Rekord auf. Festivalchef Tobias Bock weiß, woran das liegt.

Mit einem Besucherrekord von 18.000 Menschen ist die achte Auflage der Lit.Ruhr die bislang erfolgreichste. Dafür sorgten vor allem große Namen: „Herbert Grönemeyer zur Eröffnung, Hape Kerkeling zum Abschluss: Was soll da jetzt noch kommen?“, machte sich Festivalchef Tobias Bock zum Abschluss lediglich Sorgen, dass er so große Ruhrgebietsnamen kaum jedes Jahr bieten können wird.

Neben der Dichte großer Namen aus dem deutschen Literatur- und Showbetrieb ist es nach Ansicht Bocks vor allem die programmtische Verankerung im Ruhrgebiet, die das Festival ausmacht. Anders als etwa bei der Lit.Cologne, die von der gleichen Mannschaft organisiert wird, setzten sich bei der Lit.Ruhr deutlich mehr Veranstaltungen mit der Region und ihrem strukturellen Wandel auseinander. „Wir stellen da ein großes Interesse des Publikums fest und wollen diese regionalen Themen auch in Zukunft weiter bei der Lit.Ruhr verankern“, so Tobias Bock.

Das gab‘s noch nie: Vier Metropolschreiberinnen und -schreiber tauschen sich aus

lit.Ruhr 2024 - Metropolenschreiber:innen Ruhr
Die vier Metropolschreiberinnen und -schreiber Ingo Schulze, Nora Bossong, Eva von Redecker und Daniel Schreiber (v.l.) tauschten sich über ihre Erfahrungen im Ruhrgebiet aus. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Ein Beispiel dafür war der Abend mit Esther Schweins, Dietmar Bär und Thomas Böhm, die eine ganz besondere literarische Revue über das Leben mit dem Bergbau im Ruhrgebiet und anderswo vor der Kulisse der Zeche Zollverein präsentierten. Oder die bislang einmalige Zusammenkunft von gleich vier Metropolenschreibern am Sonntag, die ihre Erinnerungen und Erwartungen ans Ruhrgebiet teilten. Seit acht Jahren blicken ortsfremde Schriftstellerinnen und Autoren auf Einladung der Brost-Stiftung während eines Stipendiums aufs Ruhrgebiet. Erst in der vergangenen Woche bezog Daniel Schreiber als neuer Metropolschreiber die eigens dafür angemietete Residenz in Mülheim und löste die Philosophin Eva von Redecker ab.

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Im Salzlager der Kokerei Zollverein tauschten sich die beiden mit Nora Bossong und Ingo Schulze aus: Jede und jeder von ihnen verarbeitete die Eindrücke unterschiedlich. Nora Bossong etwa verließ das Ruhrgebiet „weniger optimistisch als ich angekommen bin“ und goss ihre Revier-Inspiration in das Theaterstück „Grabeland“, das am 31. Oktober Premiere im Theater Oberhausen feiert. Eva von Redecker – die eigentlich auf dem Land in Potsdam wohnt – kann es immer noch nicht fassen, „in einer so versiegelten Umgebung“ zu leben. Das Ruhrgebiet sei „das Musterbeispiel für das Anthropozän“, das menschengemachte Zeitalter, in dem wir leben. „Triebkräfte der Erde“, ist der Arbeitstitel für das umfassende Epos, das von Redecker als Ergebnis ihrer Metropolenschreiberinnenschaft plant.

Die Lit.Ruhr verhandelt die großen Fragen unserer Zeit

Die Lit.Ruhr verhandelte vielfach die großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit – etwa die nach dem Altern und dem Ruhestand: Elke Heidenreich mahnt, die „Alten seien nicht an allem Schuld“, wenn sie auf den Vorwurf zu sprechen kommt, ihre Generation hinterlasse eine beschädigte Welt: zu viel geflogen, zu viel Plastikmüll verursacht, zu dicke Autos gefahren. „Aber wir haben auch etwas aufgebaut, was Ihr nach unserm Tod erbt, und das ist nicht nur eine kaputte Welt.“ Und die ehemalige Tennis-Weltklassespielerin Andrea Petković berichtete Moderator Jörg Thadeusz im Gespräch über ihr neues Buch „Zeit, sich aus dem Staub zu machen“ eloquent und reflektiert über den Abschied vom Eingeübten, Vertrauten und den Umgang mit lebensentscheidenden Veränderungen, die eben nicht nur Tennisstars Probleme bereiten.

Gehört wurden auch jene, die die Zukunft gestalten: Kinder. Die Lit.Kid Ruhr, das parallel laufende Programm für Kinder, zog so viele Zuhörerinnen an wie nie: 4900 Schülerinnen nahmen an den kostenlosen „Klasse Buch“-Beranstaltungen teil. Neben Margit Auer, der Autorin der Schule der magischen Tiere, gehörten Wissenschaftsjournalistin und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim und Marie Meimberg zu den Höhepunkten. Bei ihrer Premierenlesung stellten sie das dritte Buch ihrer Reihe „Bibibiber hat da mal ne Frage“ vor. Darin erklären die beiden wissenschaftlich, wie viele Farben der Regenbogen hat. Da Farben nur im Kopf entstehen und jeder eine andere Wahrnehmung hat, ist den beiden darüber hinaus noch mehr gelungen: Eine Anleitung für ein wertschätzendes Miteinander. „Wir Menschen haben so vieles erfunden: Aber wie jemand anders fühlt, das können wir nicht messen, da müssen wir den anderen einfach fragen“, warb Marie Meimberg für mehr Empathie.

Auslastung von 82 Prozent bei insgesamt 70 Veranstaltungen

Entsprechend vielfältig war auch die Zuhörerschaft bei den rund 70 Veranstaltungen, die mit einer Auslastung von 82 Prozent ähnlich gut angenommen wurden wie im Vorjahr: junge Bücherwürmer und Grönemeyer-Fans trafen da auf Donna-Leon-Krimiliebhaber, Intellektuelle bekamen bei Wolfram Eilenberger neues Gedankenfutter, Liebhaberinnen von Heldengeschichten nahm Bestsellerautorin Caroline Wahl gedanklich mit ans Meer: „Es war ein sehr gelungenes Festival“, resümierte Tobias Bock.

Daran wolle man auch bei der neunten Auflage anknüpfen, das Datum steht bereits fest: Vom 7. bis 12. Oktober 2025 läuft die nächste Lit.Ruhr.