Brüssel. Herber Rückschlag beim Euro-Gipfel: In der Nacht zu Freitag sind die Verhandlungen für einen neuen Vertrag aller 27 EU-Länder am Widerstand Großbritanniens gescheitert. Die 17 Länder der Euro-Gruppe sowie sechs weitere EU-Staaten wollen sich nun in einer Fiskalunion zusammenschließen.
Die Euro-Gruppe und sechs weitere EU-Staaten geben sich einen neuen Vertrag zur Gründung einer Fiskalunion. Schuldenbremsen und automatische Sanktionen sollen darin ein solides Haushalten garantieren, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitagmorgen zum Abschluss eines dramatischen Verhandlungsmarathons in Brüssel bekannt gab.
"Die 17 Staaten der Euro-Gruppe müssen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Und ich glaube mit den heutigen Beschlüssen kann und wird das gelingen", sagte die Kanzlerin. Der neue Vertrag solle bis März ausgehandelt sein, erklärte der französische Staatschef Nicolas Sarkozy.
Cameron stellte "inakzeptable" Bedingungen
Die Verhandlungen mit Großbritannien über Vertragsänderungen aller 27 EU-Staaten waren zuvor krachend gescheitert. Die Bedingungen von Premierminister David Cameron seien "inakzeptabel" gewesen, sagte Sarkozy. Der Brite hatte darauf bestanden, im Gegenzug für grünes Licht zu Vertragsänderungen selbst Vorteile für die britische Finanzbranche herauszuschlagen. Nicht nur Deutsche und Franzosen waren über die unbeugsame Haltung verärgert, hieß es aus mehreren Delegationen auch von Nicht-Euro-Staaten. Zu den Ländern, die sich gegen eine Revision des Lissabon-Vertrags richteten, gehörte auch Schweden.
Das Scheitern der gemeinsamen Lösung ist ein herber Rückschlag für die gesamte EU, die sich nun in zwei Geschwindigkeiten bewegen wird: Die Euro-Staaten und Länder, die dazugehören wollen, werden ihre Wirtschaften enger verzahnen. Die übrigen Länder bleiben außen vor.
Geschwächte Basis für schärfere Haushaltsregeln
Die Spaltung wird auch die von Merkel angestrebte stabile vertragliche Basis für die schärferen Haushaltsregeln schwächen. Denn ohne Zustimmung aller 27 EU-Staaten kann das Gemeinschaftsrecht und die Kompetenz der EU-Kommission nur auf Umwegen gestärkt werden. Und das sei "nicht die rechtlich sauberste Lösung", wie in Delegationskreisen eingeräumt wurde. "Natürlich wäre es uns lieber gewesen, wenn wir uns einstimmig hätten einigen können", sagte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso.
Zur Gipfel-Einigung gehört auch, dass der dauerhafte Rettungsschirm ESM um ein Jahr auf Mitte 2012 vorgezogen werden soll. Zudem soll der IWF mit bilateralen Krediten um bis zu 200 Milliarden Euro aufgestockt werden, um sich stärker an der Rettung von Euro-Krisenstaaten zu beteiligen, wie EU-Ratschef Herman Van Rompuy erklärte.
Scharfer Seitenhieb auf Merkel
Die Ausstattung des ESM mit einer Banklizenz, wie es neben Van Rompuy auch mehrere Währungsmitglieder verlangt hatten, blockte Deutschland ebenso ab wie Euro-Bonds. Schlucken musste Berlin dafür, dass Banken und Fonds künftig nicht mehr zu Schuldenschnitten wie im Falle Griechenlands gezwungen werden können. "Unser erster Ansatz zur Beteiligung des Privatsektors hatte einen sehr negativen Effekt, jetzt ist er offiziell vorüber", sagte Van Rompuy, und erteilte Merkel damit einen scharfen Seitenhieb.
Während die Einigung auf den "17 plus 6"-Vertrag bis 04.20 Uhr auf sich warten ließ, hatte sich der Gipfel auf den eigentlichen Inhalt der notwendigen Schritte - Schuldenbremsen und automatische Sanktionen - schon vor Mitternacht geeinigt: So soll die konjunkturbereinigte Neuverschuldung (strukturelles Defizit) dauerhaft auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt werden. Über die Umsetzung der Schuldengrenze in nationales Recht soll der Europäische Gerichtshof wachen, wie es Berlin und Paris vorgeschlagen hatten.
Aus den Fehlern gelernt?
Und Sanktionsverfahren kommen künftig, sobald die Netto-Neuverschuldung die Drei-Prozent-Hürde übersteigt, es sei denn, die betroffenen Mitgliedsstaaten bekommen eine Zweidrittelmehrheit zustande, um das Prozedere zu stoppen. Bisher reichte dafür ein Drittel.
Sarkozy hatte am Donnerstag den Ton für den Gipfel vorgegeben: "Wenn wir am Freitag keine Einigung finden, gibt es keine zweite Chance." Nach dem Deal zeigte sich Merkel trotz der beachtlichen Schönheitsfehler zufrieden: "Ich glaube, wir haben ein sehr, sehr wichtiges Ergebnis, weil wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und mehr bindende Regeln schaffen." Das sei der Beitrag, den Euro sicherer zu machen.
Großbritanniens Premierminister David Cameron rechtfertigte sein Nein zur EU-Vertragsänderung derweil als "harte, aber gute Entscheidung". "Wenn wir keine Schutzklauseln bekommen, ist es besser draußen zu bleiben", sagte Cameron nach den nächtlichen Beratungen.(dapd/afp)