Köln. „Männer“, sagt Thorsten Beyer, „leiden unter unerfülltem Kinderwunsch genauso wie Frauen. Sie sprechen nur viel seltener darüber.“ Er tut’s.
„Mit fast 40 führte ich ein Leben wie ein Endzwanziger“, erinnert sich der heute 43-jährige Kölner Thorsten Beyer. „Das lag allerdings daran, dass ich einfach keine Alternative hatte. Unsere Freunde bekamen Kinder, bauten Häuser, entwickelten sich weiter. Nur wir eben nicht.“ Dabei lief sein bisheriges Leben quasi unfallfrei: schöne Kindheit, Abitur, Studium, guter Job, dann lernte er auch noch die Frau fürs Leben kennen. Der Diplom-Kaufmann war glücklich, bis er unerwartet ausgebremst wurde – vom unerfüllten Kinderwunsch. „Wenn man es gewohnt ist, all die Erwartungen zu erfüllen, die das konventionelle Gesellschaftsbild an einen stellt, kommt man schlecht damit zurecht, wenn man plötzlich auf etwas so Wichtiges keinen Einfluss hat. Ich konnte machen und tun, kam aber nicht weiter.“
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Letztlich wendet sich das Paar an eine Kinderwunschklinik. Sieben Versuche scheitern (auf dem Buchcover durch nicht ausgefüllte Herzen symbolisiert), der achte ist erfolgreich (das ausgefüllte Herz auf dem Cover). Doch gerade, als beide der Familie die frohe Nachricht überbringen wollen, ist im Ultraschall kein Herzschlag mehr feststellbar. Sie haben das Kind verloren. „Unsere Fehlgeburt war der absolut schwerste Moment und tiefste Tiefpunkt meines gesamten Lebens. Objektiv betrachtet betrifft eine Fehlgeburt in den ersten zwölf Wochen jede dritte Frau. Subjektiv betrachtet war es für uns mit unserer Vorgeschichte ein absoluter Weltuntergang. Wir wussten nicht mehr, was wir tun sollten, und waren komplett am Boden zerstört.“
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Die Ärzte haben keine Erklärung, sie finden keine medizinische Begründung für das Schicksal der beiden. Eine Situation, die ihre Beziehung fast scheitern lässt. „Meine Frau fragte sich, wie es für sie weitergeht und ob der Kinderwunsch wichtiger sei als unsere Beziehung.“ Zur Entscheidungsfindung geht Tanja Beyer den Jakobsweg. „Als sie zurück kam, sagte sie mir, dass sie sich für mich entschieden habe und wir auch ohne Kind glücklich werden.“ Er selbst habe nie daran gedacht, seine Frau zu verlassen. „Als Mann tickt bei mir jedoch auch keine biologische Uhr. Das ist ein großer Vorteil.“
Doch auch ihn hatten die Enttäuschungen gezeichnet, die Hoffnung auf Nachwuchs war auf ein Minimum geschrumpft, er fühlte sich elendig. „Wir zogen einen Schlussstrich. Viel zu lange hatte es nur noch dieses eine Thema gegeben. Wir hatten verlernt, das Leben zu genießen.“ Nur eine letzte Option hielten sich die Eheleute offen: die Adoption. Sie informierten sich, nahmen an Seminaren teil, bewarben sich als zukünftige Eltern. Jahrelang ohne Ergebnis.
