Düsseldorf. Unsere beliebtesten Plus-Texte, heute: Wie zwei Väter mit der Toniebox die Hörspiel-Welt auf den Kopf stellen.
Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 20. Oktober erschienen.
Patric Faßbender war es leid. Auf den Kinder-CDs seiner Töchter befanden sich überall Kratzer. Ständig kam ein Stottern aus den Lautsprechern und Faßbender musste wieder die Vorspultaste drücken. Der Düsseldorfer überlegte, wie die beiden Kleinen ihre Hörspiele ohne Zwischenfälle genießen könnten.
Die damals Fünfjährige mit der Dreijährigen vor ein Tablet zu setzen, das war keine Alternative. „Ich habe im Internet gesucht und festgestellt, dass es kein kindgerechtes Abspielgerät gab“, erzählt Faßbender. Eines Abends betrachtete er seine Foxterrier-Figur aus dem Comic „Tim und Struppi“. Warum sollte dieser Hund nicht auch als Speichermedium dienen, dachte sich Faßbender.
Geburt der Toniebox: Die Erfolgsgeschichte beginnt nachts
Er schrieb nachts eine Mail an Marcus Stahl. Die beiden Männer kannten sich durch die Vorstandsarbeit in einer Kindergarten-Initiative. Faßbender besuchte Stahl in seinem Büro und brachte einen Prototyp in Boxform mit. Gemeinsam planten sie die nächsten Schritte.
Stahl war damals Ingenieur bei einem Telekommunikationskonzern, brachte so seine technische und wirtschaftliche Expertise ein. Faßbender verdiente sein Geld als Grafik-Designer in einer Werbeagentur. Er war der kreative Kopf.
Die Erfindung aus Düsseldorf ist ein Welterfolg
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Das Treffen in Faßbenders Büro liegt nun sieben Jahre zurück. Ihre alten Berufe haben die Männer längst aufgegeben. Und ihre Erfindung ist nun ein Welterfolg: die Toniebox. Mit diesem Würfel sorgten sie für eine Revolution auf dem Spielwarenmarkt.
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Im Oktober 2016 kam das innovative Abspielgerät in de
n Handel. Bei den Branchenkennern herrschte Skepsis. Doch Faßbender und Stahl glaubten an den Erfolg der Toniebox. Bis zum Weihnachtsgeschäft verkauften sie 35.000 Exemplare – viel mehr als sie kalkuliert hatten.
Immer noch Kindergarten-Papas statt Top-Manager?
Vier Jahre später ist bereits die Zwei-Millionen-Marke erreicht. Hinzu kommen 20 Millionen verkaufte Figuren. Das Unternehmen Boxine ist gewachsen. Zum Start hatten Faßbender und Stahl zwölf Mitarbeiter – nun sind es 200. Und für das Jahr 2020 erwarten die beiden Geschäftsführer einen Umsatz von circa 140 Millionen Euro.
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Faßbender und Stahl geben sich trotz der Erfolge nicht wie Top-Manager. In ihrem Innersten sind sie weiterhin die Kindergarten-Papas, die einfach eine richtig gute Idee hatten. Faßbender ist vor kurzem 50 Jahre alt geworden, Stahl ist 53. Die beiden Firmengründer wirken aber jünger. Das liegt vermutlich an ihrem Umfeld.
Die Box-Zentrale in Düsseldorf ist voll mit Kinderfiguren
In der Boxine-Zentrale, die sich in einem Düsseldorfer Hinterhof befindet, wimmelt es von Kinderfiguren. Räuber Hotzenplotz ist da, Benjamin Blümchen, das Sandmännchen und auch der Drache Kokosnuss. Sie alle haben einen NFC-Chip. Über diese Technologie kommuniziert die Figur mit der Box. Den Inhalt des Hörspiels lädt der Nutzer aus einer Cloud herunter und kann es auf dem Endgerät speichern. Über zwei Ohren lässt sich die Lautstärke regeln.
