Köln. Gründerin Tanja Zirnstein aus NRW bleibt zwei Monate in Elternzeit. Dann kehrt sie in ihr Startup zurück – und erhält dafür viel Kritik.
Nach der Geburt ihres ersten Kindes bleiben Tanja Zirnstein und ihr Mann zwei Monate lang zu Hause, gewöhnen sich an ihr neues Leben zu dritt. Er wird dafür gelobt, sich so viel Zeit für die Familie zu nehmen. Sie muss sich dafür rechtfertigen, dass sie so schnell ins Unternehmen zurückkehrt.
„Das hat mich wirklich schockiert. Ich dachte, wir wären weiter“, sagt Zirnstein, die gemeinsam mit Katharina Obladen 2016 das Kölner Startup UVIS gegründet hat. Als Geschäftsführerin trage sie eine hohe Verantwortung, auch für die zehn Mitarbeitenden. Fange ich wieder an zu arbeiten? Falls ja, in welchem Umfang? Wie teile ich mich mit meinem Partner auf? All diese Fragen habe sich die 29-Jährige daher schon zu Beginn der Schwangerschaft gestellt.
Zwei Monate Elternzeit: „Sicher, dass du wieder anfangen möchtest zu arbeiten?“
„Für andere mögen zwei Monate im Mutterschutz zu kurz sein, für mich war es genau richtig“, sagt sie rückblickend. „Es ist eine sehr persönliche Entscheidung.“ Umso mehr haben sie die Reaktionen im Bekanntenkreis sowie von Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern überrascht: Unverständnis, Kopfschütteln und Vorwürfe wie „Bist du dir sicher, dass du so früh wieder anfangen möchtest zu arbeiten? Denk doch an dein Kind!“
Ihre Erfahrungen teilt Zirnstein auf der Business-Plattform LinkedIn. „Warum wird von der Mutter noch immer erwartet, sich zu Hause um die Kinder zu kümmern?“, schreibt sie in dem Beitrag, der mehr als 11.000 Reaktionen erhält. 600 Menschen berichten in der Kommentarspalte ebenfalls von ihren Erlebnissen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Menschen teilen Erfahrungen auf LinkedIn
„Als Vater, der 14 Monate Elternzeit genommen hat, könnte ich Geschichten erzählen… Von leichter Irritation über völliges Unverständnis bis hin zu moralisch behafteten Debatten (ein Kind braucht seine Mutter!) war da so ziemlich alles dabei. Und was meine Frau sich anhören musste, gebe ich hier besser nicht wieder“, kommentiert ein Nutzer.
Ein anderer kritisiert: „Wir schreiben das Jahr 2022!!!! Die Menschheit war technologisch noch nie so weit entwickelt wie sie es jetzt ist. Und dennoch werden Frauen nur auf ihre Mutterpflichten reduziert bzw. sollen ihre berufliche Entwicklung zugunsten der Mutterschaft zurückstellen. Wann lassen wir endlich diese gesellschaftliche Steinzeit hinter uns?“
Frauen werden laut Studie fürs Kinderkriegen finanziell bestraft
Laut einer Untersuchung des gewerkschaftsnahen Institutes der Hans-Böckler-Stiftung bringen Frauen im Schnitt 2,4-mal so viel Zeit für unbezahlte Fürsorgearbeit auf wie Männer. Eine Langzeitstudie des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung in Berlin hat darüber hinaus gezeigt, dass Kinderkriegen für Frauen einen drastischen Einkommenseinbruch zur Folge hat, da sie ihren Beruf meist deutlich später als ihre Partner und oft nur in Teilzeit wieder aufnehmen.
So verdienen Mütter der Studie zufolge fünf Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 60 Prozent weniger als zuvor, während die Väter ihr Gehalt im Schnitt sogar steigern. Auch 20 Jahre später können Frauen statistisch gesehen nicht mehr an ihr vorheriges Lohnniveau anknüpfen (minus 20 Prozent), während das Einkommen der Männer weiter wächst (plus 40 Prozent). Expertinnen und Experten sprechen daher von der sogenannten „Motherhood Wage Penalty“: Männer werden fürs Kinderkriegen finanziell belohnt, Frauen bestraft.
