Bochum. „Zeit für mich selbst“: Das fehlt vielen Mamas – besonders während der Pandemie mit Homeschooling und Betreuung. Was Eltern zusammen tun können.

Mütter brauchen mehr Zeit für sich. Doch es fällt vielen schwer, sich eben diese Zeit zuzugestehen – und jetzt kommt der zweite Lockdown . Autorin und Bloggerin („Stadt, Land, Mama“) Lisa Harmann, Mutter dreier Kinder, hat mit ihrer Blog-Partnerin Katharina Nachtsheim deshalb gerade das Buch „Wow Mom – Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir“ veröffentlicht. Passend, denn aktuell droht vielen Müttern erneut, vom Ballast der zweiten Pandemiewelle überrollt zu werden.

Heulmomente zulassen können: Lisa Harmann, Mutter dreier Kinder, Autorin von „Wow Mom – Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir“ und von Deutschlands größtem Mutterblog „Stadt, Land, Mama“.
Heulmomente zulassen können: Lisa Harmann, Mutter dreier Kinder, Autorin von „Wow Mom – Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir“ und von Deutschlands größtem Mutterblog „Stadt, Land, Mama“. © Lisa Harmann

„Viele Jahre war es ganz selbstverständlich, dass mein Mann an Wochenenden wegfuhr, um jagen zu gehen. Teilweise blieb er vier Tage im Wald – und ich mit unserer ersten Tochter allein zu Hause “, erinnert sich Dreifachmama Pia aus Bochum. „Als ich dann zum ersten Mal vier Nächte wegen eines Yoga-Kurses verreiste, war das Kind bereits sechs Jahre alt. Ich hatte alles so organisiert, dass der Papa nur zwei Tage übernehmen musste, in der restlichen Zeit sprangen die Großeltern ein. Den Kühlschrank hatte ich gefüllt. Mein Mann hätte das vermutlich gar nicht gebraucht, ich tat das vor allem, weil ich es von mir selbst erwartete.“

Gesellschaftliche Erwartung hemmt Mütter, ihre Bedürfnissen zu leben

Einkaufen, putzen, Zeitpläne erstellen: Mütter zeigen leider viel zu oft das typische Phänomen, dass sie sich erst dann Ruhe gönnen, wenn alles andere abgearbeitet ist. „Unser Problem liegt darin, dass wir einem unerreichbaren Ideal hinterherhecheln“, sagt Autorin Lisa Harmann, und sie weiß wovon sie spricht. Selbst dreifache Mutter, lebt sie mit ihrem Mann, einer Tochter und den Zwillingssöhnen bei Köln.

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Einige Jahre nach der Geburt der Kinder sehnte auch sie sich nach mehr Ich und entschied, ihr Studium wieder aufzunehmen. „Das waren meine Mama-Auszeiten, weil ich so auf andere Gedanken kommen, mich mit einem anderen Thema beschäftigen oder auch mal wieder allein auf die Toilette gehen konnte. Dafür brauchte ich allerdings diesen äußeren Rahmen des Studiums, weil die Gesellschaft ja doch von einer Mutter verlangt, permanent für das Kind da zu sein. Wenn man aber verkündet, dass man studiert, gibt es dafür jede Menge Respekt. Sagt man, dass man jedes zweite Wochenende mit den Mädels feiert, wird man eher geächtet. Deshalb war das Studium mein Weg zu mehr Ich mit einem guten Gewissen.“

Wow Mom: Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim haben ein Mutmach-Buch geschrieben.
Wow Mom: Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim haben ein Mutmach-Buch geschrieben. © Krüger Verlag | Krüger

Heute hat Lisa Harmann dazugelernt und rät im Buch: Was die Gesellschaft erwarte, sollte Müttern zumindest erstmal egal sein. Viel wichtiger sei, dass es ihnen gut gehe. „Mütter dürfen egoistisch sein, auch wenn sie sich das in den ersten Jahren vielleicht noch gar nicht vorstellen können. Sie sollten die Lücken vor allem mit Dingen füllen, die sie glücklich machen.“

Auszeiten von der Familie: Mütter brauchen regelmäßig „Me Time“

So wie Gastautorin Svenja Struck aus Wiesbaden: Die Lehrerin und DJane (bloggt als Tante Kante bei Instagram) berichtet in „Wow Mom – Der Mama-Mutmacher für mehr ich in all dem Wir“ von ihrem ungewöhnlichen Lebensmodell. Sie nimmt sich nämlich immer wieder Auszeiten von ihrer Familie mit zwei Kindern und übernachtet dann in einem WG-Zimmer, das sie speziell dafür gemietet hat. Sie geht tanzen und feiern und nennt das ‚Urlaub für den Kopf‘.

