Duisburg/Essen. Thyssenkrupp-Chef López sieht viele Probleme beim Aufbau einer klimaneutralen Stahlproduktion in Deutschland. Ein Thema: Wasserstoff.
Thyssenkrupp-Chef Miguel López schürt neue Zweifel am geplanten umfangreichen Aufbau einer klimaneutralen Stahl-Produktion in Duisburg. „Für die Direktreduktionsanlage, die wir derzeit in Duisburg bauen, wären gut 800 Windkraftanlagen nötig, um den benötigten Energiebedarf aus Grünstrom und zur Wasserstoffherstellung zu decken“, sagte López in einem „Focus“-Interview und fügte hinzu: „Unsere DR-Anlage ersetzt lediglich einen Hochofen. In Duisburg haben wir aber vier davon.“
López betonte zugleich, dass die neue Direktreduktionsanlage, die als Nachfolge-Technologie für die klimaschädlichen Hochöfen konzipiert und perspektivisch auf Wasserstoff angelegt ist, auch mit Erdgas betrieben werden könne. „Man kann sie mit grünem Wasserstoff betreiben, aber auch mit Erdgas. Insofern machen wir uns nicht unbedingt abhängig vom Wasserstoff“, erklärt der Thyssenkrupp-Chef. „Bereits mit Gas sparen wir sehr viel CO2 ein, nämlich gut 50 Prozent, mit Wasserstoff dann 100 Prozent. Wir machen den Stahl aber auch so schon deutlich grüner.“
Der Bau mindestens einer zweiten Direktreduktionsanlage war unter dem mittlerweile geschassten Stahl-Management rund um Bernhard Osburg fest eingeplant. „Wir haben vor, bis 2030 noch eine zweite Anlage umzustellen“, sagte Osburg im vergangenen Jahr bei einem Auftritt von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Duisburg. Es gehe darum, den Standort „zu dekarbonisieren“. Habeck signalisierte, wenn sich Thyssenkrupp für neue Projekte entscheide, werde es auch weitere Förderungen geben. Doch von Plänen für eine zweite Direktreduktionsanlage ist zuletzt bei Thyssenkrupp öffentlich keine Rede mehr gewesen.
Deutschland könne bei der erforderlichen Grünstrom-Produktion im Wettbewerb mit anderen europäischen Nationen nicht mithalten, konstatiert Thyssenkrupp-Chef López nun im „Focus“-Interview. „Ich sehe nicht, wie grüne Energieerzeugung in der nötigen Größenordnung in Deutschland jemals zu wettbewerbsfähigen Preisen realisiert werden kann“, sagte er. „Wenn Sie die Kosten von grünem Strom in Schweden, Norwegen, auf der iberischen Halbinsel oder in den USA mit denen hierzulande vergleichen, und in die Zukunft projizieren, ist das Ergebnis immer dasselbe: Solar rechnet sich in Deutschland nicht und Windanlagen werden wir bei uns nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung haben.“
Thyssenkrupp-Chef: Autos spürbar teurer mit Grünstahl
Auch mit Blick auf potenzielle Kunden für Grünstahl verweist López auf ungelöste Fragen. „Ist grüner Stahl in einem Auto verbaut, wird es viele Hundert Euro teurer werden, vielleicht sogar noch mehr. Das macht für die meisten Kunden einen entscheidenden Unterschied“, so der Manager. „Die Forderungen der Automobilhersteller an uns werden deshalb immer lauten: Du musst mit Deinem grünen Stahl wettbewerbsfähig sein, sonst werden wir die Autos nicht los. Es ist also noch viel zu tun.“
Der Bund und das Land NRW haben zugesagt, den Bau der ersten Direktreduktionsanlage in Duisburg mit bis zu zwei Milliarden Euro aus der Staatskasse zu fördern. Bei einer übermäßigen Nutzung von Erdgas statt Wasserstoff würde Thyssenkrupp allerdings wohl nicht mehr die gesamte staatliche Förderung zustehen, sondern nur ein Teil der rund zwei Milliarden Euro, wie Konzernchef López schon vor Wochen im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt hat. „Es sind Kontingente für den Einsatz von grünem Wasserstoff vorgesehen, an die Teile der staatlichen Förderung gekoppelt sind. Denn ein Ziel ist, die Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland anzukurbeln“, so López.
Bislang hatte der Konzern erklärt, der Eigenanteil für das Großprojekt liege bei rund einer Milliarde Euro. Das Land NRW will Thyssenkrupp mit bis zu 700 Millionen Euro unterstützen. 1,3 Milliarden Euro sollen vom Bund fließen. Der Landesanteil sei die größte Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben habe, betonte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Mai vergangenen Jahres im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Duisburg. Den symbolischen Scheck des Bundes präsentierte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) persönlich auf dem Konzerngelände.
Thyssenkrupp: Enormer Wasserstoff-Bedarf am Stahlstandort Duisburg
Die ursprünglichen Planungen von Thyssenkrupp sahen vor, dass der Stahlhersteller ab dem Jahr 2029 rund 143.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr verbraucht. Das entspreche alle zwei Stunden und 365 Tage im Jahr der Füllmenge des Gasometers Oberhausen, hatte das Unternehmen vor einigen Monaten erklärt. Klar war zu diesem Zeitpunkt schon: Beim Produktionsstart der DRI-Anlage will Thyssenkrupp Erdgas – und nicht Wasserstoff – einsetzen.
Äußerungen von Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm im Zusammenhang dem Führungswechsel in der Stahlsparte ließen bereits aufhorchen. „Auch bei dem erst im vergangenen Jahr angelaufenen Großinvestitionsprojekt DRI in Duisburg gibt es bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten, die aktuell bewertet werden“, erklärte Russwurm.
Mitte Juni hatte der Chef des maßgeblich am Großprojekt beteiligten Anlagenbauers SMS Group, Jochen Burg, von Verzögerungen in Duisburg berichtet. Ursprünglich sollte Unternehmensangaben zufolge schon Ende 2026 der Betrieb der Direktreduktionsanlage starten. Nach derzeitigen Planungen von Thyssenkrupp Steel soll es im Laufe des Jahres 2027 losgehen.
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