Essen. Aktien, Kryptowährungen, Immobilien: Experten aus NRW berichten von hohen Verlusten durch Finfluencer und warnen vor zweifelhaften Anlagetipps.
Wer sich über Finanzen informieren möchte, landet früher oder später in den sozialen Medien. Dort tummeln sich zahlreiche „Finfluencer“, die Tipps zu Themen wie Aktien, Kryptowährungen oder Immobilien geben. Manche geben nützliche Tipps, wie man sein Geld sinnvoll investieren kann – statt es auf einem kaum oder gar nicht verzinsten Girokonto brachliegen zu lassen. Doch das Vertrauen in Finfluencer kann auch schwerwiegende Folgen haben.
So warnen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und Verbraucherschützer eindringlich vor den Risiken: Nicht alle Anlagetipps von Finfluencern sind seriös oder geeignet. Tatsächlich: Das Swiss Institute of Finance hat den Anlageerfolg von Tipps aus dem Netz untersucht. Mehr als die Hälfte der Empfehlungen entwickelten sich demnach schlechter als der jeweilige Gesamtmarkt.
„Immo Tommy“ Abzocke: Geschädigte klagen gegen Finfluencer
Ralf Scherfling, Finanzexperte der Verbraucherzentrale NRW, sei vor rund vier Jahren durch eine Presseanfrage erstmals auf das Thema Finfluencer gestoßen. Das Thema betreffe nicht nur junge Erwachsene, sondern Menschen aller Altersgruppen. Es gebe dennoch nur sehr vereinzelt Beschwerden über Fehlinvestitionen durch Finfluencer: „Wir wissen nicht, ob dies nicht oft passiert, von Betroffenen nicht oder noch nicht bemerkt wurde oder ob sie sich sogar selbst die Schuld geben.“
Selbst Schuld - diese Formulierung findet sich häufig in den Kommentarspalten, wenn sich Menschen falsche Hoffnungen in vermeintlich lukrative Investments gemacht haben, wie im Fall des„Immo Tommy“-Skandals.Der Immobilien-Influencer Tomislav Primorac, bekannt als "Immo Tommy", versprach seinen Followern mit einem „Rundum-sorglos-Paket“ lukrative Investitionen ohne großes Eigenkapital. Käufer berichten von überteuerten Schrottimmobilien mit nachteiligen Finanzierungsmodellen. Viele fühlen sich betrogen und klagen, während Verbraucherschützer seine Methoden scharf kritisieren.
Manipulation per WhatsApp: Wie Verkäufer Druck aufbauen
„Die Scham ist wirklich ein wichtiger Punkt“, erklärt Rechtsanwalt Georgios Aslanidis, Partner der Kanzlei AKH-H in Esslingen, die zahlreiche Geschädigte im Fall „Immo Tommy“ vertritt. Ein zentraler Bestandteil ihres Vorgehens sei es, die Betroffenen miteinander zu vernetzen. „Wir möchten zeigen: Ihr seid nicht allein, vielen anderen ist das auch passiert“, betont Aslanidis. Er sieht das Problem auch in der deutschen Mentalität im Umgang mit Geld: „In Deutschland redet man über Geld nicht. Wenn man Fehler macht oder sogar betrogen wird, trauen sich viele nicht, zum Anwalt zu gehen.“ Dabei, so Aslanidis, werde der Druck von psychologisch geschulten Verkäufern systematisch aufgebaut. „Die wissen genau, wie sie die Betroffenen manipulieren können“, warnt er.
Besonders über Whatsapp und andere soziale Medien werde massiv Druck ausgeübt. „Man duzt sich und dann heißt es: ‚Jetzt nicht kneifen, alles ist vorbereitet, wir müssen das jetzt durchziehen! Stell dich nicht so an, alle anderen machen es auch – also los, schnell!‘“, beschreibt Aslanidis die manipulativen Taktiken der Verkäufer. Auffällig sei dabei, dass dieser Druck praktisch „rund um die Uhr“ ausgeübt werde. „Ich habe Mandanten, die mir Chatprotokolle gezeigt haben, in denen sie schreiben: ‚Ich bin gerade auf einer Party, ein bisschen angetrunken.‘ Und der Verkäufer antwortet: ‚Egal, das können wir kurz machen.‘“
Betroffener: „Ich habe durch Aktien einen hohen fünfstelligen Betrag verloren.“
Die Beträge variieren von kleineren Summen bis hin zu größeren Verlusten. Auf unseren Instagram-Aufruf meldete sich ein Nutzer, der 50 Euro in Beercoin, einen Memecoin ähnlich wie Dogecoin, investiert hatte. Dieser sei von mehreren prominenten Persönlichkeiten in den sozialen Medien beworben worden. „Später fand ich Finfluencer, die die Wahrheit sagten und mir wirklich weiterhalfen“, erzählt der Nutzer. Doch es gibt auch gravierendere Fälle.
EinReddit-Nutzer antwortet auf unsere Frage nach den Erfahrungen mit Anlagetipps von Finfluencern: „Ich habe durch Aktien einen hohen fünfstelligen Betrag verloren.“ Viele Nutzer tauschen sich auch über Coaching-Angebote von Finfluencern aus. Sind diese Programme seriös oder hilfreich? Die Mehrheit der User verneint.
