Essen. 1035 Seiten Mittelalter setzen Frank Schätzings Debüt von 1995 fort. In Köln, Frankreich und England, voller Intrigen und Schlachten.
Plötzlich wollen alle etwas mit englischen Königshäusern zu tun haben. Erst orakelt Hape Kerkeling, er könnte ein Urenkel aus der Seitensprung-Linie von Edward VII. sein, und jetzt geht der Erz-Kölner Frank Schätzing auch noch den Verbindungen seiner Heimatstadt zum englischen Königshof nach – freilich weiter zurück: Sein neuer, heute erscheinender Roman „Helden“ spielt im späten Mittelalter, in dem Schätzing erste Spuren von Renaissance-Denken anlegt. Und die englischen Könige aus dem Haus Plantagenet, vor allem aber der englische Adel war im 13. Jahrhundert noch halb normannisch.
Tatsächlich aber dreht sich der neue Roman um einen alten Bekannten aus Worringen, um den Filou und Streuner Jacop, den sie nicht nur seiner roten Haare wegen „Fuchs“ nennen. Schätzing-Fans kennen ihn aus „Tod und Teufel“ (1995), jenem Debüt des Autors, das sich erst nach dessen Mega-Erfolg mit dem Wissenschafts-Thriller „Der Schwarm“ ganz gut verkauft hat. Dass sein Debüt so lange übersehen wurde, nagt vielleicht noch bis heute an Schätzing – die Art, in der er das neue Buch seinem Vater widmet („Weil Du immer an mich geglaubt hast“) deutet darauf hin.
Frank Schätzings Roman „Helden“ setzt sein Debüt von 1995 fort: „Tod und Teufel“
„Helden“ ist tatsächlich eine Fortsetzung von „Tod und Teufel“, aber auch so geschrieben, dass man den Erstling nicht kennen muss. Dessen Story taucht in Rückblicken immer mal wieder auf. Der verwaiste Bauernsohn Jacop absolviert Lehrjahre in der großen Stadt Köln unter dem Schutz des Arztes und späteren Probstes Jaspar Rodenkirchen, einem intellektuellen Vorreiter der Vernunft, der gegen Aberglauben und klerikale Machtverbrämung kämpft, „weil Menschen schlimmste Gräuel mit Unsinn rechtfertigen“ und man deshalb klüger sein müsse als sie. Er will Jacop, der sich als Dieb durchgeschlagen hat, zum Gelehrten machen – und ist als Romanfigur umso wahrscheinlicher, als es ja zeitgleich den ähnlich wirkenden Kölner Philosophen und Universitätsgründer Albertus Magnus gab.
Jaspar drängt Jacob in eine Kaufmanns-Lehre, ausgerechnet beim Patriziergeschlecht der Overstolz. Das scheint nicht ganz unverwickelt in die Intrige, die mit einem Mord am Dombaumeister endete; den hatte ausgerechnet Jacop beobachtet (und das war des Rätsels Kern in „Tod und Teufel“).
Jacops Lebens-, Hirn- und Herzensbildung, seine Abenteuer in Köln, Troyes, Paris und in England schildert Schätzing mit Liebe zum Detail (und umsichtig recherchierten Fakten). Hin und wieder aber geht der Gaul des Historienmalers mit ihm durch, dann wirken manche Szenenfolgen, als hätte sich der Autor vom Rausch der Beschreibung mitreißen lassen, etwa beim seeschlachtmäßigen Untergang der Maria Salome vor Englands Küste. Andererseits taucht hier zum ersten Mal jene beeindruckende, mythenähnliche Frauenfigur auf, die als Falknerin Seeadler und anderes Geflügel zu Waffen gegen Menschen dressiert hat, eine „weiße Hexe“ wie aus einem Fantasy-Roman. Schätzing versteht sich allerdings hervorragend auf die bekömmliche Mischung von Drama, Geschichtsnachhilfe, Witz (wie beim Versagen der Kirche in Sachen Mäusejagd) und Erotik – die leitmotivische Liebe zur Färbertochter Richmodis hält Jacop etwa nicht davon ab, die Dienste der „Hübschlerinnen“ in Paris in Anspruch zu nehmen.
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Am Ende geht es aber in der Tiefenschicht um Macht und Moral, den Widerstand der Kölner Patrizier gegen den Erzbischof, die Intrigen der Adeligen gegen den englischen König und deren menschliche Kosten in drastischen Bildern. Und mündet in gutes Lesefutter für lange Winterabende.