Karlsruhe. Das mit Spannung erwartete Urteil des Verfassungsgerichts über die Massenklage gegen Euro-Rettungsschirm und Fiskalpakt droht sich zu verzögern: Der CSU-Politiker Peter Gauweiler hat in Karlsruhe einen neuen Eilantrag eingereicht und will so eine Verschiebung des Verkündigungstermins erreichen.
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hat beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag gegen das von der Europäischen Zentralbank (EZB) angekündigte unbegrenzte Anleihen-Aufkaufprogramm eingereicht. Gauweiler, der bereits gegen den Euro-Rettungsschirm ESM geklagt hatte, stellte den Eilantrag mit Blick auf das am Mittwoch erwartete ESM-Urteil.
Der europapolitische Sprecher der CDU, Michael Stübgen, gibt dem Vorstoß aber keine Chancen. Der Unions-Fraktionschef Volker Kauder warnte in der "Bild"-Zeitung davor, dass die Unabhängigkeit der EZB durch ihre Bindung an politische Entscheidungen über Hilfsprogramme "ein wenig in Frage gestellt" sei.
Gauweilers Kritikpunkt ist dagegen, dass unlimitierte Ankäufe der Notenbank demokratische Entscheidungen unterliefen. "Der ESM - sofern er überhaupt verfassungskonform ist - soll nur in Kraft treten können, wenn die EZB ihre Selbstermächtigung zu einem Hyper-Rettungsschirm zurückgenommen hat", heißt es in einer Mitteilung des CSU-Politikers.
Der Prozessbevollmächtigte Gauweilers, der Staatsrechtler Dietrich Murswiek, habe zudem eine Vertagung des ESM-Urteils beantragt, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht bis Mittwoch über den Eilantrag gegen die EZB-Anleihenkäufe entscheiden könne.
Gesamtrisiko für Bundeshaushalt sei unkalkulierbar
Gauweiler begründet den Antrag damit, dass das Gesamtrisiko für den Bundeshaushalt, das sich aus dem ESM-Vertrag und den sonstigen Euro-Rettungsmaßnahmen ergibt, "völlig unkalkulierbar und deshalb auch unverantwortbar geworden" sei. Vergangene Woche hatten etliche andere Koalitionspolitiker auch eine Klage der Bundesregierung gegen die EZB vor dem Europäischen Gerichtshof gefordert.
In der Union stieß Gauweilers Vorgehen auf Ablehnung: "Mich überzeugt die Eilklage nicht. Denn ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem EZB-Ankaufprogramm und dem ESM", sagte der europapolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Stübgen, zu Reuters. "Die Ankündigung der EZB hat doch überwiegenden deklaratorischen Charakter - es gab auch bisher kein wirkliches Limit beim Ankauf von Staatsanleihen."
Außerdem warnte er vor einer Verschiebung der seit langem angekündigten ESM-Entscheidung. "Dies wäre ausgesprochen problematisch." Natürlich müsse das Gericht selbst entscheiden, ob es die Entscheidung vertage. "Ich selbst bin aber klar gegen eine Verschiebung des Urteils."
Erfolgsaussichten von Gauweilers Klage nicht absehbar
Unter Juristen ist die Bedeutung der Eilklage umstritten. Der Staatsrechtler Markus Kotzur von der Universität Hamburg erwartet keine Verschiebung des BVG-Urteils, weil das Verfassungsgericht die Bedenken Gauweilers mit Sicherheit schon mit abgewogen habe. Dagegen glaubt der Europa-Rechtler Gunnar Beck von der Universität London, dass der ESM ohnehin verfassungswidrig sei. Er erwarte zwar dennoch nicht, dass Karlsruhe dem Rettungsschirm letztlich die Zustimmung verweigern werde. "Aber weil EZB-Präsident Mario Draghi so offensichtlich den Artikel 123 des EU-Vertrages gebrochen hat, wird es für das Gericht durch Gauweilers Eilklage sicher schwieriger, den unlimitierten Anleihenaufkauf einfach abzunicken", sagte Beck zu Reuters.
EU rechnet offenbar mit Hilfsantrag Spaniens beim ESM
Nach Ankündigung eines neuen EZB-Programms zum Anleihenkauf stellt sich die EU-Kommission einem Magazinbericht zufolge auf einen Hilfsantrag Spaniens ein. Die Brüsseler Behörde halte es für wahrscheinlich, dass die Regierung in Madrid in den nächsten Wochen um Unterstützung durch den Euro-Rettungsfonds ESM bitten wird, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" am Wochenende vorab. "Wir halten einen Rettungsantrag der Spanier für konsequent", wird darin ein namentlich nicht genanntes Mitglied der EU-Kommission zitiert. Die EZB hatte am Donnerstag ihr Bond-Programm angekündigt, mit dem die Refinanzierungskosten kriselnder Euro-Staaten gesenkt werden sollen. Bedingung dabei ist aber, dass die Staaten unter die Euro-Rettungsschirme schlüpfen und damit verbundene Reformauflagen akzeptieren.
