Brüssel. . Die Rating-Agentur Standard & Poor’s droht, die Kreditwürdigkeit von Deutschland und 14 weiterer Euro-Staaten zu senken. Damit steigt der Druck auf den nahenden EU-Krisengipfel.

Es war ein Warnschuss für die Europäer. Abgegeben hat ihn die mächtige Rating-Agentur Standard & Poor’s – kurz vor einem weiteren EU-Gipfel, der endlich einen Ausweg aus aus den monatelangen Schuldenturbulenzen in Europa aufzeigen soll. Es ist nicht das erste Mal, dass eine der drei weltweit führenden Kreditwürdigkeits-Wächter vor einem wichtigen Krisentreffen Unmut erregt.

Standard & Poor’s (S&P) stößt sich an den „anhaltenden Meinungsverschiedenheiten“ europäischer Politiker, wie die Vertrauenskrise im Euro-Währungsraum langfristig eingedämmt werden soll. Die Rating-Agentur sieht zudem die Schuldenberge der Europäer mit Sorge. Daher erwägen die Analysten in einem beispiellosen Schritt, die Kreditwürdigkeit von Deutschland und 14 anderen Euro-Staaten schlechter zu bewerten als bisher.

Druck auf Merkel wächst

Griechenland und Zypern gehören nicht dazu. Das pleitebedrohte Griechenland hat bereits das schlechteste Bonitäts-Urteil („Rating“). Und bei Zypern prüfen die Rating-Experten seit längerem, ob sie dessen Kreditwürdigkeit abstufen.

Ihre Entscheidung zu Deutschland und den anderen 14 Euro-Staaten machen die S&P-Analysten von den Ergebnissen des Brüsseler Krisengipfels Ende dieser Woche abhängig. Das verstärkt den Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre europäischen Amtskollegen noch mehr.

Denn senken die S&P-Experten Bonitäts-Urteil, würde das Schuldenmachen für Deutschland und die anderen betroffenen Euro-Staaten teurer. Zudem geriete das Rettungsszenario der Europäer ins Wanken. Deutschland und andere Euro-Staaten, die derzeit als finanziell sehr solide gelten, bürgen für den Euro-Rettungsfonds. Auch er muss um seine Spitzenbonität bangen.

Der Rettungsfonds gewährt klammen Euro-Staaten Notkredite. Verschlechtert sich sein Rating oder das seiner Bürgen, wird sein finanzieller Spielraum kleiner. Das Vertrauen in den Notfonds, genug „Feuerkraft“ zur Bewältigung der Schuldenkrise aufzubringen, hat bereits gelitten.

Kritik an Ankündigung

So arbeiten Rating-Agenturen

Drei Rating-Agenturen beherrschen den Weltmarkt. Will ein Staat seine Kreditwürdigkeit von unabhängigen Experten überprüfen lassen, wählt er meist Standard & Poor's (S&P), Moody's oder Fitch. S&P und Moody's sind US-Unternehmen. Fitch gehört zur französischen Fimalac-Gruppe. Auf ihre Rating-Urteile achten Banken oder Versicherer, wenn sie Staaten Geld borgen wollen. Denn ein Rating, erklärt S&P, „ ist unsere Einschätzung darüber, wie sich die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit eines Staates künftig entwickelt“.

Bei S&P trägt ein Experte die Hauptverantwortung, die Bonität eines Staates zu analysieren. Ein zweiter Experte hilft ihm. Sie werten Konjunkturdaten aus, zum Beispiel zur Wirtschaftsleistung oder zur Arbeitslosigkeit. Die Analysten sprechen auch mit Verantwortlichen des Landes.

Glauben die Experten, dass sich die Kreditwürdigkeit eines Staats ändert, erstellen sie einen Bericht. Den präsentieren sie einem „Rating-Komitee“, dem etwa sieben bis neun Fachleute angehören. Der hauptverantwortliche Analyst erläutert seine Einschätzung. Über seinen Rating-Vorschlag stimmt das Komitee mehrheitlich ab. Der betreffende Staat wird informiert – und hat zwölf Stunden Zeit für Kritik. (sbi)

Die deutlichsten Worte fand am Dienstag Jean-Claude Juncker. Der Chef der Eurogruppe, die die 17 Euro-Staaten umfasst, nannte die Ankündigung von Standard & Poor’s „maßlos überzogen und auch ungerecht“. „Nachdem es in der Euro-Zone doch erhebliche Anstrengungen in den letzten Tagen gegeben hat, der Schuldenkrise Herr zu werden - ich verweise auf Sparprogramme in Italien, ich verweise auf Sparprogramme in Irland, ich verweise auf Konsolidierungsbemühungen in Spanien und Portugal -, wirkt diese Drohung der Rating-Agentur wie ein Keulenschlag.“

Ähnlich entrüstet gab sich der Chef-Analyst der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer. „Das ist skandalös und hat mit fairer Bewertung nichts zu tun“, sagte er zum S&P-Warnschuss. „Europa ist das Paradepferd der Reformpolitik. Wir gehen in Richtung einer Stabilitätsunion.“

Deutlich gelassener reagierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU): „Was eine Rating-Agentur macht, das ist in der Verantwortung der Rating-Agentur.“

Druck könnte nützlich sein

Immerhin hat Merkel am Montag mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Eckpunkte für den Krisengipfel festgezurrt. Dazu gehören automatische Strafen für Haushaltssünder und Schuldenbremsen in den Euro-Staaten. Am Freitag sollen die europäischen Staats- und Regierungschefs die tiefgreifenden Änderungsvorschläge der zwei größten EU-Staaten Deutschland und Frankreichs billigen.

„Die S&P-Drohung könnte Merkel und Sarkozy bei den Verhandlungen auf dem EU-Gipfel sogar Rückenwind geben“, sagte der Chefvolkswirt des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Kai Carstensen. „Die Erfahrung zeigt: Wenn der Druck steigt, bewegt sich Europa eher.“