Essen/Dortmund. Die Thyssenkrupp-Firma Nucera wächst im Ausland mit Wasserstoff-Projekten. An Europas größtem Stahlstandort Duisburg geht es nicht voran.

Brasilien, Saudi-Arabien, USA, Schweden und Spanien – die Liste der Länder, aus denen die Thyssenkrupp-Wasserstofftochter Nucera Aufträge erhält, ist lang. Doch Deutschland spielt als Absatzmarkt für Elektrolyseure zur Wasserstoff-Produktion bislang kaum eine Rolle. In der nordschwedischen Stadt Boden wirkt Nucera mit, Europas größtes Grünstahl-Werk aufzubauen. Duisburg hingegen hinkt hinterher. Eigentlich wäre es naheliegend, wenn die Thyssenkrupp-Tochter Nucera zur Wasserstoff-Versorgung des wichtigsten Stahlstandorts im Konzern beitragen würde. Aber von einem entsprechenden Projekt ist derzeit keine Rede.

Dabei ist der Wasserstoff-Hunger der geplanten Direktreduktionsanlage (DRI) für die angestrebte Grünstahl-Produktion in Duisburg riesig. In einigen Jahren, so hatte es Thyssenkrupp angekündigt, soll das Aggregat rund 143.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr verbrauchen. Das entspricht Unternehmensangaben zufolge alle zwei Stunden und 365 Tage im Jahr der Füllmenge des Gasometers Oberhausen.

Auch der Energieversorger Iqony, der aus dem Essener Steag-Konzern entstanden ist, wollte sich an der Wasserstoff-Versorgung beteiligen und dafür einen Elektrolyseur in Duisburg bauen. Ursprünglich hatte das Unternehmen schon für das Jahr 2025 Lieferungen geplant. Bisherige Zeitpläne stellten sich indes als unrealistisch heraus. „Wir können ein solches Großprojekt nur umsetzen, wenn klar ist, dass es betriebswirtschaftlich tragfähig ist“, sagte Steag-Chef Andreas Reichel vor wenigen Wochen im Gespräch mit unserer Redaktion. „Dazu gehört auch, dass wir sicher sein können, Abnehmer für den Wasserstoff zu haben.“

Nucera-Chef Werner Ponikwar (links) mit Finanzchef Arno Pfannschmidt: Die Dortmunder Wasserstoff-Tochter von Thyssenkrupp bekommt Aufträge für den Bau von Elektrolyseuren vor allem aus dem Ausland.
Nucera-Chef Werner Ponikwar (links) mit Finanzchef Arno Pfannschmidt: Die Dortmunder Wasserstoff-Tochter von Thyssenkrupp bekommt Aufträge für den Bau von Elektrolyseuren vor allem aus dem Ausland. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Thyssenkrupp startet den Betrieb der neuen DRI-Anlage zunächst mit Erdgas – erst später soll die Umstellung auf Wasserstoff erfolgen. Die milliardenschwere staatliche Förderung für Thyssenkrupp ist allerdings an das Ankurbeln der Wasserstoff-Wirtschaft gekoppelt. Es wird erwartet, dass der Revierkonzern mit der künftigen Bundesregierung über die Vertragsmodalitäten verhandeln möchte.

Nucera-Chef: Kein „finales Konzept“ für Wasserstoff-Versorgung in Duisburg

Zur Frage, warum noch kein Elektrolyseur in Duisburg gebaut werde, sagt Nucera-Chef Werner Ponikwar, für den Stahlstandort im Ruhrgebiet gebe es noch kein „finales Konzept“, das besage, „wo Elektrolyseure zu bauen sind und wie im Endeffekt die zukünftige DRI-Anlage versorgt werden soll“.

Anders als beim neuen Grünstahl-Werk in Schweden, für das Elektrolyseure mit Energie aus Wasserkraft betrieben werden sollen, gebe es in Deutschland noch nicht so viel Grünstrom, um Elektrolyseure im erforderlichen Maßstab kostengünstig versorgen zu können.