Laut dem Magazin sollen die Bedingungen für die Finanzhilfen nicht ganz so hart sein wie im Falle Griechenlands, weil die spanische Verwaltung als deutlich leistungsfähiger eingeschätzt wird. Die meisten Gouverneure der Europäischen Zentralbank (EZB) verlangten eine Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) an dem Programm. IWF-Chefin Christine Lagarde hat bereits eine Einbindung des Fonds in die Pläne gefordert.
Tiefe Rezession in Spanien
Wegen seiner großen Schuldenproblemen und der tiefen Rezession gilt vor allem Spanien als Anwärter auf weitere europäische Hilfen neben der bereits beantragten Banken-Unterstützung. Ob das Land unter den Rettungsschirm schlüpfen wird, ließ Vizeregierungschefin Soraya Saenz de Santamaria zuletzt jedoch offen. Zunächst müssten die Bedingungen des EZB-Bond-Programms analysiert werden, sagte sie.
Dem Magazinbericht zufolge arbeitet der EZB-Rat an klaren Regeln für einen Ausstieg aus den Anleihekäufen, sobald ein Land die Auflagen nicht erfüllt. Die Zentralbank rechne damit, dass sich die Belastungen aus dem Ankaufsprogramm in Grenzen halten, hieß es unter Berufung auf ein internes Szenario. Darin kalkulierten Notenbanker die Kosten für den Rest des Jahres mit etwa 70 bis 100 Milliarden Euro, sollten die Zinsen für spanische und für italienische Anleihen tatsächlich erneut nach oben schießen. Dabei werde davon ausgegangen, dass die EZB rund zehn bis 14 Prozent der für das Programm infrage kommenden Bonds ankauft, um die Zinsen für diese Länder zu stabilisieren. (Reuters)
Kanzlerin Merkel will Griechenland im Euro halten
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will nach einem Bericht des "Spiegels" einen Austritt Griechenlands aus dem Euro verhindern. Merkel und ihre Berater fürchten, ein Ausscheiden Athens könnte einen ähnlichen Dominoeffekt auslösen wie die Lehman-Pleite 2008, schreibt das Nachrichtenmagazin (Ausgabe erscheint Montag). "Wir müssen eine Lösung finden", sagte Merkel demnach vergangene Woche im kleinen Kreis.
Im Falle eines Ausscheidens Athens müsste Deutschland allein 62 Milliarden Euro abschreiben, heißt es in dem Bericht weiter. Hinzu kämen noch die politischen Kosten. Die Bundesregierung müsse womöglich Problemländer wie Italien und Spanien durch eine gemeinsame Schuldenunion stabilisieren, befürchten Merkels Berater laut "Spiegel". Die Grundsatzentscheidung zugunsten Griechenlands sei im Kanzleramt gefallen, noch bevor die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zu ihrer neuen Erkundungsmission nach Athen aufgebrochen sei.
Der Bericht der Troika wird sich nach Angaben von Diplomaten in Brüssel weiter verzögern, wie der "Spiegel" weiter schreibt. Mit einer Entscheidung über Griechenlands Zukunft rechne man in Brüssel erst für Anfang November. Ein drittes Hilfsprogramm für das angeschlagene Mittelmeerland will Merkel auf jeden Fall verhindern, weil sie im Bundestag dafür keine Mehrheit bekäme. Stattdessen soll das bisherige Hilfsprogramm umgeschichtet werden. So könnten die nächsten Kredittranchen bei Bedarf größer ausfallen als geplant, dafür würden spätere Tranchen entsprechend gekürzt.
Griechenland soll liefern
Zuversichtliche Töne für einen Verbleib der Griechen im gemeinsamen Währungsraum kommen auch vonseiten der EU. "Es ist möglich, Griechenland im Euro zu halten", sagte Horst Reichenbach der "Rheinischen Post" (Samstagsausgabe). Reichenbach leitet die von der EU-Kommission eingesetzte "Task Force Griechenland". "Die neue griechische Regierung hat die Kompetenz und den Willen, die vereinbarten Reformen umzusetzen", sagte Reichenbach. "Aber sie muss jetzt auch liefern; wir brauchen Taten, keine Worte mehr".
Unterdessen drängt Finnland die südlichen Eurostaaten zu erhöhten Reformanstrengungen. Finnland habe sich "mit einem Sparprogramm in den neunziger Jahren am eigenen Schopf aus einer tiefen Krise gezogen, und wir fänden es gut, wenn es andere Länder genauso machten", sagte der finnische Europaminister Alexander Stubb der "Süddeutschen Zeitung" (Samstagsausgabe). Er sei ein großer Freund von Europa und helfe gern. "Aber ich will nicht, dass man mich beschuldigt, ich sei zu streng. Nein: Die anderen sind zu lasch, und das muss sich ändern", forderte er. (dapd)