Essen. Das Todesdrama ihres Sohnes Adel bekommt sie nicht aus dem Kopf: Erstmals spricht die Mutter über ihren Schmerz und ihre Idee von Gerechtigkeit.
Sie wollte dieses Treffen. Unbedingt. Aber als es soweit ist, bekommt sie kaum ein Wort heraus. Ringt um Fassung, kämpft mit den Tränen und tastet sich durch diesen Vorhang aus Schmerz und Sprachlosigkeit, Trauer und Wut hindurch zu ein paar dürren Sätzen. Denn es ist ja nicht s c h o n, nein, es ist e r s t drei Monate her, dass ihr Sohn Adel B. bei einem Polizeieinsatz erschossen wurde. Vor Gericht will sie nun aller Welt beweisen, dass er „noch leben würde, hätte die Polizei ihre Arbeit richtig gemacht“.
Das wird schwierig genug, vielleicht auch unmöglich. Warum der erste Anlauf gescheitert ist, erfuhr sie am Mittwoch aus der Post: Da las die 54-jährige gebürtige Rostockerin, die ihr Gesicht wohl zeigen, ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen mag, dass das gegen den Todesschützen eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingestellt wurde.
Seit das Video die Runde macht, wird öffentlich vorverhandelt
Von Notwehr ist dort die Rede, von Gefahr für Leib und Leben jener Polizistin, die dem mit einem 30 Zentimeter langen Fleischermesser an der Haustür herumfuchtelnden Adel ausgesetzt gewesen sei. Was zwei eingesetzte Polizisten beteuern, Familie wie Freunde auf dem Handy-Video aber nicht bestätigt finden.
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Überhaupt, dieses Video: Ein 47-sekündiger Filmschnipsel, den ein Nachbar an jenem 18. Juni aus dem Fenster schräg gegenüber drehte. Er hat die letzten Sekunden des 32-jährigen Deutsch-Algeriers quasi zu einer öffentlichen Sache gemacht. Dies zumal auch von vorherigen Einsätzen Video-Sequenzen herumschwirren: Seither wird Adel B.s gewaltsamer Tod vorverhandelt – auf der Straße, in Leserbriefen, vor allem in sozialen Medien.
Nicht krank genug, um in Behandlung zu bleiben
Adels Mutter kennt die Bilder nur vom Hörensagen. Sie hat sich das Video jenes frühen Dienstagmorgens noch nicht ansehen können, oder besser: nicht ansehen wollen. Nicht den Schuss durch die Haustür, nicht den letzten Todesseufzer des Sohnes, von dessen Problemen sie wusste. Dem sie zuredete, immer wieder: „Lass Dir helfen!“
Tatsächlich war Adel B. wegen einer psychotischen Störung ein paar Monate zuvor auf der offenen Station eines Klinikums behandelt worden. Man entließ ihn mit Verweis darauf, dass er „nicht krank genug“ sei, wie seine Mutter es formuliert. Und „absprachefähig“: So lautet der Fachbegriff dafür, dass Patienten zusichern, sich selbst nichts anzutun.
Hat er wirklich zugestochen, oder hätte er nur können?
Aber Tage später droht er doch wieder, sich umzubringen. Und seine Mutter will es nicht in ihren Kopf, dass die Polizei nur Schusswaffen parat hatte, aber keinen Seelsorger, Arzt, Psychologen, „irgendjemanden, den sie hätten schicken können, um ihn zu beruhigen“. Das ist die Frage, die in Dauerschleife „durch meinen Kopf schwirrt: Ich denke, Adel würde dann noch leben.“
Aber so kann sie „seinen Tod nicht akzeptieren“. Nicht heute, nicht morgen: Fragt sich stattdessen, warum es ein Schuss in die Brust sein musste. Es ist dies einer der Punkte, an denen auch ihre Anwälte Martin Henrich und Maruschka Hadlich ansetzen wollen: „Das war so nicht erforderlich“, betont Henrich, auch ein Schuss ins Bein hätte Adel B. kampfunfähig gemacht, erst recht, wenn der Todesschütze – wovon er ausgeht – von rechts zur Tür stürmte. Auch zieht der Anwalt die Bedrohungslage in Zweifel: Hat Adel B. wirklich mit dem Messer zugestochen oder hätte er nur können, wie ein Zeuge sagt?
„Sie wollen Ihre Mutter doch nicht noch trauriger machen?“
Auf solche Feinheiten kommt es an, wenn nun auf dem Rechtsweg erst die Beschwerde und dann wohl die Klage gegen die Einstellung des Verfahrens folgen. Ja, sagt Adels Mutter noch, es waren „die vielen Widersprüche“, die sie nicht haben ruhen lassen: allem voran die polizeiliche Schilderung der Vorkommnisse, die erst durch das Handy-Video widerlegt wurde.
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„Ich möchte eigentlich nur Gerechtigkeit und Aufklärung“, betont sie und hat Adel noch vor Augen: Wie er bei ihr zum Essen saß und sagte, dass es ihm nicht gut geht. Sie hatte Angst, dass er sich was antut, hätte sich so gewünscht, dass er auf Polizisten trifft wie an jenem Abend an der Berliner Straße, wo er schon einmal drohte sich umzubringen. Eine Beamtin traf an jenem Abend seinen Nerv: „Was ist mit Ihrer Mutter?“, fragte sie, „die wollen Sie doch nicht noch trauriger machen, oder?“
Da gab er auf.