Thyssenkrupp-Chef Miguel López, der auch Mitglied im Aufsichtsrat von Nucera ist, kommt zu dem Urteil, Deutschland könne bei der Grünstrom-Produktion im Wettbewerb mit anderen europäischen Nationen nicht mithalten. „Ich sehe nicht, wie grüne Energieerzeugung in der nötigen Größenordnung in Deutschland jemals zu wettbewerbsfähigen Preisen realisiert werden kann“, sagte López unlängst im „Focus“. „Wenn Sie die Kosten von grünem Strom in Schweden, Norwegen, auf der iberischen Halbinsel oder in den USA mit denen hierzulande vergleichen, und in die Zukunft projizieren, ist das Ergebnis immer dasselbe: Solar rechnet sich in Deutschland nicht und Windanlagen werden wir bei uns nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung haben.“

Thyssenkrupp-Chef López fordert Wasserstoff-Pipeline aus Südeuropa

Schon vor einem Jahr hat López im Interview mit unserer Redaktion den Bau neuer Wasserstoff-Pipelines aus Südeuropa angemahnt. Deutschland benötige Pipelines aus Ländern wie Spanien, Portugal und Marokko. „Sonst wird sich der riesige Wasserstoff-Bedarf in Deutschland kaum decken lassen.“ Den Ruf nach einer solchen Wasserstoff-Pipeline erneuerte der Manager im November bei der Jahresbilanz von Thyssenkrupp im Essener Konzern-Quartier.

Thyssenkrupp-Chef Miguel López mahnt den Bau von Wasserstoff-Pipelines an: „Sonst wird sich der riesige Wasserstoff-Bedarf in Deutschland kaum decken lassen.“ 
Thyssenkrupp-Chef Miguel López mahnt den Bau von Wasserstoff-Pipelines an: „Sonst wird sich der riesige Wasserstoff-Bedarf in Deutschland kaum decken lassen.“  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Auch Nucera-Chef Ponikwar verweist im Zusammenhang mit dem schleppenden Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft auf die Standortbedingungen in Deutschland. In europäischen Ländern wie Portugal und Spanien könne erneuerbare Energie schließlich mit Wind und Sonne kostengünstig produziert werden. „Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass wir in Europa und insbesondere in Deutschland zu einer kostengünstigen grünen Wasserstoff-Versorgung nur kommen werden, wenn wir größer denken – auch im Sinne von: über die Landesgrenzen hinaus“, sagt Ponikwar. Entscheidend sei die Infrastruktur für den Wasserstoff-Transport.

„Es lässt sich nicht leugnen, dass der Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft aktuell nicht reibungslos verläuft“, sagte der neue Chef des Essener Pipeline-Betreibers Open Grid Europe (OGE), Thomas Hüwener, unlängst dem „Handelsblatt“. Thyssenkrupp Steel sei „als einer der Topabnehmer von Wasserstoff eingeplant“, so Hüwener. „Ein Wegfall der Nachfrage von TKSE hat spürbaren Einfluss auf das Wasserstoff-Kernnetz.“ Große Abnehmer von Wasserstoff seien „eine Grundvoraussetzung für den Aufbau der Infrastruktur“, so der OGE-Chef.

RWE und Uniper: Verzögerungen bei Wasserstoff-Projekten

Auch bei großen Energieversorgern ist Ernüchterung eingekehrt. Der Hochlauf der der Wasserstoff-Wirtschaft in Europa komme „nicht so schnell voran wie erwartet“, teilte der Essener Energiekonzern RWE in seiner jüngsten Quartalsbilanz mit. „Das Ziel von RWE, weitere Elektrolyse-Kapazitäten zu errichten, kann sich dadurch verzögern.“ Der Düsseldorfer Gasversorger Uniper konstatierte, der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft komme nur schleppend voran. „Stand heute gibt es wenige größere Kunden, die grünen Wasserstoff nachfragen und entsprechende Lieferkontrakte abschließen wollen.“

Die Dortmunder Wasserstoff-Tochter von Thyssenkrupp: Nach einem Börsengang hält Thyssenkrupp noch 50,19 Prozent der Nucera-Anteile. Etwas mehr als 25 Prozent liegen bei der italienischen Firma De Nora.
Die Dortmunder Wasserstoff-Tochter von Thyssenkrupp: Nach einem Börsengang hält Thyssenkrupp noch 50,19 Prozent der Nucera-Anteile. Etwas mehr als 25 Prozent liegen bei der italienischen Firma De Nora. © dpa | Fabian Strauch

Nucera wächst derweil mit Projekten im Ausland. Mit dem spanischen Unternehmen Moeve – ehemals Cepsa – hat die Dortmunder Thyssenkrupp-Tochter eigenen Angaben zufolge eine Vereinbarung über die Reservierung von Produktionskapazitäten für eine Wasserelektrolyse-Anlage in Andalusien mit einer Leistung von 300 Megawatt unterzeichnet. Im Energiepark La Rábida in Palos de la Frontera soll ein andalusisches „Green Hydrogen Valley“ entstehen.

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