Essen. Jede zehnte Frau leidet unter Endometriose. Doch Betroffene werden oft nicht ernst genommen. Wie drei Essenerinnen das ändern wollen.
Eine Wärmflasche, Binden, Tampons, eine Wechselhose und jede Menge Schmerztabletten: Janine verlässt nie unvorbereitet das Haus, für den Notfall hat sie ihre Tasche immer gepackt. Der Notfall – das bedeutet, dass ihre Endometriose-Erkrankung zu Krämpfen, Erbrechen, Durchfall oder gar zur Ohnmacht führt. Der Notfall tritt oft ein.
Endometriose ist eine der häufigsten Unterleibs-Erkrankungen. Etwa jede zehnte Frau ist von der Krankheit betroffen. Bei ihnen wächst während des Zyklus nicht nur die Gebärmutterschleimhaut, ähnliches Gewebe wuchert auch an anderen Stellen im Körper. Im Unterleib, an den Eileitern, an der Blase oder am Darm zum Beispiel, in seltenen Fällen auch außerhalb des Bauchraums.
Sieben Jahre bis zur Endometriose-Diagnose
Expertinnen und Experten bezeichnen diese Gewebeansammlungen als „Endometriose-Herde“, die mit dem hormonellen Zyklus wachsen und bluten. Sie können auftreten, ohne dass eine Frau sie überhaupt bemerkt. Sie können aber – obwohl sie als gutartig eingestuft werden – zu erheblichen Schmerzen führen, metastasieren und bleibende Schäden an Organen verursachen.
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Bekannt ist die Krankheit schon lange. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde sie zum ersten Mal beschrieben, sagt Ruth Grümmer. Die Wissenschaftlerin forscht an der Uniklinik Essen zu Endometriose. Dennoch dauert es heute im Schnitt etwa sieben Jahre, bis Betroffene die Diagnose bekommen.
Endometriose-Erkrankte teilen Erfahrungen auf Instagram
Der Weg dahin ist meist von etlichen Arztbesuchen und Fehldiagnosen geprägt. „Das ganz große Problem ist, dass Endometriose so schwer zu diagnostizieren ist. Die Krankheit geht oft mit Menstruationsschmerzen einher, die über Jahrhunderte als ganz normal empfunden wurden“, sagt Ruth Grümmer.
Janine hat erst seit zwei Jahren die offizielle Bestätigung für ihre Erkrankung. Dabei hat die heute 27-jährige Essenerin schon zu Schulzeiten „furchtbare Unterleibsschmerzen“ während ihrer Periode, wird regelmäßig während des Unterrichts ohnmächtig. Vor etwa acht Jahren wird sie zum ersten Mal auf Endometriose aufmerksam, über die Social-Media-Plattform Instagram, auf der immer mehr Betroffene ihre Erfahrungen teilen.
Essenerin über Folgen der Endometriose: „Ich habe ein Stück Darm verloren.“
„Ich habe ein Video einer Erkrankten gesehen und gedacht: Die spricht mir aus der Seele“, sagt Janine. Ihre Gynäkologin teilt den Verdacht, schickt sie zu „vermeintlichen Spezialisten und Spezialistinnen“. Ein Arzt operiert sie,Endometriose-Herde kann er nicht entdecken. Dabei ist zu diesem Zeitpunkt bereits Janines gesamter Bauchraum befallen. „Ich habe deshalb ein Stück Darm verloren und meine Blase musste wegen des starken Befalls verkleinert werden.“
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Das Problem: Um Endometriose zu erkennen, muss gezielt der Bauchraum per Bauchspiegelung untersucht werden, so Grümmer. Für Janine bedeutet die Diagnose im ersten Moment vor allem Erleichterung. Endlich muss sie sich weder von Bekannten noch von Ärztinnen und Ärzten den Vorwurf gefallen lassen, sie sei psychisch labil, wehleidig und könnte mit normalen Periodenschmerzen einfach nicht so gut umgehen wie andere Frauen.
Essenerin muss Traumjob wegen Endometriose aufgeben
Die Diagnose bedeutet jedoch keinesfalls das Ende ihres „Leidensweges“. Etliche Hormontherapien schlagen nicht an, die Herde wachsen auch nach der Entfernung durch Operationen ungehindert weiter. Die Schmerzen bestimmen ihren Alltag. So sehr, dass sie mit Mitte 20 ihren „Traumjob“ aufgeben muss.
Janine arbeitet als Chemielaborantin im Außendienst, entnimmt in der gesamten Region Gewässerproben. „Das ging körperlich einfach nicht mehr. Dann musste ich mir eingestehen, dass ich meinen Traumjob nicht mehr schaffe, während meine Kollegen, die im Alter meiner Eltern sind, das ohne Probleme können.“
Endometriose-Erkrankte: „Ich gelte oft als Spaßbremse.“
Mittlerweile arbeitet sie im Labor. „Das tut meiner Gesundheit auf jeden Fall gut.“ Doch auch heute gebe es Tage, an denen sie nach vier Stunden „körperlich am Ende“ sei. Der Arbeitstag bringe sie meist so an ihre Grenzen, dass sie es nicht mehr schaffe, einzukaufen, den Haushalt zu machen, geschweige Freunde zu treffen.
Gender Health Gap
Medizin ist eine Männerdomäne. Medikamente werden vor allem an männlichen Versuchsgruppen getestet, auch bei Tierversuchen werden überwiegend männliche Mäuse eingesetzt – selbst bei Studien zu Krankheiten, die hauptsächlich Frauen betreffen. Obwohl es mit der Gynäkologie einen eigenen Bereich der Frauenheilkunde gibt.