Veraltete Rollenklischees: „Frauen können doch gar keine Technik.“
Mit klassischen Rollenklischees werde Zirnstein bereits seit der Gründung ihres Start-ups konfrontiert: „Von Anfang an hieß es immer wieder: Frauen können doch gar keine Technik.“ Ihre Firma stellt Desinfektionsanlagen her, die beispielsweise die Handläufe von Rolltreppen mit UVC-Licht desinfizieren. Seit dem Ausbruch der Pandemie sei die Nachfrage extrem gestiegen. In den letzten zwei Jahren habe das Start-up über 200 Treppen ausgestattet, etwa in Kaufhäusern, Verkehrsbetrieben und der Hamburger Elbphilharmonie.
Wenn die Unternehmerinnen beim Einbau der Anlagen dabei sind, komme es vor, dass nicht die beiden angesprochen werden, sondern ihr männlicher Werkstudent. Auch Kommentare wie „Ach, den zwei Hübschen kauft man doch sowieso alles ab“ seien keine Seltenheit. In der Geschäftswelt würden Frauen teilweise immer noch nicht ernst genommen, kritisiert Zirnstein.
Ein Gespräch mit einem potenziellen Investor habe sie besonders aufgewühlt. Er entschied sich damals gegen ihr Start-up. Nicht, weil er an der Idee zweifelte, sondern an den beiden Unternehmerinnen, wie er ihnen Jahre nach der Gründung erklärte: „Sie waren ja gerade erst aus dem Studium raus. Ich hatte die Sorge, dass Sie einen Mann finden, Kinder kriegen und dann keine Lust mehr auf das Unternehmen haben.“
Arbeitswelt im Wandel: Neue Arbeitszeitmodelle für mehr Gleichstellung
Das ernüchternde Fazit der Gründerin: „Wie man es macht, macht man es falsch. Erst wird einem vorgeworfen, man würde sowieso mit dem Unternehmen aufhören. Dann macht man das nicht und es ist auch wieder nicht richtig. Das finde ich einfach unfair.“
Um den Rollenbildern, die über Generationen hinweg verankert seien, langfristig entgegenzuwirken, muss sich ihrer Meinung nach vor allem die Arbeitswelt verändern. So würden flexiblere Arbeitszeiten eine wichtige Rolle bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielen. Es solle in Zukunft nicht mehr darum gehen, „seine acht Stunden vollzukriegen, sondern um Effizienz.“
Familie und Beruf
Frauen, die während der Gründung ihres Unternehmens bereits Kinder haben, werden „Mompreneurs“ genannt.
Bei einer deutschlandweiten Umfrage gab knapp die Hälfte von ihnen an, den Schritt in die Selbstständigkeit vor allem gewagt zu haben, um Familie und Beruf besser vereinen zu können.
Familie und Beruf: Selbstständige im Vorteil
Dabei hätten selbstständige Unternehmerinnen und Unternehmer Vorteile gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, betont Christine Trzaska, Vorsitzende des Verbandes deutscher Unternehmerinnen im Ruhrgebiet. „Ich kenne viele Unternehmerinnen aus dem Ruhrgebiet, die sich selbstständig gemacht haben, weil sie so ganz andere Freiheiten haben“, sagt Trzaska.
Auch für Zirnstein sei es kein Problem, sich während der Arbeit Zeit für ihr Kind zu nehmen. Neben ihrem Schreibtisch steht eine Wiege, auch ins Büro oder zu Terminen hat sie ihren Sohn schon mitgenommen. „Das Kind lässt sich wunderbar in den Berufsalltag integrieren. Und am Ende zählt doch einfach nur, dass es dem Kind gut geht – egal, ob und wie lange Mama oder Papa zu Hause bleiben.“