Düsseldorf/Berlin. Welche Pflichten und Vorzüge haben junge „Von und Zus“ heute noch wegen ihres Adelstitels? Marie von Bose (24) will mit Klischees aufräumen.
Wer als Spross einer Adelsfamilie aufwächst, der hat keine Geldsorgen, lebt in Saus und Braus und muss sich um seine Zukunft sowie jene seiner Nachfahren keine Gedanken machen… So zumindest lauten die Vorurteile, mit denen viele „Von und Zus“ noch heute stigmatisiert werden.
Obwohl die Monarchie in Deutschland vor rund 100 Jahren abgeschafft wurde, leben hierzulande 80.000 Adelsnachkommen. Inwiefern spielt die Herkunft in ihrem Leben noch eine Rolle? Darüber hat unsere Reporterin Michelle Kox mit der 24-jährigen Marie von Bose gesprochen.
Leben von Steuergeldern und Co. – welche Adelsklischees gibt es noch?
Zur Einordnung vorweg: Der Begriff „Adel“ stammt von dem Wort „edel“ ab. Im Mittelalter unterschied man zwischen hohen Adeligen, wie etwa Gräfen und Herzögen sowie den niedrigeren Adeligen, meist Rittern. Alle genossen sie das Privileg, einer hochrangigen sozialen Schicht anzugehören, die Zugang zu Bildung hatte und Steuern erheben durfte, ohne selbst welche zu zahlen. Im Gegenzug waren sie für das Wohlergehen des Fußvolkes zuständig, mussten politische Entscheidungen treffen und das Volk in Kriegs- oder Notfällen beschützen. Wurde ein Mensch zum Adel erhoben, so wurde sein Titel über Generationen blutsvererbt.
Marie, was weißt du über die Geschichte deiner Familie?
Unser Familienstammbaum geht ins neunte Jahrhundert zurück, damit sind wir Uradel. Soweit ich weiß, war der erste von Bose, der zum Adel erhoben wurde, ein Ritter. In der Satzung wurde festgelegt, dass man den Namen von Bose nur behalten darf, wenn man auch als von Bose geboren wurde. Man sah es überhaupt nicht gerne, wenn der Name durch Verschwägerung weitergegeben wurde, er sollte möglichst an der Blutlinie bleiben. Heutzutage wird das natürlich nicht mehr so eng gesehen. Aber so kam es, dass wir bis heute diesen Namen tragen.
Ist dir der Name von Bose wichtig? Oder würdest du ihn auch abgeben, wenn du heiratest?
Meine Mama war tatsächlich die erste Frau von Bose, die ihren Namen mit der Hochzeit behalten hat. Das finde ich ziemlich cool, weil es der erste feministische Ansatz in unserer Familie war.
Ich möchte den Namen von Bose auch behalten, wenn ich heirate. Nicht wegen dem Adelstitel, sondern, weil er für mich eben zu meiner Persönlichkeit gehört. Ich bin seitdem ich geboren wurde Marie von Bose und fände es komisch plötzlich einen anderen Namen zu tragen.
Wie bist du als Marie von Bose aufgewachsen?
Ich bin tatsächlich auf eine Privatschule gegangen. Bildung war in meiner Familie immer sehr wichtig. Dort habe ich mich allerdings unter den vielen wohlhabenden Mitschülerinnen und Mitschülern nicht sehr zugehörig gefühlt. Es herrschte starker Perfektionismus und Leistungsdruck in vielen anderen Familien. Ich wurde hingegen sehr freiheitsliebend erzogen und mit der Einstellung, dass man auch Fehler machen darf. Ansonsten würde ich behaupten, dass meine Kindheit ganz normal war.
Mein großer Bruder und ich sind sehr bescheiden und bodenständig aufgewachsen. Die Vermutung, dass wir aufgrund unseres Namens ein riesiges Vermögen geerbt haben, stimmt nicht. Wir haben bei unserer alleinerziehenden Mutter in einem kleinen Einfamilienhaus auf dem Dorf gelebt, die uns bewusst entfernt von dem Adelsgedanken aufgezogen hat. Sie ist studierte Ethnologin, arbeitet als Integrationsbeauftragte und lebt gern unabhängig. Alles, was wir je an Geld hatten, hat sie selbst verdient.
