Düsseldorf. Alina hat ihre Eizellen einfrieren lassen, um eine Schwangerschaft aufzuschieben. Wie Social Freezing funktioniert – und warum es umstritten ist.
Tick-tack, tick-tack. Fast jede Frau über 30, die sich den eigenen Kinderwunsch noch nicht erfüllt hat, kennt dieses Gefühl: Die Fruchtbarkeit sinkt, die Dringlichkeit, mit der Freunde und Verwandte nach der Familienplanung fragen, steigt.
Der richtige Partner, der richtige Job, der richtige Zeitpunkt: Wenn das Kind kommen soll, muss alles passen. Das ist für viele Frauen eine Herausforderung, die biologische Uhr lässt sich schließlich nicht so einfach aus dem Takt bringen. Oder doch?
Social Freezing: Entwickelt für Krebspatientinnen
Das sogenannte „Social Freezing“ verspricht zumindest, die Uhr stoppen zu können. Frauen lassen sich ihre Eizellen einfrieren, um sie erst dann wieder aufzutauen, wenn die Zeit richtig scheint. Ursprünglich entwickelt wurde die Methode für Krebspatientinnen. Ihnen werden Eizellen entnommen, damit diese durch die Bestrahlung nicht zerstört werden. Seit fast zehn Jahren steht die Behandlung auch gesunden Frauen zur Verfügung.
Populär wurde Social Freezing im Jahr 2014, als Facebook und Apple ankündigten, die Behandlungskosten für ihre Mitarbeiterinnen zu übernehmen. Sie sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren können, ohne sich im jungen Alter zwischen Kind oder Karriere entscheiden zu müssen, so die Begründung.
Düsseldorferin über Social Freezing: „gewisse Absicherung“
„Es gibt dem Ganzen eine gewisse Absicherung“, sagt auch Alina, die im vergangenen Jahr ihre Eizellen einfrieren ließ. Die 28-jährige Düsseldorferin hat erst vor wenigen Monaten ihr Medizinstudium abgeschlossen, kann nun endlich als Assistenzärztin arbeiten. Alina liebt ihren Beruf. Aber sie liebt auch Kinder.
Wie für viele andere Frauen ist Social Freezing für sie vor allem eins: eine Option für den Problemfall, der hoffentlich nicht eintritt: „Was ist, wenn ich erste Ende 30 feststelle, dass der richtige Zeitpunkt für ein Kind ist, aber mein Körper dann nicht mehr mitmacht?“
Für diesen Fall warten 32 schockgefrorene Eizellen im Düsseldorfer Universitätsklinikum auf sie. Alina musste dafür zunächst eine Hormonbehandlung machen. „Der Zyklus der Frau führt dazu, dass in der Regel nur eine Eizelle aus dem Eierstock freigesetzt wird. Dieser Prozess wird durch die Vergabe von Medikamenten so verändert, dass mehrere Eizellen wachsen, also sprungreif werden“, erklärt Biologin Dunja Baston-Büst.
Nach der Hormonbehandlung, die in der Regel sieben bis 12 Tage dauert und mit Nebenwirkungen wie Unterleibsschmerzen verbunden ist, wird durch ein weiteres Medikament der Eisprung künstlich ausgelöst. Erst dann kann die Follikelpunktion stattfinden. „In einer kleinen Operation, bei der die meisten Frauen eine ganz leichte Narkose oder Schmerzmittel bekommen, werden die Eizellen aus dem Eierstock entnommen“, sagt Baston-Büst. Sie untersucht dann, welche der Eizellen tatsächlich den nötigen Reifegrad erreicht haben, um diese im nächsten Schritt bei -196 Grad einzufrieren.