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„Ich liebe meine Kinder, und wir haben eine tolle Zeit, aber mich erfüllt das Muttersein nicht gänzlich, und ich mache sehr viel für mich. Meine Töchter sollen eine Frau zum Vorbild haben, die sich nicht in ihrer Mutterrolle verliert, sondern eine ziemlich abwechslungsreiche Persönlichkeit mit Bedürfnissen ist. Sie sollen später ja auch mal für ihre Bedürfnisse einstehen und sich nicht völlig für etwas aufopfern. Denn Frau sein ist doch viel mehr als nur Muttersein!“

Die Autorinnen merkten: Auch anderen Müttern geht es genau so

Auch Schauspielerin Jasmin Gerat, Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy, Moderatorin und Autorin Laura Karasek und Kinderärztin Dr. Karella Easwaran kommen neben weiteren in dem Buch zu Wort. „Weil Mütter vor allem andere Mütter brauchen, die ganz ehrlich erzählen, was bei ihnen los ist“, erklärt Lisa Harmann.

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Viel zu oft werde in der Werbung oder auch auf Social Media suggeriert, dass Mama kurz nach der Geburt schon wieder sexy sein und gern auch Sex haben müsse. Dass die Wohnung nicht nur aufgeräumt, sondern auch super modern eingerichtet sein sollte, und dass die Mutter natürlich noch genug Zeit für die neuesten Bücher, Filme oder was auch immer haben müsse. „Im Grunde sind das alles Dinge, die einem mehr als 100 Prozent abverlangen und nicht erreichbar sind. Deswegen wollen wir den Druck nehmen, der aus diesen Perfektionsansprüchen kommt, und raten: Guck, was dir gut tut und handele danach. Was die anderen sagen, ist erstmal nur zweitrangig.“

Maaammaaaaaa!!!! Streitende Zwillinge von Lisa Harmann – das kann ganz schön an den Nerven zerren...
Maaammaaaaaa!!!! Streitende Zwillinge von Lisa Harmann – das kann ganz schön an den Nerven zerren... © Lisa Harmann

Mütter waren schon belastet: Und dann kam auch noch Corona

Dass es jedoch Entwicklungen gibt, die alle guten Vorhaben, alles Erlernte und jede neugewonnene Zeit über den Haufen werfen können, mussten die Autorinnen Anfang des Jahres am eigenen Leib spüren. Gerade hatten Sie die Idee für ihr aktuelles Buch mit dem Verlag festgezurrt, da knallte die Coronakrise in ihr und unser aller Leben . Für die beiden Frauen, die selbstständig von Zuhause aus arbeiten, übernahmen plötzlich Homeschooling und Home­kitaing jede freie Minute. „Weniger Ich in all dem Wir hatten wir seit der Babyzeit nicht mehr, der Lockdown glich quasi der Elternzeit, weil man komplett raus war aus der anderen Welt und den ganzen Tag mit dem eigenen Nachwuchs verbrachte.“

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Lisa Harmann beschulte ihre drei Gymnasialkinder im täglichen Einzelunterricht: „Das heißt, ich habe von morgens an nur mit den Kindern gesessen und hatte abends immer noch das Gefühl, nicht genug geschafft zu haben. Ich fühlte mich gestresster denn je und war ärmer denn je, weil ich ja keine Aufträge mehr annehmen konnte. Es fühlte sich so richtig schlecht an, ein Ungleichgewicht, das kaum auszuhalten war.“

Corona-Zeiten: Notfallbetreuung wird wenig genutzt

Damit stand Harmann nicht alleine da: Eine Corona-Studie der Uni Mannheim zeigt, dass Anfang des Jahres 93 Prozent aller Eltern ihre Kinder zu Hause betreuten. Weniger als zwei Prozent mit Nachwuchs im Kita- und Grundschulalter nutzten die Notfallbetreuung. Sprangen vor der Pandemie in acht Prozent der Familien die Großeltern regelmäßig ein, passierte dies nur noch bei 1,4 Prozent: Risikogruppe!

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Bei der Verteilung der Kinderbetreuung im Haushalt zeigt sich, dass in der Hälfte der Fälle Frauen allein dafür zuständig waren und nur zu je einem Viertel die Betreuung entweder von beiden Partnern oder ausschließlich vom Mann übernommen wurde. Die Studie zeigt auch, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen die allgemeine Lebenszufriedenheit bei stark gestiegener Belastung signifikant niedriger ausfiel, insbesondere in Bezug auf Freizeit und Familienleben.

Mütter sind mehr als reine Bedürfniserfüllungsmaschinen

Vor einem zweiten Corona-Lockdown hat Lisa Harmann deshalb auch großen Respekt: „Ich bin ein sozialer Mensch und brauche meine Leute. Ich ziehe wahnsinnig viel Kraft aus Treffen mit Freunden. Wenn die also wieder wegfielen, wäre ich nur noch die Bedürfniserfüllungsmaschine hier zu Hause. Ich fühlte mich im Frühjahr auch wirklich von der Politik im Stich gelassen, weil gar nicht gesehen wurde, was Eltern in dieser krassen Phase geleistet haben. Diese Zeit war einfach eine Katastrophe, sowohl für Kinder als auch für Eltern , und leider hege ich wenig Hoffnung, dass es beim nächsten Lockdown besser laufen könnte.“

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Mit dem Mann in einem systemrelevanten Beruf und einem nicht verschiebbaren Abgabetermin für das Buch musste eine Lösung her, die es Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim (hat auch drei Kinder) ermöglichte zu schreiben. „Das Buch war meine Rettung“, sag Harmann. Denn ihr Mann übernahm freitags und samstags die Kinder komplett. „Tatsächlich ist der Respekt voreinander in dieser Zeit gewachsen. Er stand nach seinen Tagen so oft vor mir und sagte ‚Ich weiß nicht, wie du das schaffst. Ich würde durchdrehen’. Aber ich bin ja auch teils durchgedreht“, gibt die Autorin ganz offen zu.

