Essen. . Thyssen-Krupp kommt nicht zur Ruhe. Eine überraschende Verschiebung der Bilanzvorlage sorgt beim angeschlagenen Essener Stahl- und Technologiekonzern für Wirbel. Womöglich steht das Unternehmen allerdings vor dem lang ersehnten Befreiungsschlag.
Es ist ungewöhnlich für einen DAX-Konzern, kurzfristig die Bilanzvorlage zu verschieben. Bei Thyssen-Krupp wird die Ausnahme fast schon zur Routine. 2012 hatte das Unternehmen die Bilanz vorgezogen, weil gleich drei Vorstände ihren Hut nehmen mussten.
Im Jahr zuvor hatte die Terminverschiebung mit Milliardenverlusten zu tun. Diesmal allerdings dürfte die überraschende Absage der eigentlich für Donnerstag geplanten Pressekonferenz mit einer positiven Entwicklung zu tun haben. Konzernchef Heinrich Hiesinger hofft wohl auf den lang ersehnten Befreiungsschlag – trotz aller Risiken, die bleiben.
Seit Monaten arbeitet das Management an einem Verkauf der verlustreichen Auslandsstahlwerke in Brasilien und in den USA. Nun zeichnet sich zumindest ein Verkauf des Stahlwerks in Calvert (Alabama) ab. Es könnte eine Teillösung für die Probleme von Thyssen-Krupp sein.
Auch interessant
Es gebe „exklusive Verhandlungen“, teilte das Unternehmen offiziell mit. Dem Vernehmen nach greift womöglich ein Konsortium um den Weltmarktführer Arcelor-Mittal zu. „Ein erfolgreicher Abschluss der Transaktion ist zurzeit noch offen“, räumte Thyssen-Krupp allerdings ein.
Heinrich Hiesinger gewinnt zunächst einmal Zeit
Doch das Wörtchen „exklusiv“ deutet darauf hin, dass sich die Gesprächspartner auf der Ziellinie befinden. Beobachter wie der Analyst Marc Gabriel vom Bankhaus Lampe rechnen nicht mit weiteren Abschreibungen. Diese milliardenschweren Wertberichtigungen hatten den Konzern in der Vergangenheit tief in die roten Zahlen gedrückt.
Rund zwölf Milliarden Euro hat das Fehlinvestment aufgefressen – drei Milliarden mehr als der Konzern heute an der Börse wert ist. Die Übersee-Stahlwerke stehen derzeit noch mit rund 3,4 Milliarden Euro in den Büchern.
Das Stahlwerk in Brasilien, in dem immer wieder Probleme aufgetaucht waren, soll wohl vorerst bei Thyssen-Krupp bleiben, gleichzeitig könnte es allerdings einen langfristigen Liefervertrag für Stahlbrammen aus dem Werk geben, „wodurch eine wertsichernde Lösung für das brasilianische Stahlwerk erreicht würde“, wie Thyssen-Krupp formulierte.
Hiesinger gewinnt damit Zeit, um auch das brasilianische Werk zu akzeptablen Bedingungen verkaufen zu können. Die langfristige Abnahme von Brammen macht das Geschäft enorm kompliziert. Offenbar hat sich der Minderheitsgesellschafter Vale im Jahr 2009 im Gegenzug zur Aufstockung seiner Anteile auf 27 Prozent sehr langfristige Abnahmegarantien in die Verträge schreiben lassen.
Viele Baustellen von Thyssen-Krupp sind bereits geschlossen
Ursprünglich hatte Hiesinger beide Auslandsstahlwerke zum Verkauf gestellt. Doch die Gespräche mit potenziellen Käufern gerieten zu einer Zitterpartie. „Wir sind nicht erpressbar“, hatte Hiesinger unlängst im Gespräch mit dieser Zeitung betont. „Wenn die Bedingungen zu schlecht sind, werden wir es auch ertragen, dass wir nicht verkaufen.
Auch interessant
Das streben wir nicht an, aber wir haben auch keine Angst davor.“ Wegen der laufenden Verhandlungen zum Verkauf des Werks in Alabama hat Thyssen-Krupp die Aufstellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2012/13 bis zum 2. Dezember verschoben. An diesem Tag will Hiesinger in der Essener Firmenzentrale Rede und Antwort stehen.
Da der Konzern nun auch weitgehend das Thema Schienenkartell finanziell verarbeitet hat, könnte der Vorstandschef in zwei Woche Vollzug bei der Bereinigung der meisten Baustellen melden. Selbst wenn das Werk in Brasilien weiter im Konzern bleibt, gäbe es wohl ausreichend Klarheit, um die erwartete Kapitalerhöhung anzukündigen. Somit wird die Bilanzvorlage gewiss eine der bedeutsamsten in der Geschichte des Technologie-und Stahlkonzerns.
Analyst Gabriel wertete die Nachricht vom möglichen Verkauf positiv. Gleichwohl verlor die Aktie ein halbes Prozent.