Essen. Unions-Kanzlerkandidat Merz äußert sich skeptisch zu grünem Stahl auf Wasserstoff-Basis. Bundestagspräsidentin Bas: „Bin entsetzt“.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) warnt davor, den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Deutschland zu bremsen. „Es wäre fatal, das Rad beim grünen Stahl wieder zurückzudrehen“, sagte Bas bei einem Besuch unserer Redaktion in Essen angesichts von Äußerungen des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU). „Wenn die Stahlindustrie in Deutschland noch eine Zukunft haben soll, brauchen wir die Transformation“, betonte Bas, die ihren Wahlkreis als Bundestagsabgeordnete in Duisburg hat und auch im Aufsichtsrat der Duisburger Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) vertreten ist.

Merz hatte am Montag in Bochum bei einer Betriebsrätekonferenz des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA gesagt: „Ich glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird. Wo soll der Wasserstoff denn herkommen? Den haben wir nicht. Und wenn wir das mit Wasserstoff machen, dann ist die Tonne Stahl immer noch mindestens 300 Euro teurer, als wenn sie bisher konventionell erzeugt wird.“

Bärbel Bas: „Ich bin wirklich entsetzt“

Die SPD-Politikerin Bas reagierte empört. „Ich bin wirklich entsetzt“, sagte sie beim Redaktionsbesuch. „Das ist auch ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Thyssenkrupp.“ Die Produktion von klimafreundlichem Stahl sei „der einzige Weg, um die Stahlindustrie in Duisburg zu halten“.

Ähnlich positionierte sich auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Habeck sagte, Merz glaube nicht an „grünen“ Stahl. „Diese Aussage ist ein Schlag in das Gesicht all der Beschäftigten“, sagte Habeck laut Deutscher Presse-Agentur in Berlin. „Denn sie kann nur so übersetzt werden, dass die deutsche Stahlproduktion zu Ende geht.“ In den 2030er Jahren werde es keinen Markt mehr für „schwarzen“ Stahl geben, so Habeck. „Alle großen Volkswirtschaften, die USA, China, haben sich auf den Weg gemacht, den Stahl zu dekarbonisieren.“ Niemand sollte glauben, dass mit Kohleenergie produzierter Stahl auf dem Weltmarkt noch eine Chance habe.

„Wer nicht an grünen Stahl glaubt, befördert das Ende der Stahlindustrie in Deutschland – mit fatalen Wirkungen weit über die Branche hinaus“, sagte der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, der auch Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp ist. „Wir würden Zehntausende Arbeitsplätze verlieren und uns bei einem der wichtigsten Grundstoffe in eine gefährliche Abhängigkeit vor allem von China begeben.“ Er lade Friedrich Merz ein und wolle ihm die Bedeutung des grünen Stahls für Industrie und Arbeitsplätze „vor Ort in einem Stahlwerk zu erläutern“, sagte Kerner.

Kritik aus der schwarz-grünen Landesregierung am CDU-Chef

Die von Hendrik Wüst (CDU) geführte NRW-Landesregierung will den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg mit einer millionenschweren Förderung unterstützen. Bund und Land hatten dem Unternehmen rund zwei Milliarden Euro für den Bau einer Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) zugesagt, um Stahl mit Hilfe von Wasserstoff statt Kohle herzustellen. Etwa 700 Millionen Euro davon sollten aus NRW kommen. „Die Zukunft des Stahlstandortes Nordrhein-Westfalen im Herzen Europas ist klimaneutral, weil wir nur so im globalen Wettbewerb bestehen können“, sagte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) in einer Reaktion auf die Äußerungen von CDU-Chef Merz.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) beim Besuch unserer Redaktion im Verlagsgebäude in Essen.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) beim Besuch unserer Redaktion im Verlagsgebäude in Essen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Allerdings hatte auch Thyssenkrupp-Chef Miguel López unlängst auf Probleme beim Aufbau einer klimaneutralen Stahl-Produktion hingewiesen. „Für die Direktreduktionsanlage, die wir derzeit in Duisburg bauen, wären gut 800 Windkraftanlagen nötig, um den benötigten Energiebedarf aus Grünstrom und zur Wasserstoffherstellung zu decken“, sagte López Ende vergangenen Jahres in einem „Focus“-Interview und fügte hinzu, die geplante DRI-Anlage ersetze lediglich einen Hochofen. „In Duisburg haben wir aber vier davon.“

López betonte zugleich, dass die neue Direktreduktionsanlage, die als Nachfolge-Technologie für die klimaschädlichen Hochöfen konzipiert und perspektivisch auf Wasserstoff angelegt ist, auch mit Erdgas betrieben werden könne. „Man kann sie mit grünem Wasserstoff betreiben, aber auch mit Erdgas. Insofern machen wir uns nicht unbedingt abhängig vom Wasserstoff“, erklärt der Thyssenkrupp-Chef. „Bereits mit Gas sparen wir sehr viel CO2 ein, nämlich gut 50 Prozent.“

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