Die Rolle der Väter? Beim nächsten Wutanfall einfach das Kind schnappen und mit auf den Spielplatz nehmen, damit Mama mal durchatmen kann.
Die Rolle der Väter? Beim nächsten Wutanfall einfach das Kind schnappen und mit auf den Spielplatz nehmen, damit Mama mal durchatmen kann. © Shutterstock/Jacob Lund | Jacob Lund

„Ich brauche meine Heulmomente“: Wie Mamas Dampf ablassen können

Passend und sehr ehrlich zeigt sie im Buch ein Foto von sich, auf dem sie komplett verheult aussieht (Titelseite). Nach einem Tag, an dem wieder einmal alles zu viel wurde. „Ich habe auch unabhängig von Corona mal kleinere oder größere Zusammenbrüche in meiner Mutterschaft. Als Mama bin ich sehr authentisch, und meine Kinder sehen mich deshalb auch schon mal weinen. So lief auch der Tag auf dem Foto. Ich vergleiche die Situation gern mit einem Computer, auf dem zu viele Tabs geöffnet sind.

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Irgendwann stürzt der ab, und so geht es mir auch, wenn zu viele Anforderungen auf mich einprasseln. Dann kann ich nicht mehr und brauche einen kleinen Heulmoment, um wieder zu mir zu kommen, und auch, um den anderen zu zeigen, was sie mir da gerade zugemutet haben.“ So authentisch zu sein, ist auch das Konzept der Bücher. Damit wollen Harmann und Nachtsheim Mütter entlasten und ihnen den Druck nehmen, indem sie zeigen, dass es auch bei anderen mitunter chaotisch zugeht.

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Hilfe vom Ehemann, von den Großeltern oder auch der besten Freundin, sagt Lisa Harmann, sollten Mütter deshalb – Corona hin oder her – einfordern, weil sie sonst einfach von all den Aufgaben, die auf sie zukommen, überfahren würden. „Und als Mama darf man auch wirklich mal verzweifeln. Das gehört dazu. So wie mit einem Kind das Glück in unser Leben knallt, knallt auch die Verzweiflung mit rein. Die Emotionen sind eben in alle Richtungen extremer.“

>>> Zehn Tipps für Väter:

1. Statt „Was gibt’s zum Abendessen?“ zu fragen, einfach mal mit einem Candle-Light-Döner um die Ecke kommen.
2. Der Liebsten immer mal wieder Zeit statt Gedöns schenken: „Mach du dir nen schönen Tag, ich regele hier alles.“
3. Ihren Job , auch wenn sie im Homeoffice und/oder selbstständig arbeiten sollte, genauso wichtig nehmen wie den eigenen – und die Kindkranktage gerecht teilen.
4. Bevor Besuch kommt: selbst Einkäufe , Kochen und Wohnungsputz übernehmen.
5. Notfalls schriftlich festhalten, wer wann mit der Kinderbetreuung dran ist. Jeder braucht mal Zeit ohne Verantwortung .
6. Mädelsabende nicht mit „Schon wieder?“ kommentieren, besser: „Go for it, Baby“.
7. Für gemeinsame Ausgeh-Abende selbst die Babysitterin organisieren.
8. Beim nächsten Wutanfall einfach das Kind schnappen und mit auf den Spielplatz nehmen, damit Mama durchatmen kann.
9. Niemals die Frau in ihr übersehen. Post-it-Zettel mit Komplimenten am Spiegel können Wunder wirken.
10. Mut machen, auch ihr eigenes Ich nicht zu vernachlässigen und ihr Leben auch außerhalb von Kindern und Beziehung weiterzuleben, denn: Happy wife, happy life!

Mehr Ich in all dem Wir

Lisa Harmann und Katharina Nachtsheimer , beide 38, haben zusammen sechs Kinder und betreiben Deutschlands größten Elternblog „Stadt Land Mama“. In ihrem neuen Buch beschreiben sie, was es braucht, damit Mütter im Familientrubel nicht untergehen und sich zwischen Fürsorge und Loslassen selbst verlieren. Mit Gastbeiträgen von Ildikó von Kürthy, Herbert Renz-Polster, Jasmin Gerat, Laura Karasek, Teresa Bücker, Stefanie Stahl und vielen mehr. Das Buch (304 Seiten) erscheint im Fischer-Verlag und kostet 16,90 Euro.

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