Essen. In der ausverkauften Essener Lichtburg stellte Hape Kerkeling sein Buch „Gebt mir etwas Zeit“ vor. Er spendierte den Zuhörern leider nur 90 Minuten.

Das ist auch eine Kunst, in der Lichtburg mit ihren 1250 Plätzen zum mehr oder weniger intimen Plauderstündchen zu bitten, zu einem Familientreffen gewissermaßen. Aber Hape Kerkeling, Entertainer von Kindesbeinen an, kann das natürlich.

Zum Abschluss der achten Auflage des Literaturfestivals Lit.Ruhr las der 59-Jährige aus seinem neuesten Buch „Gebt mir etwas Zeit“ drei längere Abschnitte. Davor und dazwischen beantwortete er launig Fragen aus dem Saal. Zunächst gab es gewissermaßen die Familienfeier in kleinerem Rahmen. Sein Mann, vorn in der ersten Reihe, feierte seinen Geburtstag und natürlich gab es ein Ständchen.

Lauter Nachfahren von Karl dem Großen

In größerem Rahmen betrachtet, so Kerkeling etwas später, sind alle Anwesenden Familie: Spätestens bei Karl dem Großen laufen alle Stammbäume Zentraleuropas zusammen. Kerkeling kennt sich jetzt aus, hat er doch die Analyse seiner DNA zur Grundlage seines Buches gemacht. Und seine vor allem niederländischen Wurzeln ausgegraben, aber natürlich ist er auch Engländer, Skandinavier und ein bisschen Italiener.

Gelesen wurde brav am Tisch, zu den launigen Fragerunden kam Kerkeling gern an den Bühnenrand.
Gelesen wurde brav am Tisch, zu den launigen Fragerunden kam Kerkeling gern an den Bühnenrand. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Polyglott ist er in jedem Falle und das kam ihm auch bei seinen drei vorgelesenen Ausschnitten zugute. Zwar hat er in seinem Buch seine Verbindungen zum britischen Königshaus, König Edward VII. ist ein gemeinsamer Vorfahre, ausgegraben, sein erster Kontakt im englischen Polegate, ausgerichtet von der Awo-Jugend aus Recklinghausen, indes verlief nicht so harmonisch.

Die eigentlichen Gasteltern verschollen, die Ersatzgastmutter eine Deutschenhasserin, worauf Kerkeling erst einmal den Vornamen Hans weglässt und fortan sich als halber Niederländer verkauft. Am Ende ist der Sprachaufenthalt doch nicht ganz vergeblich, konnte er doch als Teenager Gastmutter Anns Deutschenhass und den Frust über ihren weggelaufenen Gatten therapeutisch bearbeiten und so seine beachtlichen Sprachkenntnisse signifikant erweitern.

Zwischen Carrell und Millowitsch in der ersten Reihe

Als zweiten Ausschnitt wählte Kerkeling eine Episode aus seiner frühen Fernsehkarriere. Der Jungstar wurde beim Festakt zum WDR-Intendantenwechsel zu Friedrich Nowottny in die erste Reihe gesetzt. Zwischen Willy Millowitsch und Rudi Carrell. Ob es in seinen Genen liegt oder nicht: Den Zungenschlag der beiden Entertainment-Granden ließ er gekonnt lebendig werden.

Was er ausließ: Die Episode um den tragischen Verlust seiner ersten großen Liebe, die an Aids starb. Dazu gab es auch keine Fragen aus dem Publikum. Die wollten lieber wissen, wie es auf dem Jakobsweg war, wie es seinen Katzen geht und wo die gefeierten Mitropa-Kaffeemaschinen geblieben sind (im Fundus von Radio Bremen, weil der heiße Kaffee giftige Stoffe aus dem Plastik löst, so Kerkeling).

Die Frage, ob er sich als Homosexueller diskriminiert gefühlt habe, war für ihn eine Steilvorlage. Eigentlich habe er erst im Nachhinein gemerkt, wie weh ihm manche Sprüche, Witze und Zurücksetzungen getan haben, so Kerkeling. Und wie erleichtert er über die Fortschritte und die gewonnene Liberalität ist im Hier und Jetzt ist. „Wir sind eine Minderheit und ich bin froh über die erreichten Freiheiten.“ Diese wie die Demokratie gelte es gemeinsam zu verteidigen, so Kerkeling.

Jeden Tag acht Stunden Schreibtischarbeit

Gefragt wurde er auch, wie seine Schreibroutinen sind. Angeblich setzt er sich direkt nach dem Frühstück und Textkritik seiner Arbeit vom Vortag an den Schreibtisch. „Also um 14 Uhr!“ Diszipliniert arbeite er dann acht Stunden. Für welches neue Werk er sich erneut dieser Strapaze unterziehen wird, verriet er nicht. Mit Applaus hingegen nahmen seine familiären Freunde zur Kenntnis, dass Horst Schlämmer zurückkehrt auf die Leinwand.

Nanu, was steht denn da? Hape Kerkeling bekam auch Erinnerungsfotos überreicht und freut sich sichtlich.
Nanu, was steht denn da? Hape Kerkeling bekam auch Erinnerungsfotos überreicht und freut sich sichtlich. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die Premiere eines neuen Films über die von ihm geprägte Figur des schmierigen, aber politisch ambitionierten Journalisten des „Grevenbroicher Tagblatts“ wäre eine gute Gelegenheit für ein neues Familientreffen in der Lichtburg. Hat er doch hier schon „Kein Pardon“ auf die Leinwand gebracht, ein Bühnenprogramm aufgezeichnet und vor sechs Jahren die Verfilmung seines vorletzten Buches „Der Junge muss an die frische Luft“ gefeiert.

Einziger Nachteil des unterhaltsamen und reich beklatschen Lit.Ruhr-Finalabends: Er währte nur 90 Minuten. Allerdings schloss sich für Hape Kerkeling und große Teile seiner Familie noch eine Verlängerung an: Das Gedrängel für signierte Exemplare seiner Familiengeschichte war groß.