Bochum. Obdachlose in NRW werden zunehmend im Schlaf angegriffen und bestohlen. Hilfe kommt von der Ruhr Uni Bochum – in Form einer kleinen Alarmanlage.
Sie sind überall in unseren Städten. Eigentlich unübersehbar. Und doch sind die gut 25.000 Obdachlosen in NRW für viele so gut wie unsichtbar . Tags sitzen sie mit leeren Kaffeebechern oft traurig auf dem kalten Pflaster der Fußgängerzonen des Reviers oder vor den Hauptbahnhöfen , nachts sieht man sie manchmal zusammengekauert, eingemummt in Schlafsäcke in Geschäftseingängen schlafen.
Wer an ihnen vorbeigeht und einen Euro oder zwei für sie übrighat, der denkt zunächst daran, dass all die Obdachlosen es jetzt in den kalten Winternächten ein bisschen warm haben sollten – und dass sie etwas essen müssen. Denn eines ist klar: Alles, was sie haben, tragen sie in ein paar Taschen mit sich durch die Gegend.
Obdachlose in NRW werden zunehmend im Schlaf bestohlen
Genau das ist in den vergangenen Jahren zunehmend zum Problem geworden: Denn auch wer wenig hat, kann alles verlieren. Obdachlose werden mittlerweile immer öfter im Schlaf bestohlen – was für sie mitunter lebensbedrohlich werden kann.
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„Die Diebstähle werden immer dreister. Das geht vom ,normalen‘ Taschenklau bis zum Anzünden der Sachen“, sagt Andi (Name geändert), ein 35-Jähriger, der in Wuppertal Platte macht, schon seit ein paar Jahren auf der Straße lebt und dessen Gesichtszüge deutlich davon gezeichnet sind. Als wäre eine solche Tat gegenüber den Schwachen der Gesellschaft nicht schon schlimm genug, überraschend ist, wer die Täter sind: „Das nimmt nicht nur unter den Obdachlosen zu. Das Gros, das sind die Otto-Normal-Bürger“, berichtet Andi.
Warnung vor Übergriffen: Alarmanlage von der Ruhr Uni Bochum
Diebstähle an Obdachlosen – an diesem Punkt haben Studierende der Ruhr-Uni Bochum nun angesetzt – und eine Alarmanlage für Obdachlose gebaut, die mit möglichst einfachen Komponenten einen hoffentlich sehr effizienten Schutz vor solchen nächtlichen Übergriffen gewährt. Angeleitet von ihrem Professor Christoph Baer (35) haben vier Studierende im „Master-Projekt Humanitäre Technik“ an einer Lösung für den nächtlichen Taschenklau gearbeitet.
Und das Ergebnis sieht zwar verblüffend einfach aus, ist aber genau auf die Bedürfnisse der Obdachlosen zugeschnitten. Ein Metallzylinder, an dem auf der einen Seite ein Druckschalter das Scharfstellen und Abschalten der Alarmanlage ermöglicht, auf der anderen Seite ist ein rotes Kabel befestigt. „Mit diesem dünnen Kabel kann der Obdachlose seine Habseligkeiten verschnüren“, beschreibt Christoph Baer.
Kleiner Helfer: Per Knopfdruck die Alarmanlage auslösen
„Ist das Kabel eingesteckt, kann der Alarm auf Knopfdruck scharfgestellt werden. Wird das Sicherungskabel gewaltsam herausgezogen oder durchtrennt, ertönt der Alarm . Das erschreckt hoffentlich den Dieb, weckt den Obdachlosen und erregt das Interesse der Passanten.“ Betrieben wird das Ganze von einer einfachen Batterie, Laufzeit bis zu neun Jahre.
Baer demonstriert es – und tatsächlich geht erstmal kein allzu lauter Alarmton los: „Es reicht aber, um den Obdachlosen aufzuwecken “, sagt der Professor für Elektro- und Informationstechnik. Ob das ausreicht und wie es sich im Ernstfall bewährt, wird sich auf der Straße erweisen. Im Dezember startet ein Feldversuch mit zunächst 20 Geräten, die von Hilfsorganisationen kostenlos an Obdachlose verteilt werden. Eine von ihnen ist der „Unsichtbar e.V.“ mit Sitz in Ennepetal. Die Mitarbeiter waren auch an der Entwicklung des neuen Obdachlosen-Alarms beteiligt.