Erst seit kurzem rückt ein neuer Ansatz in den Fokus der Forschung: die Gendermedizin. Die sogenannte „Geschlechtsmedizin“ berücksichtigt sowohl biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen als auch Faktoren wie gesellschaftliche Normen und Rollenklischees. Denn beide Punkte würden beeinflussen, wie eine Krankheit diagnostiziert und behandelt wird.
„Forschung wurde lange Zeit von Männern dominiert. Das hat sich so etabliert in der Wissenschaft und da ist sicherlich ein Umdenken nötigt“, fordert Wissenschaftlerin Ruth Grümmer, die zu Endometriose an der Uniklinik in Essen forscht.
„Ich gelte oft als die Spaßbremse, weil ich früher nach Hause gehen muss oder ganz absage, weil ich es nicht schaffe. Der Freundeskreis verändert sich durch die Krankheit sehr.“ Ihr Partner nehme „zum Glück“ viel Rücksicht auf ihre Erkrankung, die laut Wissenschaftlerin Grümmer häufig zu Schmerzen beim Sex führt und zu Schwierigkeiten, Kinder zu bekommen.
Unerfüllter Kinderwunsch durch Endometriose
„Als ich vor zwei Jahren die Diagnose bekam, war das Erste, was der Arzt nach der OP zu uns gesagt hat: Wenn sie einen Kinderwunsch haben, dann versuchen sie es besser heute als morgen. Und dann sitzt man da mit 25 und denkt: Kinder wollen wir schon irgendwann haben, aber jetzt passt es eigentlich gar nicht. Was machen wir jetzt?“ Die „Angst“ und der „Druck“, keine Familie gründen zu können, beschäftige sie noch heute täglich.
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Insgesamt sind 30 Prozent der Frauen, die eine Kinderwunschbehandlung machen lassen, an Endometriose erkrankt. Bei vielen von ihnen wird die Erkrankung erst dabei erkannt. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen“, sagt die 43-jährige Anika Arendt aus Essen, wenn sie an ihre Diagnose zurückdenkt.
Essenerin wird mehr als 30-mal operiert
Sie gibt nicht auf, versucht weiterhin schwanger zu werden – bis heute erfolglos. Um sich mit anderen Betroffenen austauschen zu können, hat sie vor einem Jahr eine Selbsthilfegruppe für Endometriose-Erkrankte in Essen gegründet. Mittlerweile treffen sich zehn Frauen regelmäßig, um sich gegenseitig zu unterstützen, Erfolge und Niederlagen zu teilen. Das Ziel: „Lebenslust statt Endofrust.“
Ein Ziel, das nur schwer zu erreichen ist, findet Betty. Die 58-jährige Essenerin leidet seit „Ewigkeiten“ an Endometriose und den Folgeschäden der Erkrankung. Sie wurde seit ihrer Diagnose mehr als 30-mal operiert. Entweder, um die Endometriose-Herde zu entfernen oder an einem der vielen „Nebenschaukriegsplätze“, wie sie es nennt. „Ich habe meinen Dickdarm verloren, bin erwerbsgemindert und seit neun Jahren voll aus dem Beruf raus. Dabei war ich immer ein Workaholic. Das macht was mit einem.“
Endometriose-Vereinigung fordert mehr Geld für Forschung
Umso „erschreckender“ finde sie es, dass sich seit ihrer OP-Diagnose vor 27 Jahren für Betroffene kaum etwas geändert habe. Dass die Krankheit meist erst so spät erkannt und bis heute oft nicht richtig behandelt werde, liegt laut Betty daran, dass „Patientinnen von Ärzten nicht ernst genommen werden und es unheimlich wenig Ärzte gibt, die sich überhaupt damit auskennen.“
In Deutschland gibt es laut Endometriose-Vereinigung rund 100 medizinische Einrichtungen, die sich auf die Krankheit spezialisiert haben. Neben einem Ausbau dieser sogenannten zertifizierten Endometriosepraxen fordert die Vereinigung mehr Homeoffice und Teilzeit-Krankschreibungen für Betroffene sowie mehr Geld für die Forschung. Die deutsche Regierung solle sich außerdem ein Beispiel am französischen Präsidenten Emmanuel Macron nehmen, der erst vor wenigen Monaten einen nationalen Plan gegen Endometriose gestartet hat.
Französischer Präsident Macron über Endometriose: „Das ist kein Frauenproblem.“
„Das ist kein Frauenproblem, das ist ein gesellschaftliches Problem“, sagte Macron. Damit habe er das Kernproblem der Erkrankung beschrieben, finden die drei Betroffenen aus Essen. „Würde Endometriose nicht nur Frauen betreffen, wäre es schon viel besser erforscht. Aber Medizin wurde schon immer am männlichen Körper getestet“, sagt Janine. „Dabei haben Männer ein ganz anderes hormonelles System.“
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Sie startet nun ihre zehnte Hormontherapie, die das Wachstum der Endometriose-Herde hinauszögern soll. Eigentlich wollte sie es nicht noch einmal versuchen, in der Vergangenheit habe sie sich durch die Nebenwirkungen der Hormone „zu einem anderen Menschen entwickelt.“ Doch nun nimmt sie erneut Stimmungsschwankungen und Müdigkeit in Kauf. „Schlimmer als es mir gerade mit der Endometriose geht, kann es kaum werden.“