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Dafür trat endlich etwas Altbekanntes zurück in ihr Leben: die Freude! Nach all der Zeit konnte das Paar wieder lachen, feiern, glücklich sein. Gerade, als sie sich entschieden hatten, mit Zwergdackel „Oskar“ auch ein neues Familienmitglied in ihr Heim aufzunehmen, rief plötzlich das Jugendamt an. Weil Thorsten Beyer, strategischer Einkäufer einer großen Mediaagentur, in einer Telefonkonferenz saß, erreichte der Sachbearbeiter seine Frau Tanja. „Die Mitarbeiter sagten ihr, dass am Vortag ein Baby zur Welt gekommen sei und sie uns als Adoptiveltern vorgeschlagen haben. Bei Interesse bitte am Morgen um 8 Uhr ins Jugendamt. Wenn nicht, eben mailen. Das war die Aussage. Sie kam so plötzlich und aus dem Nichts, dass meine Frau total überrumpelt antwortete: ‚Aber wir wollten doch jetzt eigentlich einen Dackel.’ Wortwörtlich hat sie das gesagt! Darüber lachen wir heute noch.“
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Also fuhren beide am nächsten Tag mit dem Jugendamt ins Krankenhaus, betraten die Neugeborenenstation, und kurz darauf lag schon ein winziges, gerade zwei Tage altes Mädchen in den Armen von Tanja Beyer. „Ich habe sofort angefangen zu weinen, meine Frau war fast ein bisschen in Schockstarre“, erinnert sich Papa Thorsten. „Doch als unsere Tochter dann aufwachte und ihre Augen öffnete, schaute sie meiner Frau direkt ins Herz, und es war um sie geschehen.“
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Seitdem sind drei Jahre vergangen. Heute ist Thorsten Beyer das, was er immer sein wollte: Papa! „Unsere Tochter ist unser absolutes Traumkind. Wir sagen immer, dass wir sie besser nie hätten machen können. Sie sieht meiner Frau sogar so ähnlich, dass viele oft sowas sagen wie ‚ganz die Mama‘“, sagt Beyer und lacht. Mit dem Thema Adoption gehen die Eltern auch heute schon ganz offen um. „Unsere Tochter weiß zumindest, dass sie nicht bei der Mama im Bauch war. Später werden wir ihr das erklären.“
Anderen Männern mit unerfülltem Kinderwunsch rät Thorsten Beyer vor allem: „Sprecht darüber. Jeder leidet unter so einem Umstand. Warum also sollte man sich zusätzlich Ballast ans Bein binden und nicht darüber reden? Außerdem tut es gut zu merken, nicht allein zu sein. Kinderlosigkeit ist kein Zeichen von männlicher Schwäche.“
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Genau deshalb schrieb der Kölner auch sein Buch. Vor allem zum Kinderwunsch aus männlicher Sicht fand er selbst nämlich keinerlei Literatur, keine emotionalen Einsichten, mit denen er seine Gefühlslage hätte abgleichen können. „Ich möchte aufklären, trösten und berühren und Paaren Mut machen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.“ Verlagen war das Thema nicht kommerziell genug, weshalb Thorsten Beyer es in Eigenregie rausbrachte. „In kurzer Zeit habe ich eine mittlere dreistellige Zahl an Büchern verkauft. Das Interesse ist also da.“ Die Einnahmen will der Autor zum größten Teil an Selbsthilfegruppen spenden, der Rest soll für die Tochter angelegt werden.
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Ihm selbst fehlt schließlich nichts mehr zum Glück. „Früher war ich abends oft unterwegs, blieb lange aus. Heute bin ich einfach glücklich, wenn ich zu Hause bin und babysitte. Ich sitze auf der Couch, trinke ein Bier oder einen Wein und gucke belangloses Zeug, selbst wenn ich dafür ein Treffen meiner Kumpel verpasse. Dann bin ich eben mal nicht dabei, ich habe ja einen guten Grund – unsere kleine Tochter. Und deshalb geht es mir sehr, sehr gut.“
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Noch etwas hat sich im Leben des Vaters verändert: Er ist plötzlich ganz nah am Wasser gebaut. „Mittlerweile rollen mir bei den kleinsten Sachen, die mit Kindern oder tragischen Lebensgeschichten zu tun haben, die Tränen übers Gesicht. Manchmal so sehr, dass meine Frau mich schon veräppelt.“
Wie viele Tränen für die letzten Worte in seinem Buch fließen mussten, hat Thorsten Beyer nicht verraten. Es waren sicher einige. Und weil die Liebeserklärung einfach so schön ist, wollen wir sie auch den Lesern dieses Artikels nicht vorenthalten: „Meine liebe Tochter, Du kleines großes Wunder! Du bist das größte Geschenk, und jeden Tag bin ich dankbar, dass Du den Weg in unser Leben gefunden hast. Durch Dich dürfen wir bedingungslose Liebe erfahren. Danke, dass du jede einzelne Minute unseres Lebens bereicherst! In Liebe, Dein Papa.“