Die Bedienung ist kinderleicht. Marcus Stahl gibt aber zu, dass in der Entwicklungsphase nicht alles so reibungslos gelaufen ist. „Wir mussten kurz vor Markteintritt die Software auch noch mal neu schreiben, damit sie perfekt funktioniert“, sagt er und ergänzt: „Dann haben wir Monate gebraucht, um den nachhaltig produzierten Kunstlederüberzug für die Box aus einem Stück anzufertigen.“ Von Problemen wollen sie aber nicht sprechen. „Es ging eher darum, Hürden zu überwinden“, sagt Faßbender.
Großer Erfolg: Disney-Konzern soll helfen, in USA Fuß zu fassen
Zu den Aufgaben der Toniebox-Erfinder gehört auch der Einkauf von Lizenzen. Da haben die Düsseldorfer nun einen großen Partner ins Boot geholt: den Disney-Konzern. Mit Boxine wollten sie in den USA Fuß fassen. Da in einem Kinderzimmer in Texas niemand etwas mit Räuber Hotzenplotz anfangen kann, mussten für diesen Markt andere Figuren her. Und so stehen mittlerweile auch Aladdin, Arielle oder Balu auf Tonieboxen.
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Faßbender und Stahl entwickeln ihre Erfindung auch immer weiter. Da sie nicht für jede der rund 150 Benjamin-Blümchen-Folgen eine neue Figur produzieren lassen können, gibt es nun eine Audiothek. Mit ihr können Nutzer ihre eigene digitale Sammlung anlegen und sich neue Folgen für ausgewählte Tonies downloaden.
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Hörspielrehen von „Benjamin Blümchen“ bis zu „Die drei Fragezeichen“
Es ging los mit den drei Serien „Benjamin Blümchen“, „Bibi und Tina“ sowie „Bibi Blocksberg“. Mittlerweile sind weitere neun Hörspielreihen dazugekommen, darunter „Pettersson und Findus“, „Die Olchis“ – und in Kürze „Die drei Fragezeichen“.
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Neben der Audiothek entwickelte das Unternehmen auch die Kreativ-Tonies. Es sind Hörfiguren ohne Inhalt, die aber mit Geschichten, Musik oder eigenen Inhalten bespielt werden können. Faßbender und Stahl haben von Großeltern gehört, die ihre Enkel in der Coronazeit nicht besuchen können. Das Vorlesen vorm Schlafengehen fiel aber nicht aus – dank der Toniebox.
Die drei ???
Hast du Töne? Dass hinter der Namensgebung für die „Tonies“ ein bisschen Biografie steckt, liegt nahe. Tatsächlich heißt die erste Tochter von Patric nämlich „Toni“. Weil es aber noch ein zweites Mädchen gab, das sich nicht zurückgesetzt fühlen sollte, und man der Box ja nun schlecht einen Doppelnamen geben konnte, verlegten sich die Macher auf diese sinnige Herleitung: Das inneliegende Wort „Ton“ spielt auf das an, was drin steckt!
Das Toniebox-Starterset mit einem Kreativ-Tonie kostet 77,95 Euro. Kommenden Mittwoch bringt das Unternehmen eine Drei-Fragenzeichen-Sonderedition für 99,95 Euro auf den Markt. Der Preis für eine Tonie-Figur liegt bei 14,59 Euro. Auf tonies.de gibt es das ganze Angebot in der Übersicht.
Mein erster Job:
Marcus Stahl (53): Ich stamme ursprünglich aus Krombach. Bei uns im Ort gab es damals eine Anhänger-Firma. Als 15-Jähriger habe ich dort Anhänger im Akkord zusammengeschraubt. Es gab 10 D-Mark die Stunde. Von dem ersten Geld habe ich mir Equipment für meine Lautsprecher-Anlage gekauft.
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Patric Faßbender (50): Mein Vater hatte eine Getriebebaufirma. Da habe ich auch während der Schulferien gejobbt. Der Stundenlohn betrug 10 D-Mark. Im Sommer stand eine Reise nach Japan an. Und meine Eltern wollten nicht alles dafür zahlen. Deshalb habe ich mein verdientes Geld dazu beigesteuert.
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