Düsseldorfer Expertin: Social Freezing nur für Frauen unter 33 Jahre sinnvoll
„Die Faustregel besagt, dass man am besten so viele Eizellen einfriert, wie man alt ist. Das ist eine gute Rechnung, bedeutet aber eben auch: Eine 40-jährige Frau bräuchte 40 reife Eizellen. Das ist vollkommen utopisch. Denn je älter man wird desto weniger Eizellen werden bei der Behandlung zum Wachstum angeregt, eignen sich also zum Social Freezing.“
Im Prinzip sei die Behandlung daher nur sinnvoll, wenn die Frauen unter 33 Jahre alt sind. Ein Höchstalter gibt es auch für das Auftauen und die künstliche Befruchtung: Das Netzwerk Fertiprotekt empfiehlt, dass Frauen nicht älter als 50 Jahre sein sollten. Baston-Büsts älteste Patientin war 43 Jahre alt.
Alina wäre das zu spät. Sie hat sich zwar keine genaue Grenze gesetzt, möchte aber – wenn überhaupt – vor ihrem 40. Geburtstag Mutter werden. „Irgendwann wäre das Risiko in der Schwangerschaft einfach nicht mehr tragbar, weder für mich noch für das Kind. Und auch wenn das Kind dann da ist, möchte ich mich noch fit genug fühlen, um mit ihm auf den Spielplatz zu gehen oder Fangen zu spielen.“
Mütter im Oma-Alter? Kritik am Social Freezing
Schwangerschaften sind bei älteren Frauen nicht nur gesundheitlich riskanter, Mütter im Oma-Alter werfen auch soziale Fragen auf. Kritikerinnen und Kritiker finden es problematisch, dass erheblich in einen eigentlich natürlichen Prozess eingegriffen und die Familienplanung so künstlich verzögert wird.
„Die Kritik kann ich natürlich verstehen. Für mich ist es nicht so, dass ich das geplant oder gegen die Natur machen möchte. Wenn ich später ohne Probleme schwanger werden kann, wäre das super. Aber wenn nicht, habe ich noch die gefrorenen Eizellen als Sicherheit“, sagt Alina. Sie ist der Meinung, dass bisher noch viel zu wenig Frauen Social Freezing kennen – oder erst davon erfahren, wenn es schon zu spät ist. Ihre Forderung: Mehr Aufklärung, am besten bereits in Schulen.
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Außerdem hofft sie, dass sich in Zukunft mehr Arbeitgeber an den Kosten der Behandlung beteiligen. Sie selbst hat für das Social Freezing rund 3000 Euro gezahlt. Generell kann die Behandlung mehrere tausend Euro kosten – je nachdem, wie viele Zyklen zur Eizellgewinnung notwendig sind. „Wenn ich später ganz normal schwanger werden kann, war es vielleicht rausgeworfenes Geld. Aber wenn es nicht klappt, dann möchte ich mir nicht sagen müssen: Ich habe etwas nicht getan, was ich hätte tun können“, sagt Alina.
Ein gesellschaftliches, kein biologisches Problem
Ein weiterer Kritikpunkt neben den hohen Kosten: Social Freezing liegt der Gedanke zugrunde, dass Frauen sich zwischen Karriere und Kind entscheiden müssen. Dieser Konflikt soll durch einen medizinischen Eingriff gelöst werden – anstatt durch strukturellen Wandel. „Die Tatsache, dass die Unvereinbarkeit von Ausbildung, Beruf und Familie immer mehr Frauen dazu verleitet, die Familiengründung so lang aufzuschieben, bis es zu spät ist, ist aber nicht in erster Linie ein biologisches, sondern ein gesellschaftliches Problem“, stellt etwa die Berliner Autorin Millay Hyatt fest.
Für Alina bedeutet Social Freezing Freiheit. Selbst der Gedanke, dass es mit der Schwangerschaft trotz eingefrorener Eizellen nicht funktionieren könnte – die Erfolgsquote liegt bei etwa 20 Prozent – und sie kinderlos bleibt, stresst sie nicht: „Ich denke, dass es so viele Optionen gibt, um ein erfülltes Leben zu haben und so viele Arten, wie man Familie leben kann“.