Gar nicht lustig: Obdachlose im Schlaf beklauen
„Anfang des Jahres habe ich auf Facebook den ,Unsichtbar e. V.’ entdeckt und fand ganz toll, was sie machen. Ich habe sie dann eingeladen zu einem Gedankenaustausch . Und dann erzählten sie ganz viele Dinge, unter anderem von Obdachlosen, die nachts beklaut werden, manchmal sogar von Partygängern, die es einfach lustig finden, diesen Menschen ihre Sachen wegzunehmen“, erzählt Baer.
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Er engagiert sich ohnehin für humanitäre Projekte und ist auch für die Special Interest Group on Humanitarian Technology (Sight) aktiv, die zu einem Ingenieursverband gehört und global wie lokal Projekte anstößt.
„Noch nicht mit Problemen von Obdachlosen auseinandergesetzt“
Jannik Mertin (25) wiederum gehört zu den Studierenden , die das Gerät mitentwickelt haben: „Ich bin durch den Mailverteiler in unserer Fakultät darauf aufmerksam geworden, hatte mich aber vorher noch nicht mit den Problemen von Obdachlosen auseinandergesetzt . Diese Themen waren für uns zunächst sehr neu.“
Das Ergebnis ist vielversprechend: „Ich freue mich, wenn ich diese Alarmanlage bekomme und sie ausprobieren kann“, sagt der Obdachlose Andi. Denn je länger man da draußen lebt, desto gefährdeter ist man – trotz aller Erfahrungen: „Am Anfang auf der Straße, da schläft man noch sehr leicht, da wird man noch von jedem Geräusch wach. Aber im Laufe der Zeit wird der Schlaf immer fester und tiefer. Und deshalb kriegt man nicht mehr alles mit“, sagt der Obdachlose.
Eigene Probleme erscheinen klein
Die Belange von Obdachlosen sind in unserem reichen Land deutlich unterrepräsentiert – und die Not ist groß. Andreas Steinhof (35) von „Unsichtbar e.V.“ geht seit über einem Jahr nachts raus zu den Betroffenen : „Wenn ich nur bei mir anfange: Das erdet einen unheimlich. Wenn ich abends so rausgehe und nachts nach Hause komme, dann sehe ich mal, wie klein meine eigenen Probleme eigentlich sind. Dass es eigentlich alles Luxusprobleme sind.“
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Wenn sich der Alarm als praxistauglich erweist, wird an der Ruhr-Uni eine Kleinserie von 200 Stück gebaut und kostenlos verteilt. Und die Baupläne werden offen ins Internet hochgeladen, so dass alle Interessenten selbst aktiv werden können.
Und da die Studierenden schon mal beim Entwickeln von lebenserleichternden Geräten für Obdachlose waren: Eine portable Mini-Heizdecke, um den Schlafsack in der Nacht von innen aufzuwärmen, haben sie auch entwickelt. Das etwas mehr als handtellergroße Gerät wird von einem USB-Powerpack betrieben – kein Heizwunder, aber genug, um in einer kalten Nacht für acht Stunden etwas überlebensnotwendige Wärme zu spenden.
>>> Helfer in den kalten Nächten
Deutschlandweit leben schätzungsweise 678.000 Menschen ohne Wohnung . Vereine wie der „Unsichtbar e.V.“ versuchen, ihnen zumindest die grundlegendste Hilfe zu bieten . Sei es finanziell, sei es durch Lebensmittel – oder ganz einfach zwischenmenschlich durch das Anhören ihrer Sorgen und Probleme.
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„Hinschauen, ernstnehmen und helfen – das ist unser gelebtes Motto. Nicht urteilen – machen!“, zitiert „Unsichtbar“-Sprecher Andreas Steinhof den Grundsatz des Vereins. Wer den Mitarbeitern und vor allem den Obdachlosen helfen möchte, findet auf den Internetseiten der verschiedenen lokalen Initiativen, so natürlich auch bei unsichtbar-ev.de, die richtigen Informationen.
Die Mitglieder von „Unsichtbar“ wollen nicht nur den von Obdachlosigkeit Betroffenen helfen – was nie über den Kopf erfolgt, sondern immer gemeinsam. Es soll auch in der Bevölkerung die Sensibilität für die Probleme von Menschen, die auf der Straße leben , geschärft werden. Denn durch eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz wird für sie das Leben ein bisschen leichter.
Eine andere private Initiative für Obdachlose ist der Dortmunder „ Wärmebus “, der auch auf Spendengelder angewiesen ist. Solche Busse, die den Obdachlosen vor Ort Beistand leisten, gibt es in vielen Städten. In Düsseldorf ist es der „Gute-NachtBus“ (gute-nacht-bus.de), bei dem man per Online-Formular spenden kann.