Was waren die Gründe dafür, dass deine Mutter den Adelsgedanken von euch ferngehalten hat?
Als meine Mutter jung war haben Adelsfamilien noch deutlich stärker darauf geachtet ein bestimmtes Image zu wahren. Darunter hat die freie Entfaltung des Individuums, gerade auch der Kinder, gelitten. Das fand sie blöd und veraltet, denn auf der anderen Seite ist sie auch ein Kind der individualistischen 80er und wollte immer auf eigenen Beinen stehen. Diesen Druck, in ein bestimmtes Bild passen zu müssen, wollte sie von uns fernhalten.
Wann hast du dann erfahren, dass du aus einer Adelsfamilie stammst?
Als Kind hatte ich wie gesagt keinerlei Berührungspunkte damit. Über die Geschichte unserer Familie hat mir meine Großmutter erst mit zwölf Jahren erzählt, weil ich mich dafür interessiert habe, wo mein Nachname herkommt. Erst dann habe ich erfahren, dass es bei den von Boses auch heute noch Traditionen wie Adelsbälle und Familientage gibt.
Nimmst du an diesen Traditionen heute teil?
Ja, besonders den Familientag, der alle zwei Jahre stattfindet, finde ich sehr schön. Dort lerne ich immer ganz viele neue Leute kennen, mit denen ich in irgendeiner Art verwandt bin. Bei so einem Event kommen zwischen 50 und 200 Personen zusammen – jedes Mal an einem anderen Ort, der in irgendeiner Weise mit unserer Familiengeschichte zusammenhängt. Der Familienvorstand hält viele Reden und erzählt zum Beispiel, welcher von Bose an diesem Ort gelebt hat und was er gemacht hat. Dann werden wichtige Neuigkeiten verkündet: Wer ist gestorben? Wer hat Kinder bekommen? Wer hat geheiratet? Neue Mitglieder werden begrüßt, einige bestehende Mitglieder werden geehrt. Am Abend gibt es meistens ein Diner. Früher war das Ganze deutlich pompöser, aber man sollte dennoch die Etikette beachten.
Wie werden solche Veranstaltungen finanziert?
(lacht) Auf jeden Fall nicht mit Steuergeldern. Es gibt einen Mitgliederbeitrag, den jeder zahlen muss und der vom Schatzmeister verwaltet wird.
Das Leben von Steuergeldern – ein klassisches Vorurteil. Wirst du häufiger mit solchen Stereotypen konfrontiert?
In meinem direkten Umfeld nicht, im Internet schon. Unter meinen TikTok-Beiträgen lese ich häufig Kommentare wie: „Die ist adelig, reich, geldsüchtig und böse.“ Auch werde ich dort regelmäßig gefragt, ob ich mein Geld noch mit der Ausbeutung von anderen Leuten verdiene oder denke, dass ich was Besseres bin.
Meine Mutter hat sowas als junge Frau tatsächlich noch in ihr Gesicht gesagt bekommen. Es gibt auch Studien dazu, dass Menschen mit Adelstiteln leichter Jobs, Studienplätze oder Wohnungen bekommen.
Und kannst du das bestätigen?
Ich bin in der Künstlerbranche tätig, da spielt das keine Rolle. Mein Freund und ich leben in einer kleinen Mietwohnung in Berlin und hatten es bei der Wohnungssuche nicht schwerer oder leichter als andere.
Wie sieht dein Leben heute sonst noch aus?
Ich arbeite als Schauspielerin, Content-Kreatorin, Modell, als Rhetorik- und Sprechtrainerin und als Autorin. Darüber hinaus studiere ich auf Teilzeit Schauspiel in London. Mein Alltag macht mir unglaublich viel Spaß, weil jeder Tag anders ist. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich mich so künstlerisch und frei entwickeln konnte und heute genau da bin, wo ich mir immer gewünscht habe, mal zu sein.
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