Berlin/Brüssel. Die Reaktionen auf die Drohung der Ratingagentur, die Kreditwürdigkeit der Euro-Länder zu überprüfen und herabzustufen, stößt auf Kritik: Euro-Chef Juncker hält das Vorgehen für ungerecht, der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Meister will das Monopol der Agenturen zerschlagen.

Die Drohung der US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) mit einer Herabstufung der Bonitätsnoten für die Euro-Länder ist in Europa auf scharfe Kritik gestoßen. Das Vorgehen der Agentur sei "maßlos überzogen und auch ungerecht", sagte der Chef der Euro-Gruppe, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, am Dienstag im Deutschlandfunk.

Angesichts der ernsthaften Reformanstrengungen in vielen Euro-Staaten wirke die Drohung "wie ein Paukenschlag". Die Euro-Staaten dürften sich vom Vorgehen der Agentur nicht verunsichern lassen: "Ich glaube, es wäre besser, wir würden die Ratings nicht so ernst nehmen, wie die Agenturen ihre eigenen Ratings."

Bekämpfung der Krise ist ein längerer Prozess

Die Bundesregierung reagiert weiter demonstrativ gelassen auf die angedrohte Herabstufung. "Was eine Ratingagentur macht, das ist in der Verantwortung der Ratingagentur. Wir werden am Donnerstag und Freitag die Entscheidungen treffen, die wir für die Euro-Zone für wichtig, für unabdingbar halten und damit einen Beitrag zur Stabilisierung der Euro-Zone leisten", sagte Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag in Berlin mit Blick auf die kommenden EU-Gipfel in Brüssel.

Sie habe immer gesagt, dass die Bekämpfung der Krise ein längerer Prozess sei, erklärte die CDU-Vorsitzende. "Aber dieser Weg ist jetzt vorgezeichnet, auch gestern durch das Treffen mit dem französischen Präsidenten, und auf diesem Weg werden wir weiter voranschreiten." Merkel und Nicolas Sarkozy hatten sich am Montag unter anderem auf schärfere Euro-Regeln und eine Vertragsveränderung verständigt.

Zeitpunkt der Veröffentlichung mit politischer Absicht gewählt?

Mit harscher Kritik hat der stellvertetende Unions-Fraktionsvorsitzende Michael Meister auf die Ankündigung der Ratingagentur Standard & Poor's reagiert, die Bonität von 15 Euro-Stataen zu überprüfen. "Die EU-Kommission sollte das Monopol der Rating-Agentur zerschlagen", sagte Meister der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag. "Der EU-Rat wird Ergebnisse bringen, so dass keine Gefahr für das deutsche Rating besteht", fügte er hinzu. Zugleich thematisierte der CDU-Politiker den Zeitpunkt der Veröffentlichung. "Wenn die Ankündigung mit Blick auf die Gipfelergebnisse geschah, müsste man politische Absicht vermuten und könnte eine sachgerechte Bewertung bezweifeln."

Der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle sah die Entscheidung weniger kritisch. Er habe bereits seit einigen Tagen den Eindruck gehabt, dass die Ratingagenturen zum großen Schlag ausholen würden, sagte er der "Welt". "Wir sind jetzt am entscheidenden Punkt der Krise, an einem Wendepunkt", sagte Barthle. Er gehe davon aus, dass mit den erwarteten Beschlüssen des EU-Gipfels Ende der Woche den Investoren klar werde, dass die Euro-Zone ihre Probleme jetzt bei der Wurzel packe und lösen werde.

Staatliche Ratingagentur für Deutschland gefordert

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin plädierte derweil dafür, bei der Bundesbank eine staatliche Ratingagentur anzusiedeln. "In Deutschland liegen erhebliches Fachwissen und Kompetenz zur Finanzmarktbeurteilung bei der Bundesbank", schrieb DIW-Forschungsprofessorin Mechthild Schrooten in einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel".

"Eine herausragende Aufgabe der Bundesbank könnte es in Zukunft daher sein, als erste international operierende öffentlich-rechtliche Ratingagentur zu fungieren." Diese neue Agentur solle "in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Anbietern treten und ein neues Gütesiegel einbringen".

Frankreich nimmt Drohung ernst

Nach dem S&P-Warnschuss muss Frankreich nach Einschätzung von Außenminister Alain Juppe größere Anstrengungen als andere Länder unternehmen, wenn es sein "AAA"-Rating behalten will. "Wir wissen, dass wir uns mehr anstrengen müssen als andere, das steht fest", sagte Juppe am Dienstag dem Radiosender RTL. "Es ist eine Drohung, aber es ist keine Entscheidung. Es versteht sich, dass sie ernst genommen werden muss", ergänzte der Minister mit Blick auf die Entscheidung der Ratingagentur Standard & Poor (S&P), Frankreich und praktisch alle anderen Euro-Ländern vor einer Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit zu warnen. Die Staaten wurden mit einem negativen Ausblick versehen, Frankreichs Bewertung könnte um zwei Stufen gesenkt werden.

Frankreichs Finanzminister Francois Baroin erklärte nach der S&P-Entscheidung im Fernsehen, sein Land werde kein Problem haben, sich im kommenden Jahr am Kapitalmarkt mit Geld zu versorgen. "Wir haben es ohne Schwierigkeiten in der vergangenen Woche geschafft, wir hatten eine (Anleihen-)Auktion, die zu guten Konditionen gelaufen ist, und wir werden natürlich keine Schwierigkeiten haben, Anleihen zu begeben."

Zuvor hatte Baroin bereits gesagt, Frankreich plane trotz des Warnschusses keine weiteren Sparrunden. Wichtig sei hingegen, dass die Koordinierung der europäischen Politik verstärkt werde.

Drei Tage vor dem EU-Gipfel hatte Standard & Poor's am Montagabend der Bundesrepublik und fünf weiteren Euro-Staaten mit dem Verlust der Topnote für ihre Kreditwürdigkeit gedroht. Insgesamt sind 15 Mitgliedsländer der Gemeinschaftswährung von einer möglichen Herabstufung betroffen. (afp, rtr)