Berlin. . Interview mit dem Europarechtler Franz Mayer über die möglichen Folgen des anstehenden Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Euro-Rettungsschirm. Mayer glaubt, dass die Karlsruher Richter den ESM im Einklang mit dem Grundgesetz sehen.

Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht über mehrere Klagen gegen den europäischen Fiskalpakt und den Rettungsschirm ESM. Über mögliche Folgen des Urteils sprach Hannes Koch mit Franz Mayer (44), der als Professor für Europa- und Verfassungsrecht an der Universität Bielefeld lehrt und den Bundestag bei EU-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hat.

Die Kläger gegen Fiskalpakt und ESM meinen, künftig könne der Bundestag sein verfassungsgemäßes Budgetrecht nur noch eingeschränkt ausüben. Was würde passieren, wenn sie Recht bekämen?

Franz Mayer: Der Fiskalpakt könnte juristisch zwar auch ohne Deutschland in Kraft treten. Und die Bundesregierung hätte die Möglichkeit, die jährliche Neuverschuldung trotzdem auf 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu verringern – entsprechend dem Vertrag, aber freiwillig. Jedoch würde vom Fiskalvertrag ohne den entscheidenden Akteur kein kraftvolles politisches Signal gegen die Krise ausgehen.

Das Vertrauen der Investoren in die Eurozone nähme weiter ab, die Zinsen für Spanien und Italien stiegen, Europa bräuchte noch mehr Rettungskapital. Dieses aber würde fehlen, wenn das Verfassungsgericht auch den ESM scheitern ließe.

Mayer: Ohne die Mitwirkung Deutschlands kann der ESM das notwendige Kapital nicht einsammeln. Er wäre nicht arbeitsfähig. Schon eine zeitliche Verzögerung durch weitere Prüfungen des Verfassungsgerichtes würde zu massiven Problemen führen. Die Euro-Zone hat dann ziemlich bald zu wenig Geld, um weitere Hilfen zu leisten. Die Krise könnte sich enorm verschärfen. Professionelle Investoren würden ihre europäischen Staatsanleihen abstoßen und die Privatleute ihre Konten bei den Banken räumen. Es käme zu Panikreaktionen, auch bei uns.

Das Verfassungsgericht legt großen Wert darauf, dass der Bundestag sein Budgetrecht ausüben kann. Wird dieses durch den europäischen Fiskalvertrag nicht über Gebühr eingeschränkt?

Mayer: Ich vermute, die Richter werden diese Ansicht der Kläger zurückweisen. Denn der Bundestag hat sein Budgetrecht ja schon längst selbst eingeschränkt, indem er die Schuldenbremse im Grundgesetz verankerte. Diese funktioniert ganz ähnlich wie der Fiskalpakt. Das Entscheidende ist, dass der angebliche Haushaltssouverän dies ohne den Bundesrat, das Organ der Länderexekutiven, nicht mehr ändern kann. Das Königsrecht des Bundestages ist an diesem Punkt also schon weg.

Und wie sieht es mit dem ESM aus?

Mayer: Auch dabei wird das Verfassungsgericht wohl keinen Konflikt zum Haushaltsrecht des Bundestages erkennen. Über einen ähnlichen Rettungsschirm, den EFSF, haben die Richter ja 2011 geurteilt, dass er mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Davon unterscheidet sich der ESM nicht grundsätzlich.

Könnte der Bundestag denn verhindern, dass der ESM beispielsweise Spanien Kredite gibt?

Mayer: Natürlich. Bevor Finanzminister Schäuble oder sein Vertreter im Gouverneursrat des ESM finanzieller Unterstützung für ein Land zustimmt, muss er den Bundestag informieren und fragen. Wenn das Parlament „Nein“ sagt, gibt es kein Geld. Die Haushaltsautonomie und auch die Rechte der Bundesbürger sind damit gewahrt. Ob eine solche Weigerung politisch und ökonomisch durchzuhalten wäre, ist aber eine andere Frage.

Sie meinen, die Verfassungsrichter werden die Klagen zurückweisen?

Mayer: Vermutlich werden die Richter grundsätzlich bestätigen, dass Fiskalpakt und ESM verfassungskonform sind, aber noch ein paar zusätzliche Sicherheiten fordern. Bei wichtigen Änderungen des ESM-Vertrages, etwa der Erhöhung des Finanzvolumens, könnten sie ein Zustimmungsgesetz nach Artikel 23 des Grundgesetzes und eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat verlangen. Die Zustimmung des Bundestagsplenums würde dann nicht mehr ausreichen.