Christian Solmecke, WBS Legal: „Bafin warnt nicht ohne Grund davor“
Erst kürzlich sorgte ein Gerichtsurteil für Aufsehen: Eine Kundin hatte 1.500 Euro für ein Krypto-Coaching gezahlt – und war vom Ergebnis enttäuscht. Auch gab die Kundin an, sie sei durch die Werbung der Plattformbetreiberin in den sozialen Medien verführt und überrumpelt worden. Das Landgericht München entschied, dass der Anbieter das Geld zurückerstatten muss.
„Die Bafin warnt nicht ohne Grund davor, dass blinde Vertrauenswürdigkeit gegenüber Finfluencern zu massiven Kapitaleinbußen bis hin zum Totalverlust führen kann“, erklärt Rechtsanwalt Christian Solmecke, Partner der Kölner Verbraucherrechtskanzlei WBS Legal, die Betroffene in Fällen zu Coaching-Angeboten vertritt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Finfluencer seien komplex: „Finfluencer, die Finanzprodukte empfehlen oder vermitteln, benötigen daher oftmals eine Genehmigung der Bafin.“ Wer ohne diese Genehmigung handelt, sei rechtlichen Risiken ausgesetzt – etwa bei unerlaubter Anlageberatung, irreführenden Empfehlungen oder gar Marktmanipulation.
Coaching-Angebote von Finfluencern: Darauf sollten Sie achten
Ob ein Verstoß vorliegt, entscheide sich jedoch immer im Einzelfall. Um unseriöse von seriösen Coaching-Angeboten zu unterscheiden, rät Solmecke, bei unrealistischen Erfolgsgarantien besonders skeptisch zu sein. Er empfiehlt: „Um ein Angebot zu prüfen, sollte der Anbieter ausreichend Zeit lassen. Baut er unnötigen Zeitdruck auf, empfiehlt es sich, diesen kritisch zu hinterfragen.“ Außerdem rät Solmecke, darauf zu achten, dass die Kosten so transparent wie möglich sind, und gezielt zu fragen, wie das Coaching ablaufen wird.
Aber sind Finfluencer generell unseriös oder unglaubwürdig? „Das ist ähnlich wie bei Bankberatern“, erklärt Finanzexperte Scherfling. „Auch in der analogen Welt habe ich verschiedene Möglichkeiten, mich beraten zu lassen. Wichtig ist, dass ich kritisch prüfe, was gesagt wird und ob es zu meiner persönlichen Lebenssituation passt.“ Wer Rat zu Finanzthemen sucht, sollte sich laut Scherfling zwei Fragen stellen: Ist die Person fachlich kompetent? Und ist die Person menschlich seriös?
Expertenwissen oder nur Glück? Was Sie über Finfluencer wissen sollten
Bei Finfluencern empfiehlt es sich, nach den beruflichen Qualifikationen zu fragen, sagt Scherfling: „Hat die Person Erfahrung im Finanzbereich? Oder basiert ihr Erfolg nur auf einem glücklichen Investment? Kann sie andere wirklich seriös beraten?“ Mit „menschlich seriös“ meint er, dass mögliche Interessenskonflikte transparent gemacht werden müssen. „Bei einer Anlageberatung sollte der Bankberater seinen Status erläutern und insbesondere - was die Regel sein wird - ob er für den Verkauf von Produkten Provisionen erhält.“ Genauso wichtig sei es zu wissen, ob Finfluencer von einem Anbieter, dessen Produkte sie empfehlen, bezahlt oder gesponsert werden.
„An die Geldanlage sollte man konservativ rangehen.“
Ein weiterer wichtiger Punkt sei das Impressum: „Wenn das Impressum fehlt oder unvollständig ist, sollte man die Finger davonlassen“, so Scherfling. „Es ist wichtig zu wissen, ob der Anbieter in Deutschland von der Bafin beaufsichtigt wird oder ob er möglicherweise im Ausland tätig ist – schlimmstenfalls ohne Erlaubnis der dortigen Aufsichtsbehörde, seine Produkte zu verkaufen.“
Bitcoin-Hype: Warum Privatanleger besser die Finger davon lassen
Auch sollte man genau wissen, in welche Produktklassen investiert werden soll und ob diese für unerfahrene Privatanleger überhaupt geeignet sind. Scherfling erklärt: „Viele Menschen ärgern sich, damals nicht in Bitcoin investiert zu haben. Dieses Gefühl, den Zug verpasst zu haben, verleitet einige zur Überlegung, heute trotz der hohen Kurse noch einzusteigen – oft ohne zu verstehen, was sie da eigentlich kaufen und welche Risiken sie eingehen.“
Für unerfahrene Anleger sei der Handel mit Kryptowährungen oder Einzelaktien ohnehin ungeeignet: „Ein Privatanleger kann bei einem langfristigen Zeithorizont überlegen, lieber in breit gestreute Aktienfonds zu investieren, zum Beispiel in einen ETF auf den MSCI World.“ Einzelaktien hingegen seien vor allem für Menschen geeignet, die sowohl fundiertes fachliches Wissen als auch ein ausreichend großes Budget mitbringen, um mögliche Risiken auszugleichen.
Die passende Geldanlage: Expertentipps von der Verbraucherzentrale NRW
„An die Geldanlage sollte man konservativ rangehen“, betont Scherfling. „Jeder sollte individuell entscheiden, welche Anlageform am besten zu den eigenen Zielen und zur persönlichen Situation passt. Es ist völlig in Ordnung, sich Anlagetipps zu holen – entscheidend ist jedoch, Informationen aus verschiedenen Quellen einzuholen, abzugleichen und kritisch zu hinterfragen.“
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